Ostthüringer Zeitung (Pößneck)
Disteln im Blumenbeet des Sozialismus
Kolumnist und Subkulturforscher Frank Willmann gastiert mit mitreißender Lesung über Fußball und Punkmusik auf Burg Ranis
Publikum. Der Wahrheit soll allerdings eine Episode in Finnland entsprechen, als er während eines Urlaubes die komplette Vorrunde der Weltmeisterschaft 2002 verpasste. „Weil die Einwohner nur etwas für kalten Sport übrig haben“, so der heißblütige Anhänger des FC Carl Zeiß Jena.
Wenn „Ballack bolzte“, habe er sich stattdessen in der Sauna mit Birkenzweigen verprügeln lassen oder im Fernsehen etwas über Feen und Trolle mit ansehen müssen. Als Willmann beim Finale dann doch die Gelegenheit bekam, fiel nach „Kahns Kapriole“im Fünfmeterraum und dem Stand von 1:0 für Brasilien die Glotze aus. Und zurück ging es in das Martyrium aus Saunagang mit Birkenzweig.
Willmanns Lesart und sein Stil hätten da selbst Fußball-Verweigerer mitleiden wie -lachen lassen. So aber klatschten nur 14 Gäste an einem Abend, der deutlich mehr Publikum verdient hätte. Nicht nur weil es gleichzeitig die Debütausgabe der vom hiesigen Literaten Marko Kruppe organisierten Lesereihe „Das rote Sofa“auf Burg Ranis war, sondern auch weil Willmann der sehenswerte Spagat zwischen Witz und Tragischem gelang.
So etwa als er die Rolle des Fußballfan-Daseins in der DDR darstellte. Hier las Willmann gesammelte Zeitzeugenstimmen aus einem seiner Essays im 11Freunde-Magazin. „Wir waren damals die Disteln im Blumenbeet des Sozialismus“, zitierte er einen der Befragten und zeichnete mit nur einem Satz das Bild einer Zeit, in der Fußball nicht nur Kommerz, sondern noch Ausbruch und Abenteuer darstellte.
Dass Willmann noch mehr als Fußball-Schreiben kann, bewies der Autor schließlich im zweiten Teil der Lesung. Ähnlich tragikomisch, ähnlich kritisch präsentierte er hier die Geschichte der ersten DDR-Punkband Schleimkeim. Auch über sie recherchierte und erfand Willmann Erzählungen, die allesamt lesenswert sind. Anders als die Geschichte des Fußballs endeten sie aber mit dem mysteriösen Tod des als Stasi-Spitzel zwangsverpflichteten Sängers.
Lust und Schmerz eben – wie schon beim Fußball.