Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)
EU will mehr Migranten abschieben
Menschenrechtler bezeichnen Pläne zur Hilfe bei Asylmanagement vor dem Sondergipfel als „Internierungsprogramm“
Brüssel. Es war ein giftiger Streit um die Flüchtlingspolitik. Hinter verschlossenen Türen berieten die EU-Innenminister in Wien über Migration, als der italienische Innenminister Matteo Salvini seine Kollegen mit dem Satz provozierte, afrikanische Einwanderer würden als „Sklaven“nach Europa geholt. Dann ließ der Rechtsaußen heimlich sein Wortgefecht mit dem empörten luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn filmen und ins Internet stellen. Ein beispielloser Vorgang im Ministerrat, der die Krawallneigung der italienischen Regierung bei ihrem Anti-Flüchtlings-Kurs belegt. Wenn die EU-Regierungschefs am Mittwoch und Donnerstag zum Gipfel in Salzburg zusammenkommen, dürfte es in der Flüchtlingspolitik trotzdem in zentralen Punkten Einigkeit geben: Verstärkter Außengrenzschutz und strengere Abschieberegeln sind der neue kleine gemeinsame Nenner. So drang Österreichs Kanzler Sebastian Kurz am Sonntagabend, bevor er sich zur Gipfelvorbereitung mit Angela Merkel im Kanzleramt traf, auf die Stärkung der EUGrenzschutzagentur Frontex. Er unterstütze den Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Frontex personell und von den Kompetenzen her auszuweiten, sagte Kurz. Frontex müsse so arbeiten, dass Boote mit Migranten gar nicht erst ablegten. Merkel schlug eine nicht näher erläuterte Aufgabenteilung der Europäer bei der Zusammenarbeit mit Afrika vor, um Fluchtursachen besser bekämpfen zu können.
Die Gesetzentwürfe der Kommission entsprechen den Bitten der Regierungschefs: Frontex soll demnach von 1500 auf 10.000 Beamte aufgestockt werden, um die rund 100.000 nationalen Grenzschutzbeamten der Mitgliedstaaten auf Anforderung zu unterstützen. „Die Idee ist nicht, ihre Verantwortung zu übernehmen oder zu ersetzen, sondern die Unterstützung für ihre Aufgaben enorm zu erhöhen“, sagt EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos unserer Redaktion in Brüssel. Das Korps soll sich aus bis zu 3000 EU-Beamten und nationalen Beamten zusammensetzen, darunter knapp 1300 aus Deutschland. Die Einsatzkräfte sollen an Grenzen bei Personenkontrollen und Patrouillen helfen; die Verantwortung läge aber bei den Staaten. Das Einsatzgebiet soll auch Drittstaaten
umfassen – mit deren Einverständnis. Mit Serbien, Albanien und Mazedonien seien bereits Vereinbarungen getroffen worden, sagte Avramopoulos.
Erstmals wären die Beamten bewaffnet, für rund zwei Milliarden Euro soll die Truppe mit Flugzeugen, Schiffen und anderem Material ausgerüstet werden. Bei Bedarf sollen die Beamten auch als Abschiebeexperten eingesetzt werden – Frontex soll eng mit der geplanten EU-Asyl- agentur zusammenarbeiten, die ebenfalls mehr Personal erhalten wird. Die Fachleute werden die Bearbeitung von Asylverfahren beinahe komplett übernehmen können, inklusive Rechtsstreitigkeiten und Abschiebungen; die Asylentscheidung bliebe aber beim jeweiligen Land. In der Praxis könnte ein EU-Staat, der die Ankunft eines Flüchtlingsschiffes erwartet, EU-Kräfte anfordern und die Verfahrensabwicklung in deren Hände legen; die Kosten übernähme Brüssel.
Die Kommission will auch die Abschiebequote deutlich erhöhen: Von etwa 500.000 ausreisepflichtigen Menschen in Europa haben 2017 nur 36 Prozent die EU verlassen. Deshalb sollen die sehr unterschiedlichen Abschieberegeln der Mitgliedstaaten vereinheitlicht werden. EU-Kräfte sollen auf Wunsch der nationalen Behörden Migranten ermitteln, die abgeschoben werden können, Reisedokumente beschaffen und Entscheidungen vorbereiten.
Wenn Asylanträge gleich an der Grenze abgelehnt werden, soll es vereinfachte Abschiebeverfahren geben. Flüchtlinge könnten auch leichter in Haft genommen werden – und sollen für die Vorbereitung der Abschiebung mindestens drei Monate im Gefängnis bleiben. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl spricht von
einem „Programm zur flächendeckenden Internierung von Flüchtlingen“. Geschäftsführer Günter Burkhardt sagte unserer Redaktion: „Nach diesem Plan mit seiner Vielzahl von Haftgründen könnte man jeden Asylbewerber hinter Gitter bringen“. Die neuen Vorschläge der Kommission seien ein „schwerer Angriff auf die Rechtsgrundlagen der EU“. Mit einem „knallharten Abschiebungsplan“werde der Rechtsstaat ausgehebelt. „Wenn das umgesetzt wird, gibt es keine fairen Asylverfahren mehr“, sagt Burkhardt. Es bestünde keine Möglichkeit, Asylentscheidungen von regulären Gerichten überprüfen zu lassen.
Flüchtlingskommissar Avramopoulos versichert indes: „Europa ist und muss ein Ort bleiben, an dem diejenigen, die wirklich internationalen Schutz brauchen, ihn bekommen können.“Gleichzeitig sollten diejenigen, die kein Bleiberecht haben, sicher und unter voller Achtung ihrer Grundrechte zurückgeführt werden.
Das Programm soll vor allem die Mittelmeerstaaten entlasten. Und Baustein eines umfassenderen Konzepts sein: Die Kommission hofft, mit der Solidarität beim Asylmanagement auch einen Kompromiss im Streit um Quoten für die Flüchtlingsverteilung in Europa zu erzielen, sagt Avramopoulos. Vom Salzburger Gipfel wird da laut EUDiplomaten aber kein Durchbruch erwartet.
Asylverfahren könnten von EU-Händen liegen