Ostthüringer Zeitung (Pößneck)
Fehlfarben an Flowerpower
Mit ihrer Inszenierung von Verdis „Otello“am DNT Weimar sorgt Nina Gühlstorff reichlich für Diskussionsstoff
Stoff eine andere, neuartige Lesart aufzupfropfen: Feministisch engagiert will sie Otello als einen Kriegstraumatisierten vorstellen – und Desdemona als seine Therapeutin.
Also nimmt das Unheil seinen Lauf. An der Hafenmole begrüßt auf improvisierter Tribüne das Volk die siegreiche Flotte mit Winkelementen und Blumengirlanden, und während die Bräute ihre Helden umarmen, entsorgen eilfertige Putzfrauen deren Kriegsgerät in Müllsäcke. Dass Jago mit seinem Trinklied den Cassio (Jaesig Lee) zum rasanten Degenduell gegen Roderigo (Artjom Korotkov) aufstachelt, verhindert zwar keine helfende (weibliche) Hand, doch wenigstens wischt Desdemona ihrem Otello fürsorglich die Farbe aus dem Gesicht.
Sein eleganter Straßenanzug soll den Hünen von den Trägern hellblauer Fantasieuniformen (Bühne, Kostüme: Marouscha Levy) unterscheiden, doch weit auffälliger hebt sich Desdemonas Entourage ab: Ein grellbunter Neptun samt Kinderchor veranstaltet ein florales Hawaii-Happening, um für die „Desdemona Foundation“zu werben. Nur wer weiß, wie‘s gemeint ist, erkennt, dass die Heldin mit Flowerpower gegen Kriegstreiberei zu Felde zieht. So bieder der Fehlfarben-Otello äußerlich scheint, rumort‘s doch so in seinem Innern, dass er im finalen Akt Kampfmontur und -bemalung anlegt, um Krieg im eigenen Schlafzimmer zu führen. Er trifft Desdemona hinter einem Blumenvorhang rückseitig der Hafentribüne. Sinnigerweise erwürgt er sie mit einer Girlande, doch entbehrt dieser Mord der Intimität. Denn Desdemona hat ein paar Chordamen im Schlepptau (womöglich aus einem zyprischen Frauenhaus) und Otello eine Kompanie in Harlekin-Uniformen. So wird seine private Tragödie zeitgeistig zur öffentlichen gemacht.
Logisch, plausibel und dramaturgisch korrekt ist all das gewiss nicht. Zumindest musikalisch kommen Verdi-Traditionalisten auf ihre Kosten. Larissa Krokhina fasziniert nicht nur mit ihrer empathischen Preghiera, und Alexey Kosarev, der keine Selbstliebe im Stil eines Tenore eroico zelebriert, singt seine Partie mit Disziplin und seidigem Glanz.
In seinem Rollendebüt als Jago beweist Alik Abdukayumov großes Talent; in vier, fünf Jahren wird er sicherlich die Spielarten der Boshaftigkeit
Otellos private Tragödie wird zu einer öffentlichen
psychologisch noch virtuoser variieren. In Oleg Caetani am Dirigentenpult und einer gut aufgelegten Staatskapelle findet er moderate und (etwas zu) routinierte Begleiter. – Großer Beifall, keine Blumen.