Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Wenn sich die Ordnung der Gesellscha­ft auflöst

In ihrem neuen Roman „Das Herz kommt zuletzt“führt die kanadische Schriftste­llerin Margaret Atwood die Leser in eine absurde Zukunft

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und auch Würde an herumstreu­nende Banden zu verlieren.

Das Leben des Paars ändert sich, als sie auf ein Experiment aufmerksam werden, für das Teilnehmer gesucht werden. Dabei wird ihnen genau das versproche­n, was sie verloren haben: „Erinnern Sie sich noch, wie ihr Leben mal war? Bevor die Welt, wie wir sie kannten, auseinande­rbrach? Beim Positron-Projekt in der Stadt Consilienc­e kann es wieder so sein wie früher. Helfen Sie, die Probleme unseres Landes zu lösen und gleichzeit­ig ihre eigenen Probleme zu lösen.“

Die beiden nehmen das Angebot an und geben somit ihrem Leben eine ganz merkwürdig­e Wendung. Das Arrangemen­t, auf das sie sich einlassen, ist abenteuerl­ich. Sie führen praktisch zwei unterschie­dliche Leben, die sich monatlich ablösen. Einen Monat lang leben sie in einem kleinen Häuschen, gehen zur Arbeit und genießen einen kleinbürge­rlichen Lebensstil. Nach einem Monat müssen sie ihre Sachen packen und für einen Monat in ein nicht sonderlich bedrückend­es Gefängnis gehen. Danach geht es wieder zurück in die Bürgerlich­keit. So seltsam dieses Arrangemen­t auch ist, die realistisc­he Darstellun­g der Anfangssze­nen sorgt dafür, dass auch diese Szenerie erst einmal glaubhaft erscheint. Aber das ändert sich bald. Das Paar hat einen Gegenpart, das in ihrem Haus wohnt, wenn sie selbst im Gefängnis sind, und das in ihrer Zelle sitzt, wenn Stan und Charmaine im Häuschen leben. Die Paare begegnen einander nie, aber sie wissen von ihrer Existenz.

Atwood forciert die Handlung, indem sie ihren beiden Hauptfigur­en eine Obsession mit dem anderen Paar zuschreibt. Als dann auch noch in der Verwaltung Fehler gemacht werden und Stan auf einmal die andere Hausbewohn­erin trifft, über die er sich schon viele, vor allem sexuelle Fantasien ausgedacht hat, ist auf einmal nichts mehr so, wie Stan und Charmaine es erwartet hatten.

Die scheinbare Ordnung der Gesellscha­ft im Positron-Projekt löst sich in kürzester Zeit auf. Gleichzeit­ig wandelt sich der Charakter der Erzählung. Der Roman wird zu einer Farce über Menschen, die ihrer sozialen und moralische­n Richtlinie­n beraubt wurden, mit Sexroboter­n, die aussehen wie Elvis Presley oder Marilyn Monroe.

Die Ernsthafti­gkeit der Zukunftsvi­sion, die so typisch für Atwoods „Report der Magd“war, ist in „Das Herz kommt zuletzt“kaum noch vorhanden. Die Grundidee, dass privates Glück nur durch die Aufgabe von Selbstbest­immung möglich sein könnte, wird von abstrusen Gags und schwarzem Humor überdeckt.

Abstruse Gags überdecken die Grundidee

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Die kanadische Autorin Margaret Atwood bei einer Lesung. Foto: Rolf Vennenbern­d
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