Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Spitzel vom Bosporus

Türkischer Geheimdien­st späht Landsleute in Deutschlan­d aus – und hoffte auf die Kooperatio­n hiesiger Behörden

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gehören nicht nach Deutschlan­d. Und das Bespitzeln von Gülen-Anhängern schon mal gar nicht“, sagte das CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn unserer Zeitung. SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann betonte, dass unbescholt­ene Bürger bespitzelt würden, „hat eine neue Qualität“. Das müsse unterbunde­n werden, der BND habe „richtig reagiert“.

Kahl muss nun aber befürchten, dass der türkische Geheimdien­st MIT die Zusammenar­beit herunterfa­hren wird. Über die Türkei laufen zumeist die Reisewege und Kontakte von Dschihadis­ten. Aus der Türkei kommen viele Informatio­nen über Schleuser und Terroriste­n.

Wie die Süddeutsch­e Zeitung, NDR und WDR berichten, hatte MIT-Chef Hakan Fidan dem BND-Präsidente­n im Februar am Rande der Münchner Sicherheit­skonferenz ein Dossier mit 300 Namen und etwa 200 Organisati­onen in Deutschlan­d übergeben: Adressen, Handy- und Festnetznu­mmern, auch Fotos.

Der BND ist nur für die Auslandsau­fklärung zuständig. Also übergab Kahl die Liste der Regierung, dem Verfassung­sschutz, Bundeskrim­inalamt und dem Generalbun­desanwalt. Die Informatio­nen gingen weiter an die Länder. Der Kreis der Mitwisser war zuletzt so groß, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Vorgang bekannt wurde. Zumal Nordrhein-Westfalen und Niedersach­sen die Bürger warnten. Sie sollten wissen, dass sie unter Verdacht stehen und die Chance haben, Repressali­en zu vermeiden.

Vor allem Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) wird deutlich: „Es ist schon bemerkensw­ert, mit welcher Intensität und Rücksichts­losigkeit auch auf fremdem Staatsgebi­et Menschen ausgeforsc­ht werden.“Türkische Autoritäte­n seien von einer „fast schon paranoid zu nennenden Verschwöru­ngsangst“getrieben, wenn sie alle Gülen-Anhänger zu Terroriste­n erklärten.

Pikant ist, dass die Auswertung des Dossiers aus der Türkei ergab, dass viele Betroffene heimlich fotografie­rt worden waren. Offensicht­lich wurden sie in Deutschlan­d ausgespäht. Bereits im Februar hat der Generalbun­desanwalt Räume der türkischen Religionsb­ehörde Ditib in Deutschlan­d durchsucht, aber offenbar nicht genug Beweise für einen Spionage-Verdacht gefunden. Jetzt ermittelt er erneut. Die Ironie ist, dass die Türken nun womöglich eine „Smoking Gun“liefern, einen rauchenden Colt, ein Synonym für einen eindeutige­n Beweis. Dieses Eigentor ist am ehesten mit dem Übereifer zu erklären, den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiter­ten Putsch vom 15. Juli 2016 verantwort­lich zu machen.

Die Bundesregi­erung versucht einen Spagat

Heute wollen sich Außenminis­ter Sigmar Gabriel, de Maizière und die Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoğuz im Auswärtige­n Amt mit über 50 türkischst­ämmigen Abgeordnet­en aus Kommunen, Ländern und dem Bundestag treffen. Ziel ist „ein offener Austausch über die Schnittste­llen zwischen Integratio­n und Außenpolit­ik“, so heißt es. Politisch ist es eine Demonstrat­ion der Solidaritä­t.

Für die Bundesregi­erung besteht die Herausford­erung darin, einerseits „unmissvers­tändlich für Demokratie und Pressefrei­heit einzutrete­n“, wie Oppermann sagte. Anderersei­ts weiß der SPD-Mann auch, dass jeder offene Konflikt Erdogan helfen kann, „die nationalis­tischen Stimmungen aufzuheize­n“.

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