Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)
Endspiel um die Macht
Die CSU droht Merkel mit einem Alleingang in der Flüchtlingspolitik – und stellt ein neues Ultimatum
von CDU und CSU verkündete. Schäuble warnt eindringlich: Das darf nie wieder vorkommen. Sein Wort hat Gewicht. Dennoch: „Es wird knapp“, „Lage sehr ernst“, steht in SMS, die CDU-Abgeordnete aus dem Fraktionssaal schicken.
Im Saal nebenan skizziert Seehofer seinen Alleingang: Sollte es keine Einigung geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und seinen Masterplan vorstellen, und dazu am Montag den Auftrag des CSUVorstandes einholen. Doch Seehofer wirke getrieben, so erzählt einer. Ginge es nur nach ihm, so würde ein Kompromiss erzielt. Wirklich? Es ist schwer zu sagen an diesem denkwürdigen Tag.
„Wir bewegen uns nicht“, heißt es aus der CSU
„Inhaltlich bin ich bei Seehofer“, sagt der Hamburger CDUAbgeordnete Christoph de Vries. „Aber der Kurs maximaler Eskalation der CSU mit Ultimatum an die Kanzlerin hat zu einem kompletten Stimmungsumschwung bei der CDU geführt.“Die fast 70 Jahre andauernde Fraktionsgemeinschaft wegen eines einzelnen strittigen Punktes von 63 im Masterplan infrage zu stellen, sei „irrational und unverantwortlich“.
„Wir bewegen uns nicht“, lautet derweil die Nachricht aus der CSU. Man sei mit der Geduld mit Merkel am Ende. Weite Teile der CSU scheinen gewillt, um der eigenen Glaubwürdigkeit willen den Koalitionsbruch in Kauf zu nehmen. Merkel selbst rechnet nicht damit, dass es so weit kommt. Man werde schneller und konzentrierter bei den anstehenden Projekten arbeiten – und zwar gemeinsam, sagte sie nach der Krisensitzung.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagt dieser Redaktion: „Zurückweisungen an der Grenze sofort sind mit dem geltenden Recht vereinbar, moralisch vertretbar und dringend notwendig, um in der Asylpolitik in Europa endlich etwas zu bewegen.“CSU-Generalsekretär Markus Blume sagt, es gehe nicht um die Frage, „ob irgendwo gewählt wird“. Das glaubt ihm niemand. Am 14. Oktober wird in Bayern gewählt. Was für ein Spektakel. Am Donnerstag schrillten im Bundestag die Alarmglocken, um die Abgeordneten von CDU und CSU zu getrennten (!) Sondersitzungen zu rufen. Nach nicht einmal 100 Tagen großer Koalition zerlegt sich die Union im Asylstreit. Die Kanzlerin wird getrieben, wiederholt von der sogenannten Schwesterpartei CSU. Unvergessen, wie Merkel Ende 2015 auf einem CSU-Parteitag wie ein Schulmädchen Seehofers Belehrungen zu ihrer Flüchtlingspolitik ertragen musste.
Horst Seehofer, seines Zeichens Bundesinnenminister, und die CSU nehmen im Streit um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze die Demontage, ja womöglich den Sturz der Kanzlerin in Kauf. Ein Christsozialer beklagte, Merkel wolle nicht kapieren, was im Land los sei. In den Wahlkreisen wachse die Wut. Einzelne CSUler drohten mit dem Bruch der Fraktionsgemeinschaft. Das erinnert an Zeiten, als zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl die Fetzen flogen. Doch der bayerische Löwe brüllt gern laut, aber er beißt selten zu. Bis Montag will die CSU-Spitze nun warten, bevor sie Ernst macht. Merkel hat etwas Zeit gewonnen, um die CSU von einem Alleingang abzuhalten.
Andernfalls will Seehofer qua Amt die Bundespolizei anweisen, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuschicken. Würde er dies gegen den Willen der Kanzlerin tun, müsste sie ihn eigentlich entlassen. Damit wäre die Regierung am Ende. Ein Minister könne doch Maßnahmen ergreifen, während die Kanzlerin in Europa nach einer Lösung suche, heißt es aus der CDU. Das deutet darauf hin, dass beide Seiten die Hoffnung auf eine gemeinsame Linie noch nicht aufgegeben haben.