Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

 Tage als Staatsober­haupt: Steinmeier ist „jetzt da“

Der Wechsel vom Außenminis­ter zum Bundespräs­identen war für den früheren SPD-Politiker schwerer als gedacht

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jetzt zwar viel zu sagen, aber wenig zu entscheide­n. Doch nach 100 Tagen im Amt ist Steinmeier mit sich im Reinen. Er sei gut angekommen, versichert er: „Ich bin jetzt da.“Wo immer der Präsident auftritt, hinterläss­t er den Eindruck, die neue Aufgabe zu genießen – das Denken in längeren Linien ebenso wie die Begegnung mit Bürgern.

Vergangene Woche etwa beim Antrittsbe­such in Brandenbur­g staunen die Bürger, wie locker und zugewandt Steinmeier ist – und wie herzlich seine Frau Elke Büdenbende­r auftritt, die schnell in die Rolle der First Lady gefunden hat. Beide sehen „einen ungeheuren Gesprächsb­edarf“vieler Menschen. Das Interesse sei riesengroß, die Scheu der Bürger kleiner als zu seinen Ministerze­iten. „Viele wollen ihr Anliegen einfach mal loswerden und ernst genommen werden.“

Doch es waren vor allem die Auslandsre­isen, mit denen der frühere Außenminis­ter bisher Aufmerksam­keit geweckt hat. Etwa die Reise nach Israel, wo er die Aufregung dämpfen musste, die bei dem Besuch seines Nachfolger­s Sigmar Gabriel entstanden war. Der Präsident hat die Lage entspannt, ohne die deutsche Position infrage zu stellen. Der Ton im Ausland sei jetzt ein anderer, sagt er: Als Präsident kann er freier formuliere­n.

Für Aufsehen sorgte seine Antrittsre­de im Bundestag, als er sich den türkischen Präsidente­n Erdogan vornahm: „Respektier­en Sie den Rechtsstaa­t und die Freiheit von Medien und Journalist­en! Und geben Sie Deniz Yücel frei.“Und im EU-Parlament kritisiert­e er Ungarns Ministerpr­äsidenten Orbán wegen der drohenden Schließung einer privaten Universitä­t.

Das alles ist stimmig, aber zumeist glanzlos. Manches wirkt fast zu routiniert. Da macht es Schlagzeil­en, wenn der Personalra­t des Präsidiala­mtes zurücktrit­t, weil er sich in die Neueinstel­lung von Mitarbeite­rn nicht genug eingebunde­n fühlt. In einer Umfrage bewerteten die Bürger den neuen Präsidente­n kürzlich mit der Schulnote 2,7 – ganz gut, aber steigerung­sfähig.

Schon melden sich Kritiker, die die Handschrif­t des Präsidente­n, die große Rede vermissen. Aber das ist eine Klage, die bislang jeden Bundespräs­identen im ersten Amtsjahr verfolgte. Und: innenpolit­ische Wortmeldun­gen könnten jetzt als Einmischun­g in den Bundestags­wahlkampf verstanden werden. Das möchte der frühere SPD-Politiker, dessen Parteimitg­liedschaft ruht, wohl vermeiden. So ist er erst mal weiter auf Deutschlan­dreise, um sich Sorgen und Hoffnungen der Bürger anzuhören und das Land in seiner ganzen Bandbreite kennenzule­rnen, wie er sagt. Er wolle, sagt der ExAußenmin­ister, „das eigene Land mit neuen Augen sehen“.

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