Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)
Europäischer Haftbefehl
Kiel/Madrid. Der Europäische Haftbefehl vereinfacht und beschleunigt die Auslieferung eines Verdächtigen zwischen zwei Mitgliedstaaten der EU. Die Justizbehörden arbeiten dabei direkt zusammen, der diplomatische Weg wie beim traditionellen Auslieferungsverfahren entfällt. Grundsätzlich gilt, dass Entscheidungen in Strafsachen gegenseitig anerkannt werden und daher ein Gesuchter unproblematisch ausgeliefert werden kann.
Ein Europäischer Haftbefehl ist eine Eilsache. Wird ein Gesuchter festgenommen, soll eine Entscheidung über die Vollstreckung innerhalb von zehn bis 60 Tagen erfolgen. (dpa) Berlin. Es ist ein extremer Fall. Und ein Fall, der mit Toten endete. Im Sommer 2016 wird der junge Tunesier Anis Amri in Baden-Württemberg festgenommen. Den Sicherheitsbehörden ist er als radikaler Islamist aufgefallen. Nun soll er nach Tunesien abgeschoben werden, denn sein Asylantrag ist abgelehnt worden. Doch die tunesischen Behörden stellen dem Mann über Wochen keine Passersatzpapiere oder andere Reisedokumente aus. Die Justiz muss Anis Amri nach kurzer Haft laufen lassen. Er taucht ab. Monate später tötet Amri in Berlin zwölf Menschen.
Die Ermittlungen zum Breitscheidplatz-Attentat haben ein Problem aus Sicht der Behörden mit Wucht auf die Agenda der Politik gehoben: Die Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer scheitert vielfach daran, dass diese Menschen keine gültigen Papiere besitzen – und das ihr Heimatland Ersatzdokumente nicht oder erst nach langer Zeit ausstellt. Innenexperten von Union und SPD, aber auch einzelne Grüne und FDP-Politiker kritisieren, dass dieser Missstand das Asylrecht unterlaufe. Deutschland schiebe nicht „konsequent genug“ab.
Mehr als ein Jahr nach dem Anschlag in Berlin im Dezember 2016 hat sich die Lage für die Ausländerbehörden und die Polizei nicht verbessert. Im Gegenteil. Die Zahl der abgelehnten Asylbewerber oder irregulär eingereisten Migranten, die nicht abgeschoben werden können, weil ihnen Ausweise fehlen, ist 2017 kontinuierlich gestiegen. Das geht aus einem Lagebild des Bundesinnenministeriums hervor, das dieser Redaktion vorliegt. So waren Ende 2016 noch 38 012 Menschen in Deutschland vorübergehend „geduldet“, bis ihre Papiere bei den Behörden eingehen. Erst dann kann die Polizei die ausreisepflichtigen Personen abschieben – oder sie verlassen freiwillig das Land. So regelt es Paragraf 60 im Aufenthaltsgesetz. Ende 2017, ein Jahr nach dem Berlin-Attentat, liegt die Zahl nicht niedriger, sondern höher: laut Ministeriums-Bericht bei 64 914 geduldeten Personen ohne Passersatzpapiere – ein Anstieg um 71 Prozent. Im selben Zeitraum ist die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, fast um die Hälfte gesunken: auf knapp 30 000 im Jahr 2017. Sind den Versprechen der Politik nach dem Berlin-Attentat keine Taten gefolgt?
Die meisten ausreisepflichtigen Ausländer ohne Papiere kamen 2017 aus Indien: 5743 Personen. 4943 Menschen, die deshalb geduldet waren, stammen aus Pakistan. 3915 aus Afghanistan, 3828 aus Russland. Bei fast 3800 Menschen ist die Staatsangehörigkeit „ungeklärt“.
Warum ist die Zahl der Ausländer mit einer „Duldung“so stark gestiegen? Zum einen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, 2017 allein in mehr als 600 000 Fällen über Asylanträge entschieden. Bei mehr als der Hälfte urteilte die Behörde, dass sie kein Recht auf Asyl haben. Die Menschen müssen zurück in ihre Heimat, nach Nigeria, Serbien, Marokko, Pakistan oder Russland. Steigt die Zahl der abgelehnten Asylbewerber in Deutschland so deutlich an, ist ein Anstieg der ausreisepflichtigen Personen ohne Reisedokumente unumgänglich. Denn viele Migranten kommen schon ohne Reisepässe an der deutschen Grenze an. Gerade wer kaum Chancen auf Asyl hat, versucht es ohne Papiere. Oftmals kassieren
Allerdings sind mehr als 160 000 Menschen vorübergehend „geduldet“, nicht nur weil ihnen Reisepapiere fehlen. Auch wer krank ist, darf nicht abgeschoben werden. Manchen Menschen droht Folter oder Todesstrafe in ihrer Heimat. Die Linke beklagt, dass Ausländer wegen der Asylpolitik „teilweise jahrelang zu einem Leben in permanenter Angst vor Abschiebung gezwungen sind“. 25 000 Ausreisepflichtige hat die Polizei 2017 abgeschoben. Diese Zahl ist leicht gesunken, aber aus den viel diskutierten Herkunftsstaaten Afghanistan oder Iran steigt sie an.
Auch die Zusammenarbeit mit den Staaten im Maghreb läuft besser. So vermerkt das Innenministerium zu marokkanischen Passersatzpapieren: „Bearbeitung erfolgt schnell.“Zu Algerien heißt es dort: „Passersatzbeschaffung funktioniert.“Tunesien, das Land, aus dem der Berlin-Attentäter Anis Amri ausgereist war, ist im Bericht nicht aufgelistet.
Indes heißt es, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen aus Tunesien „leicht gesunken“sei, auf 1413 Personen Ende 2017. Eine Ausnahme, die man sonst selten liest auf den 40 Seiten.
Grünen-Chef Robert Habeck hat „unendlich viel Mitleid“. Mit wem? Martin Schulz, wem sonst? Am Sonntag dreht sich bei einer Lesung in Berlin alles um das Schicksal des gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten, Fast-Außenministers und dann zurückgetretenen Parteichefs Schulz. „Spiegel“-Reporter Markus Feldenkirchen durfte ihn monatelang im Wahlkampf begleiten. Nun stellt er sein Buch „Die Schulz-Story“vor, das von diesem Montag an in den Buchläden liegt.
Lesenswert sind die 314 Seiten. Noch nie hat ein deutscher Politiker einen Journalisten so tief in seine Seele schauen lassen. „Die Schulz-Story“zeigt das Bild eines zutiefst erschöpften Mannes, der als 100-ProzentVorsitzender startete und in knapp einem Jahr alles verlor. Schulz räumt ein, dass er „dumme Fehler“gemacht habe. Aber er fühlt sich auch als Opfer, als „idealer Sündenbock“, der an seiner eigenen Anständigkeit gescheitert sei.
Als Wendepunkt sieht Schulz die Entscheidung der SPD, nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen doch mit der Union über eine erneute Regierung zu verhandeln. „Da hätte ich zurücktreten müssen. Zu dem Zeitpunkt hätte ich gehen müssen.“Schulz tappte in die nächste Falle. Er wollte nach den erfolgreichen Koalitionsverhandlungen, wo er viel für die SPD herausholte, Außenminister werden. Dummerweise hatte er nach der Wahl einen Kabinettsposten unter Angela Merkel ausgeschlossen. „Ich habe das falsch eingeschätzt mit dieser Glaubwürdigkeitslücke. Komplett falsch eingeschätzt“, sagt Schulz im Rückblick.
Schlepper kassieren oftmals die Pässe