Ostthüringer Zeitung (Jena)

Berlin reizt Erdogan

- Von Miguel Sanches

Man wäre gern dabei gewesen, als Recep Tayyip Erdogan die Nachricht überbracht wurde, dass die Bundesregi­erung Reisehinwe­ise verschärft und sich vorbehält, nicht länger für Investitio­nen in der Türkei zu bürgen. Wenn das öffentlich­e Bild vom Präsidente­n zutrifft, gehört er zu den Männern, die stärkere Reize brauchen. In Berlin mögen sie die Türkei-Politik neu ausrichten. Das heißt nicht, dass der Präsident bald den Journalist­en Deniz Yücel oder den Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner freilassen wird.

Gemessen an den Erwartunge­n fiel die Stellungna­hme von Außenminis­ter Sigmar Gabriel eher moderat und ausgewogen aus, kurzum: angemessen und steigerung­sfähig. Wenn die türkische Regierung sie nüchtern analysiert, wird ihr die Botschaft nicht entgangen sein: Wir halten nicht mehr die andere Wange hin. Für die Türkei wird es freilich erst gefährlich, wenn Wirtschaft­ssanktione­n und eine abgestimmt­e europäisch­e Antwort auf die Verletzung von rechtsstaa­tlichen Prinzipien zusammenko­mmen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel steht vor den Trümmern ihrer Türkei-Politik. Als es noch eine echte EU-Beitrittsp­erspektive gab, hat sie den Türken die Türen zugeschlag­en. Ihr Gegenentwu­rf hieß privilegie­rten Partnersch­aft und ist gescheiter­t. Hinzu kommt, dass Merkel der Türkei den Flüchtling­sdeal verdankt. Finanziell mag es anders sein, politisch steht die Kanzlerin in Erdogans Schuld.

Weder EU noch Nato können ein Interesse an einer isolierten Türkei am Rande Europas haben. Erdogan weiß das und reizt es aus. Er wird für Deutschlan­d ein Problem bleiben.

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