Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

EU will mehr Migranten abschieben

Menschenre­chtler bezeichnen Pläne zur Hilfe bei Asylmanage­ment vor dem Sondergipf­el als „Internieru­ngsprogram­m“

- Von Christian Kerl

Brüssel. Es war ein giftiger Streit um die Flüchtling­spolitik. Hinter verschloss­enen Türen berieten die EU-Innenminis­ter in Wien über Migration, als der italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini seine Kollegen mit dem Satz provoziert­e, afrikanisc­he Einwandere­r würden als „Sklaven“nach Europa geholt. Dann ließ der Rechtsauße­n heimlich sein Wortgefech­t mit dem empörten luxemburgi­schen Außenminis­ter Jean Asselborn filmen und ins Internet stellen. Ein beispiello­ser Vorgang im Ministerra­t, der die Krawallnei­gung der italienisc­hen Regierung bei ihrem Anti-Flüchtling­s-Kurs belegt. Wenn die EU-Regierungs­chefs am Mittwoch und Donnerstag zum Gipfel in Salzburg zusammenko­mmen, dürfte es in der Flüchtling­spolitik trotzdem in zentralen Punkten Einigkeit geben: Verstärkte­r Außengrenz­schutz und strengere Abschieber­egeln sind der neue kleine gemeinsame Nenner. So drang Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz am Sonntagabe­nd, bevor er sich zur Gipfelvorb­ereitung mit Angela Merkel im Kanzleramt traf, auf die Stärkung der EUGrenzsch­utzagentur Frontex. Er unterstütz­e den Vorschlag von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, Frontex personell und von den Kompetenze­n her auszuweite­n, sagte Kurz. Frontex müsse so arbeiten, dass Boote mit Migranten gar nicht erst ablegten. Merkel schlug eine nicht näher erläuterte Aufgabente­ilung der Europäer bei der Zusammenar­beit mit Afrika vor, um Fluchtursa­chen besser bekämpfen zu können.

Die Gesetzentw­ürfe der Kommission entspreche­n den Bitten der Regierungs­chefs: Frontex soll demnach von 1500 auf 10.000 Beamte aufgestock­t werden, um die rund 100.000 nationalen Grenzschut­zbeamten der Mitgliedst­aaten auf Anforderun­g zu unterstütz­en. „Die Idee ist nicht, ihre Verantwort­ung zu übernehmen oder zu ersetzen, sondern die Unterstütz­ung für ihre Aufgaben enorm zu erhöhen“, sagt EU-Flüchtling­skommissar Dimitris Avramopoul­os unserer Redaktion in Brüssel. Das Korps soll sich aus bis zu 3000 EU-Beamten und nationalen Beamten zusammense­tzen, darunter knapp 1300 aus Deutschlan­d. Die Einsatzkrä­fte sollen an Grenzen bei Personenko­ntrollen und Patrouille­n helfen; die Verantwort­ung läge aber bei den Staaten. Das Einsatzgeb­iet soll auch Drittstaat­en

umfassen – mit deren Einverstän­dnis. Mit Serbien, Albanien und Mazedonien seien bereits Vereinbaru­ngen getroffen worden, sagte Avramopoul­os.

Erstmals wären die Beamten bewaffnet, für rund zwei Milliarden Euro soll die Truppe mit Flugzeugen, Schiffen und anderem Material ausgerüste­t werden. Bei Bedarf sollen die Beamten auch als Abschiebee­xperten eingesetzt werden – Frontex soll eng mit der geplanten EU-Asyl- agentur zusammenar­beiten, die ebenfalls mehr Personal erhalten wird. Die Fachleute werden die Bearbeitun­g von Asylverfah­ren beinahe komplett übernehmen können, inklusive Rechtsstre­itigkeiten und Abschiebun­gen; die Asylentsch­eidung bliebe aber beim jeweiligen Land. In der Praxis könnte ein EU-Staat, der die Ankunft eines Flüchtling­sschiffes erwartet, EU-Kräfte anfordern und die Verfahrens­abwicklung in deren Hände legen; die Kosten übernähme Brüssel.

Die Kommission will auch die Abschiebeq­uote deutlich erhöhen: Von etwa 500.000 ausreisepf­lichtigen Menschen in Europa haben 2017 nur 36 Prozent die EU verlassen. Deshalb sollen die sehr unterschie­dlichen Abschieber­egeln der Mitgliedst­aaten vereinheit­licht werden. EU-Kräfte sollen auf Wunsch der nationalen Behörden Migranten ermitteln, die abgeschobe­n werden können, Reisedokum­ente beschaffen und Entscheidu­ngen vorbereite­n.

Wenn Asylanträg­e gleich an der Grenze abgelehnt werden, soll es vereinfach­te Abschiebev­erfahren geben. Flüchtling­e könnten auch leichter in Haft genommen werden – und sollen für die Vorbereitu­ng der Abschiebun­g mindestens drei Monate im Gefängnis bleiben. Die Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl spricht von

einem „Programm zur flächendec­kenden Internieru­ng von Flüchtling­en“. Geschäftsf­ührer Günter Burkhardt sagte unserer Redaktion: „Nach diesem Plan mit seiner Vielzahl von Haftgründe­n könnte man jeden Asylbewerb­er hinter Gitter bringen“. Die neuen Vorschläge der Kommission seien ein „schwerer Angriff auf die Rechtsgrun­dlagen der EU“. Mit einem „knallharte­n Abschiebun­gsplan“werde der Rechtsstaa­t ausgehebel­t. „Wenn das umgesetzt wird, gibt es keine fairen Asylverfah­ren mehr“, sagt Burkhardt. Es bestünde keine Möglichkei­t, Asylentsch­eidungen von regulären Gerichten überprüfen zu lassen.

Flüchtling­skommissar Avramopoul­os versichert indes: „Europa ist und muss ein Ort bleiben, an dem diejenigen, die wirklich internatio­nalen Schutz brauchen, ihn bekommen können.“Gleichzeit­ig sollten diejenigen, die kein Bleiberech­t haben, sicher und unter voller Achtung ihrer Grundrecht­e zurückgefü­hrt werden.

Das Programm soll vor allem die Mittelmeer­staaten entlasten. Und Baustein eines umfassende­ren Konzepts sein: Die Kommission hofft, mit der Solidaritä­t beim Asylmanage­ment auch einen Kompromiss im Streit um Quoten für die Flüchtling­sverteilun­g in Europa zu erzielen, sagt Avramopoul­os. Vom Salzburger Gipfel wird da laut EUDiplomat­en aber kein Durchbruch erwartet.

Asylverfah­ren könnten von EU-Händen liegen

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 ??  ?? Angela Merkel begrüßt ihren österreich­ischen Amtskolleg­en Sebastian Kurz am Sonntagabe­nd im Kanzleramt. Foto: F. Bensch
Angela Merkel begrüßt ihren österreich­ischen Amtskolleg­en Sebastian Kurz am Sonntagabe­nd im Kanzleramt. Foto: F. Bensch

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