Die Schulter schmerzt: Kittel gibt auf
Thüringer muss bei Tour de France nach Sturz seinen Traum vom Grünen Trikot begraben. Dennoch gehört er zu den Gewinnern. Weg an die Weltspitze war nicht geradlinig
zahlte: 2012 musste er bei seinem mit Spannung erwarteten Debüt, mit Magen-DarmInfekt und maladem Knie, vorzeitig aufgeben.
2013 ging sein Stern auf: Als erster Thüringer durfte er für einen Tag sogar das Gelbe Trikot des Gesamt-Spitzenreiters tragen. „Ich habe die Magie und die ganze Historie auf meinen Schultern gespürt.“
Es folgten unzählige grandiose Momente – aber 2015 kam der Absturz. „Das war ein verlorenes Jahr“, sagt sein Manager Jörg Werner. Nach einem langwierigen Infekt wurde sein Schützling vom damaligen Team Giant-Alpecin nicht für die Tour nominiert. Kittel ging wenig später im Unfrieden.
Das belgische Team Quickstep bot ihm eine neue Chance. „2016 war noch nicht perfekt. Jetzt ist Marcel physisch wieder auf dem hohen Niveau von 2013/14“, schätzt Werner ein. Er sähe das „nicht als Quantensprung. Wenn man sauber fahren will, kann man den Schalter nicht von heute auf morgen umlegen, sondern muss es kontinuierlich aufbauen. Das zahlt sich nun aus“, so der Manager, der gestern ebenfalls diesen Tiefschlag verkraften musste. Er wollte wie auch die Eltern Elke (54) und Matthias Kittel (56) nach Paris reisen, wo am Sonntag auf den Champs-Elysees das Finale steigt. „Wir sind natürlich alle deprimiert – das ist so bitter. Keine Ahnung, ob wir fahren“, sagte Elke, die das Drama gestern daheim in Ichtershausen im TV mitverfolgte.
Ja, das Grüne Trikot – das mit Olaf Ludwig 1990 schon einmal ein Thüringer gewann – sei „früher am Familientisch immer mal, meist halb im Spaß, Thema gewesen. Es war Marcels großer Traum. Aber wir wussten, wie schwer das ist. Es reichen nicht nur Tagessiege. Man muss immer auf der Hut sein, sich auch bei Zwischensprints in den Bergen quälen“, so die Mutter.
Trotzdem: Kittels Marktwert ist auf zwei Millionen Euro geklettert. „Ich kann ihn ja kaum noch bezahlen“, flachste Teamchef Patrick Lefevere, der ihn 2015 zu Quickstep holte. Ende der Saison läuft der Vertrag aus. Bei der Tour liefen Gespräche. „Ich habe keinen Stress. Es muss finanziell, aber auch sportlich stimmen. Ich will nichts überstürzen“, so Kittel. Verlängerung ist möglich. Doch auch das Katjuscha-Team mit dem deutschen Geldgeber Alpecin ist interessiert. „Ich hätte nichts dagegen, das wäre schön“, meinte dessen Kapitän Tony Martin. Der Zeitfahr-Weltmeister fuhr einst mit Kittel im Energie-Team, ist einer seiner besten Freunde.
Viele Freunde und Fans aus der Heimat wollten Marcel Kittel indes am nächsten Freitag (28. Juli) zu seinen Tour-Erfolgen gratulieren – er soll 18 Uhr Ehrengast bei der Stehernacht auf der Radrennbahn im Erfurter Andreasried sein. Er hofft, dass er den Termin nach diesem Malheur halten kann. Serre Chevalier. Ein früherer Skispringer wurde zum AlpenKönig der Tour de France: Auf dem spektakulären Klassiker über den Galibier landete der einstige Schanzen-Sportler Primoz Roglic den Tagessieg. Unterdessen behauptete Christopher Froome seine hauchdünne Gesamtführung.
Der Slowene, 2007 als Skispringer Junioren-Weltmeister mit der Mannschaft, hatte den mythischen Galibier als Erster überquert und ließ sich seinen größten Karriere-Erfolg als Radrennfahrer nicht mehr nehmen. „Unglaublich, es ist total verrückt, diese Etappe zu gewinnen“, sagte er. Froome, der 1:13 Minuten nach Roglic ins Ziel kam, sicherte sich als Etappendritter hinter dem Kolumbianer Rigoberto Uran vier Sekunden Zeitgutschrift. Damit führt er nun mit 27 Sekunden vor Uran und dem zeitgleichen Franzosen Romain Bardet, der vor den Augen von Staatschef Emmanuel Macron diesmal keine großen Akzente setzen konnte.
Froomes bislang härtester Verfolger, Fabio Aru, war der Verlierer des Tages. Der AstanaKapitän handelte sich 31 Sekunden Rückstand auf den Sky-Boss ein, fiel in der Gesamtwertung auf Platz vier (+0:53 Sekunden) zurück. In einer packenden Etappe hatten die im Gesamtklassement weit zurückliegenden Bergspezialisten Alberto Contador und Nairo Quintana frühzeitig den Schlagabtausch eröffnet, der spanischen Altstar Contador hielt sich bis kurz vor der Passhöhe des Galibier an der Spitze des Rennens – dann wurde er von Roglic und auch von der Gruppe um Froome gestellt.
Der britische Titelverteidiger steht nun vor dem wohl entscheidenden Tag im Kampf um Gelb. Sollte Froome heute auch die zweite und letzte Alpenetappe mit der Bergankunft auf dem 2360 m hohen Izoard im LeaderTrikot überstehen, ist ihm der vierte Tour-Sieg wohl nicht mehr zu nehmen. (sid)
Bitter: Eltern wollten nach Paris reisen