Ostthüringer Zeitung (Pößneck)
Im Plattenbau
Reptilien für den Abtransport umsetzen
Gera. Die Szene könnte einem schlechten Horrorfilm entstammen. Sie spielt in einer verrümpelten Plattenbauwohnung am Stadtrand von Gera. Überall Terrarien, einige befinden sich im Bau, andere beherbergen Bewohner. Keines ist sicher verschlossen. Hinter einigen der Scheiben lassen sich die schuppigen Körper erahnen.
Als der Polizist Silvio Heidler und André Jacob vom Tierheim in Gera vor etwa einem Jahr die Tür zu dieser Wohnung hinter sich schließen, wissen sie nicht, was sie erwartet. Die Horrorwohnung sollte von der Polizei eigentlich für Ermittlungen durchsucht werden. Der Bewohner war vor etlichen Jahren schon einmal mit Giftschlangen aufgefallen. Daran erinnerte sich in letzter Minute ein Ermittler. Auf intensives Nachfragen räumte der Wohnungsinhaber Riesenschlangen und eine Kobra ein. Bald darauf spricht er sogar von sieben Kobras und drei Klapperschlangen. Dabei gilt für den Mann bereits ein Halteverbot für derartige Tiere. „An eine Razzia war vorerst nicht zu denken“, erzählt Silvio Heidler.
Allein die Vorstellung, sich mit den hochgiftigen Reptilien eine Plattenbauwohnung zu teilen, dürfte vielen Thüringern den Angstschweiß über den Rücken treiben. Doch selbst die Nachbarn wussten nichts von ihren gefährlichen Mitbewohnern.
Als Silvio Heidler von den Giftschlangen erfährt, wird ihm klar, die Gefahr ist riesig. „Die Reptilien mussten sofort gesichert werden. Nicht auszudenken, wenn sich auch nur eine Kobra oder Viper unbemerkt zur Erkundung durch den Plattenbau begibt.“Der Wohnblock hätte evakuiert, vielleicht sogar abgerissen werden müssen, vermutet der Beamte.
Die Sicherheit der Hausbewohner hat aus Sicht des Polizisten oberste Priorität. Also wurde schnell gehandelt. André Jacob kennt sich mit giftigen und gefährlichen Reptilien aus. Bei ihm zu Hause tummeln sich einige dieser exotischen Tiere. Alles sei legal und sicher, betont der Tierheimmitarbeiter. Dafür habe er das Okay der Behörden.
An eine „gruselige Geschichte“erinnert sich der Polizist, wenn er von der Aktion erzählt. „Ich hatte das Gefühl, jeden Moment springt mich etwas an.“„Ich musste mich danach erst einmal setzen, das alles sacken lassen“, meint André Jacob. Erst danach sei ihm bewusst geworden, wie riskant das Umsetzen der Schlagen in die Transportbehälter war. „Mit Ausnahme der Riesenschlangen waren alle tödlich giftig.“Auf ein Evakuieren des Wohnblocks während der Aktion war verzichtet worden. Offenbar sollte Panik vermieden werden, so lange die Schlangen in der Wohnung waren.
„Wir wussten nicht, was uns erwartet“, beschreibt Silvio Heidler das mulmige Gefühl beim Betreten der Räume. Keines der Terrarien war beschriftet. „Jedem Öffnen folgte die Überraschung. „Einmal hatte sich eine Kobra verkrochen. Ein anderes Mal zischelten Puffottern, die sich gestört fühlten.“
Hinzu kommen Enge und Unordnung in den Räumen. Ein falscher Griff, ein unsicherer Tritt und eine der Schlangen hätte zubeißen oder entwischen können.
Der Schlangenfänger war auf mehrere Tiere eingerichtet. Doch schnell ist klar, die illegale Sammlung übertrifft die Erwartungen. Weitere sichere Transportboxen müssen aufgetrieben werden.
Die Stadtverwaltung Gera sprach vergangenen Juli von einer Person, die „ohne behördliche Kenntnis diverse Giftschlangen hielt, die bei einem Polizeieinsatz entdeckt wurden“. Über das Ausmaß verlor die Behörde damals kein Wort. Seither prüft die Verwaltung nach Angaben einer Sprecherin gegen den Halter ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Das Gros der entdeckten Giftschlangen unterliegt offenbar Artenschutzbestimmungen, gegen die verstoßen worden sein könnte.
André Jacob ist auch ein Jahr danach die Erleichterung noch anzumerken, dass damals alle Schlangen ohne Zwischenfall in ihre Transportkisten befördert werden konnten. Viel Worte macht er bis heute nicht. Dabei wurde es einige Male brenzlig in der Wohnung.
„Die großen
Kobras spreizten ihre Nackenschilde, fauchten und spuckten Gift“, erinnert sich Silvio Heidler. „Einige versuchen zu entkommen.“Sie konnten aber immer wieder rechtzeitig gestoppt werden. „Es sind halt Fluchttiere“, erklärt Experte Jacob das Verhalten.
Nach drei Stunden schweißtreibender Arbeit sind alle Terrarien leer und keines der Tiere ist entwischt. In den Transportboxen winden sich nun acht Kobras, drei Klapperschlangen und zwei Puffottern.
„Alle sind hochgiftig, blitzschnell und aggressiv“, erklärt Silvio Heidler, der die Aktion für die Polizei fotografierte. Hinzu kommen noch drei Pythons und eine Anakonda. Alle 17 Schlangen werden zur Reptilienauffangstation ins hessische Sontra gefahren. Artgerecht und sicher untergebracht, können sie von dort aus legal an neue Besitzer vermittelt werden.
Drei Stunden dauerte das Umsetzen der Schlangen Der Fund der Giftschlangen war Zufall
Die Aktion in Gera zeigt, wie wirkungslos im Einzelfall das Thüringer Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Tieren ist. Der Giftschlangenfund war reiner Zufall und das, obwohl der Halter bereits aufgefallen war.
Verantwortlich sind die Kommunalbehörden. Diese haben in der Regel weder ausreichendes Fachpersonal noch die Kapazität für umfassende Kontrollen und Nachforschungen. Die Verwaltung in Gera will erst nach der Polizeiaktion vom früheren Halteverbot des Wohnungsinhabers für Giftschlangen erfahren haben. Inzwischen sei dieser aber in ein „Kontrollschema“aufgenommen worden, versichert eine Stadtsprecherin.
André Jacob ärgert, dass das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Tieren noch nicht einmal einen richtigen Bußgeldkatalog für diese Verstöße vorsieht.