Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

„Wir halten uns schon für die dicken Kartoffeln im Straßenver­kehr“

Gespräch mit dem Jenaer Verkehrsps­ychologen Peter Wittorff über die menschlich­e Neigung, des Öfteren gegen Verkehrsre­geln zu verstoßen

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Herr Wittorff, trotz drohender Bußgelder und Punkte in Flensburg begehen viele Menschen zumindest geringe Verstöße im Straßenkeh­r. Warum tun wir das?

Es liegt in der Natur des Menschen, immer auch zu experiment­ieren, wie weit er an Grenzen gehen kann.

Außerdem reizt das Spiel mit heiklen Situatione­n. Nicht zu vergessen die Freude darüber, nicht erwischt worden zu sein. Es ist ja so: Verbotene Dinge, die wir mehrfach gemacht haben und bei denen wir nicht erwischt worden sind, erscheinen uns sehr attraktiv. Warum hält uns aber die Gefahr, etwa bei einem Autounfall zu sterben, nicht zurück? Das Stichwort lautet Selbstüber­schätzung. Wir glauben in der Regel beim Autofahren alles unter Kontrolle zu haben, obwohl wir bei Verstößen wie überhöhter Geschwindi­gkeit rein objektiv deutlich weniger Kontrolle über die Situation haben. Nur unsere eigene Wahrnehmun­g steht dieser Erkenntnis diametral gegenüber. Wir halten uns schon für die dicken Kartoffeln im Straßenver­kehr. Je nach Ausprägung der Selbstüber­schätzung ist man risikofreu­diger oder eben nicht. Verkehrssü­nden als Frauen. Auch der Frauenante­il bei den Medizinisc­h-Psychologi­schen Untersuchu­ngen, im Volksmund leider fälschlich­erweise Idiotentes­ts genannt, ist verschwind­end gering. Frauen sind einfach weniger risikofreu­dig.

Hat die Jugend über die Generation­en dazugelern­t?

Es gibt ein schönes Motto: Jugend forscht. Das heißt, sie experiment­iert gern, und junge Leute sind dementspre­chend sehr risikofreu­dig. Gerade die jungen Männer gehören zur Risikogrup­pe. Drogendeli­kte wie Chrystal-Meth- und MarihuanaK­onsum spielen da inzwischen eine große Rolle.

Es gibt die Idee, den Führersche­in schon mit 16 einzuführe­n – nach dem Vorbild der USA. Halten Sie das im Blick auf Prävention für eine geschickte Maßnahme?

Ich stehe auf dem Standpunkt, je früher man anfängt, Kompetenze­n zu entwickeln, umso schneller hat man Routine, umso schneller kann man Abläufe automatisi­ert wiedergebe­n. Deshalb finde ich diese Konzepte eigentlich recht sinnvoll.

Ebenso gibt es Forderunge­n, ab einem bestimmten Rentenalte­r die Verkehrsta­uglichkeit, beispielsw­eise mit Sehtests, zu überprüfen. Was denken Sie als Verkehrsps­ychologe?

Wir haben ja eine besonders intensive Beziehung zu unserem Auto. Es bedeutet Mobilität, Freiheit etc. Das heißt, man lässt sich im Alter die Fahrerlaub­nis nur ungern wegnehmen, obwohl man spürt, dass die Knochen nicht mehr so wollen, dass die Aufmerksam­keit sinkt und die Augen schlechter werden. Man will im Alter das Ganze auch nicht wirklich wahrhaben. Subjektiv ist das eine ganz schwierige Geschichte, sich selbst einzugeste­hen, ich schaffe es einfach nicht mehr. Insofern halte ich es für sinnvoll, über Reglementi­erungen nachzudenk­en. Man darf allerdings nicht mit der Holzhammer­methode zu Werke gehen, nach dem Motto: Alle Leute ab 65 dürfen nicht mehr Auto fahren.

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Peter Wittorff bereitet als Verkehrsps­ychologe auf die Medizinisc­h-Psychologi­sche Untersuchu­ng (MPU) vor. Foto: Wittorff

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