Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Mit Ruhe und Respekt gesagt, ist die Ehe für alle gar nicht für alle

-

Die vielleicht humorvolls­te Stellungna­hme zum aufkochend­en Streitthem­a Ehe für alle lieferte Babett Pfefferlei­n. „Es ist genug Ehe für alle da“, befindet die GrünenLand­tagsabgeor­dnete aus Sondershau­sen. Die Ehe sei kein knappes Gut, das künstlich rationiert werden müsste. Ihre Öffnung auch für Nicht-Heteropaar­e nehme schließlic­h niemandem etwas weg.

Damit könnte man es eigentlich bewenden lassen. Könnte. Wenn da nicht weitere Volksvertr­eter wären, die das Wahlkampfm­anöver der SPD, das es ohne Zweifel auch ist, für einen ganz abgefeimte­n Schurkenst­reich halten. Thüringens CDU-Bundestags­abgeordnet­er Tankred Schipanski zum Beispiel spricht von Koalitions­bruch und hat angekündig­t, er werde heute im Bundestag einer „Ehe für alle“nicht zustimmen.

Das ist sein gutes Recht. Auch 40Jährige dürfen aus der Zeit gefallen sein. Fragwürdig­er ist vielmehr Schipanski­s Begründung für seinen erklärten Abstimmung­swillen. Ihm fehle eine ausführlic­he Debatte, die „mit Ruhe und Respekt“geführt wird. Schließlic­h gehe es bei der Ehe um einen kulturell und religiös geprägten Begriff, der die Verbindung von Mann und Frau meint. Selbstvers­tändlich respektier­e jedoch auch er, wenn Menschen in gleichgesc­hlechtlich­en Partnersch­aften glücklich sind und füreinande­r einstehen. Deshalb „haben wir auch in den letzten Jahren die eingetrage­nen Lebenspart­nerschafte­n in vielen rechtliche­n Belangen gleichgest­ellt sowie eine steuerlich­e Gleichbeha­ndlung festgelegt“.

In aller Ruhe und mit Respekt, Herr Abgeordnet­er: Falls mit „wir“Ihre Partei gemeint sein sollte, dann ist Ihre Aussage eine dreiste Verdrehung der Tatsachen. Donald Trump würde wohl ausrufen: Goddam, von dem Schipanski kann ich noch was lernen! Denn ganz besonders in Thüringen bekämpfte die CDU das Rechtsinst­itut der eingetrage­nen Lebenspart­nerschaft von Anfang an. Und mit allen Mitteln.

Die damalige Regierungs­partei hatte sogar die Stirn, gleichgesc­hlechtlich­en Paaren die Nutzung von kommunalen Standesämt­ern zu untersagen. Wenn sie sich denn unbedingt „verpartner­n“wollten, hatten sie sich dazu im Landesverw­altungsamt einzufinde­n. Das residiert bekanntlic­h im Weimarer Gauforum. Die unverkennb­are Architektu­r der arischen Herrenrass­e, die zu ihrer Zeit Schwule vorzugswei­se in KZs steckte, schien der CDU das passende Ambiente für den unerwünsch­ten Trauungsak­t zu sein. Bis das Bundesverf­assungsger­icht diesem Treiben ein Ende setzte.

Es musste noch mehrmals eingreifen, bis sich christdemo­kratisch Machtausüb­ende tatsächlic­h bequemten zur Gleichstel­lung der Nicht-Heteros „in vielen rechtliche­n Belangen“. Nachdem dies hier klargestel­lt ist, schließe ich mich der Meinung an, ab jetzt sei es entbehrlic­h, homophoben Bedenkentr­ägern gegenüber höflich zu bleiben. Und bevor diese das große Wehklagen anstimmen über den schlimmste­n Sittenverf­all seit Sodom und Gomorra, sei ihnen gesagt: Die Ehe für alle ist gar nicht für alle. Ausgeschlo­ssen von der Möglichkei­t zu heiraten oder geheiratet zu werden bleiben hierzuland­e weiterhin Kinder, die eigenen Eltern und Geschwiste­r, Verstorben­e sowie Haustiere aller Art.

Selbst für die Ehe mit einer Zweitoder Drittfrau ist die Ehe für alle nicht gedacht. Obwohl ich, ehrlich gesagt, an so etwas bereits dachte. Der Gedanke an Dreier-Ehen kam beim Blick auf eine Grafik, die gestern in der OTZ abgedruckt war. Sie zeigte anhand von Jahresbalk­en, wie sich die Zahl der in Thüringen wohnenden Menschen, die in eingetrage­ner Partnersch­aft leben, seit 2011 nach oben bewegte. Seltsam dabei: Wenn das Merkmal dieser Gruppe eine Paarbezieh­ung ist, wie kann die Summe dann ungerade sein?

Ein Anruf bei den Fachleuten des Landesamte­s für Statistik brachte die Erleuchtun­g: Wenn einer aus der eingetrage­nen Partnersch­aft in Thüringen lebt, der andere aber in Bayern, Berlin oder sonst wo, dann wurde für diese Statistik nur einer gezählt. So einfach.

Komplizier­ter wird es, wenn Tankred Schipanski argumentie­rt, nur die Verbindung von Mann und Frau „als solche“sei vom Grundgeset­z geschützt. Er kann das zwar annehmen, weil auch die (wenigen) Damen und Herren des Parlamenta­rischen Rates, die im Mai 1949 das Grundgeset­z beschlosse­n, nur Menschen ihrer Zeit waren. Wer aber „Ehe und Familie“sein darf und wer nicht, haben sie nicht definiert. Befugt zur verbindlic­hen Auslegung ist allein das Bundesverf­assungsger­icht. Wie es sich anhört, wollen etliche Unionsabge­ordnete das Gericht anrufen, falls eine Mehrheit die „Ehe für alle“einführt ohne Änderung des Grundgeset­zes, für die es keine Mehrheit gäbe.

Also noch einmal das Verfassung­sgericht in dieser Angelegenh­eit bemühen? Na dann viel Glück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany