Berlin reizt Erdogan
Man wäre gern dabei gewesen, als Recep Tayyip Erdogan die Nachricht überbracht wurde, dass die Bundesregierung Reisehinweise verschärft und sich vorbehält, nicht länger für Investitionen in der Türkei zu bürgen. Wenn das öffentliche Bild vom Präsidenten zutrifft, gehört er zu den Männern, die stärkere Reize brauchen. In Berlin mögen sie die Türkei-Politik neu ausrichten. Das heißt nicht, dass der Präsident bald den Journalisten Deniz Yücel oder den Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner freilassen wird.
Gemessen an den Erwartungen fiel die Stellungnahme von Außenminister Sigmar Gabriel eher moderat und ausgewogen aus, kurzum: angemessen und steigerungsfähig. Wenn die türkische Regierung sie nüchtern analysiert, wird ihr die Botschaft nicht entgangen sein: Wir halten nicht mehr die andere Wange hin. Für die Türkei wird es freilich erst gefährlich, wenn Wirtschaftssanktionen und eine abgestimmte europäische Antwort auf die Verletzung von rechtsstaatlichen Prinzipien zusammenkommen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor den Trümmern ihrer Türkei-Politik. Als es noch eine echte EU-Beitrittsperspektive gab, hat sie den Türken die Türen zugeschlagen. Ihr Gegenentwurf hieß privilegierten Partnerschaft und ist gescheitert. Hinzu kommt, dass Merkel der Türkei den Flüchtlingsdeal verdankt. Finanziell mag es anders sein, politisch steht die Kanzlerin in Erdogans Schuld.
Weder EU noch Nato können ein Interesse an einer isolierten Türkei am Rande Europas haben. Erdogan weiß das und reizt es aus. Er wird für Deutschland ein Problem bleiben.