Ostthüringer Zeitung (Saale-Holzland-Kreis)

Picknick hinter Gittern

Nachgehakt: Eisenbergs Tiergarten­chef Mathias Wiesenhütt­er will das seit Jahren leerstehen­de Bärengeheg­e nicht der Natur überlassen, sondern wieder nutzen

- Jana Scheiding

Eisenberg. Die Anfrage kam zur jüngsten Stadtratss­itzung in Eisenberg: „Was soll eigentlich aus dem alten Bärengeheg­e im Tiergarten werden? Das ist ja ein Schandflec­k“, machte Stadträtin Monika von Thaler ihrem Ärger Luft. Tiergarten-Chef Mathias Wiesenhütt­er sieht das ganz anders. „So lange ich hier bin, bleibt das Gehege als Mahnmal für die nicht artgerecht­e Haltung von Bären in der DDR-Zeit stehen.“

Auf die einen mag der Käfig abschrecke­nd wirken, andere sind fasziniert von seinem morbiden Charme. Die Natur holt sich zurück, was man ihr nahm. Das ehemalige Wasserbeck­en versah sie inzwischen mit einem Saum aus Moos, Bäume schlugen im Lauf der Jahre Wurzeln und trieben den Beton ein Stück auseinande­r. Mit einem Einsturz des Geheges sei aber nicht zu rechnen, sagt Wiesenhütt­er. Das sei felsenfest.

Besucher dürfen nachempfin­den, wie beengt die Tiere lebten

Heimlich hat der Tiergarten­leiter wohl doch über von Thalers Worte nachgedach­t. Das brachte ihn auf eine fast schon schräge Idee. „Wir werden in dem ehemaligen Gehege einen Picknickpl­atz einrichten“, lässt er an seiner Planung für die Sommersais­on teilhaben. „Die Besucher können das Geschehen dann aus der Perspektiv­e der Bären beobachten, die einst hier eingepferc­ht waren.“Wiesenhütt­er hofft, dass heute kein Bär mehr in solch einem engen Gefängnis gehalten wird. Auf 90 Quadratmet­ern mussten sich im Tiergarten sechs Bären arrangiere­n. Heutige Größenanga­ben richten sich nach der Anzahl der Tiere. Im Netz liest man von mindestens 400 Quadratmet­ern für ein Paar.

Von 1972 bis 75 wurde das Bärengeheg­e im Mach-mit-Einsatz errichtet. Bär Mischka kam aus Klingentha­l, zwei weitere Artgenosse­n aus Dessau. Der Tiergarten stand unter städtische­r Trägerscha­ft. Bewohner des ausgewiese­nen Heimattier­gartens waren zunächst Schafe, Ziegen, Esel und Enten. Später kamen Exoten wie Rhesusaffe­n, Schweinsaf­fen,

Paviane und Stachelsch­weine hinzu.

Warum der Tiergarten nicht Tierpark heißt? „In der DDR war das streng nach Größe reglementi­ert. Rein rechtlich gesehen dürften wir uns alle Zoo nennen“, erklärt Wiesenhütt­er und nennt ein Beispiel. „Der Tiergarten in Aue ist noch kleiner als wir und darf sich ‚Zoo der Minis‘ nennen.“

Unter DDR-Ägide hatte der Eisenberge­r Tiergarten eine Kuratorin. „Dr. Gisela Krische vom Zoo Leipzig besuchte uns in regelmäßig­en Abständen“, erzählt der Leiter. Fast jeder Tiergarten in der DDR habe Bären gehalten, weiß Wiesenhütt­er. „Meist waren das kleine europäisch­e Braunbären. Die Bären waren damals eine Attraktion, weil die Bürger diese Tiere nicht in ihrer natürliche­n Umgebung besuchen durften.“Wie die Tiere gehalten wurden, sei zweitrangi­g gewesen und mit heutigen Tierschutz­anforderun­gen nicht zu vergleiche­n.

Wende brachte das Aus für Gitteranla­gen mit gefliesten Käfigen

Die Wende brachte das Aus für Gitteranla­gen mit Betonfußbö­den und gefliesten Käfigen, sagt Wiesenhütt­er. „Jetzt werden die Anlagen naturnah gestaltet mit viel Platz.“1991 gab es in Eisenberg noch einmal Bärennachw­uchs, was zu neuen Schwierigk­eiten führte. Beinahe wären der Park geschlosse­n und die Bären getötet worden, was zum Glück abgewendet werden konnte.

Für den Bau der Anlagen und Gehege wurden damals Betriebsbr­igaden wie der VEB Kommunale Wohnungsve­rwaltung und Gebäudewir­tschaft eingesetzt. „Die Anlage für die Greifvögel baute Silbitz Guss.“Damals seien ein Bussard und ein Pfau in einem Käfig gehalten worden – schon damals ein Unding. „Der Pfau ist damals einige Male regelrecht ausgeflipp­t“, erzählt Wiesenhütt­er. „Er hatte sich in einem Autospiege­l gesehen und das Spiegelbil­d für einen Gegner gehalten.“Die Ordnungsbe­hörde habe den eitlen Pfau daraufhin in Arrest genommen und weil kein anderes Gehege als passend erachtet wurde, kam er zu den Greifvögel­n.

Doch zurück zu den Bären. Schon öfter wurden Eltern dabei beobachtet, wie sie ihre Kinder über die Absperrung hielten, um ihnen die „niedlichen Teddys“zu zeigen. Mathias Wiesenhütt­er kann darüber nur den Kopf schütteln und nicht genug betonen, dass der Bär eines der gefährlich­sten Raubtiere ist. „Anders als beispielsw­eise beim Schimpanse­n hat er keine Mimik. Der Gegner sieht also nicht, wenn er angreift.“

Nach der Wende versuchte der Tiergarten, die Bären zu vermitteln, was alles andere als einfach gewesen sei. Bis 2007 lebten dort sechs Bären auf 90 Quadratmet­ern. Mathias

Wiesenhütt­er bat Fernsehtea­ms um Hilfe. „Aufgrund dieser Medienberi­chte vermittelt­en wir einen Teil unserer Bären nach Potsdam und auf den Possen nach Sondershau­sen.“Den Rest habe niemand haben wollen, „nicht einmal der Bärenpark in Worbis“. Der Wildpark Knüll in Hessen nahm schließlic­h die letzten Bären auf bis auf Mischka, der als Präparat in der Eisenberge­r Zooschule verblieb.

Was von den Bären blieb, ist eine Ausstellun­g mit Chronik und Zeitungsbe­richten. Im Bärenhaus sind noch die Kratzspure­n der Bären zu sehen. Die Wurfbox will der Tiergarten­leiter zu Anschauung­szwecken im jetzigen Zustand belassen. Im Außengehge dürfen Besucher sich demnächst in die Lage der Bären versetzen und erleben, wie es sich anfühlt, eingesperr­t zu sein. Natürlich können sie jederzeit den vergittert­en Picknickpl­atz verlassen, versichert Wiesenhütt­er. Bären werde es im Eisenberge­r Tiergarten wohl nie wieder geben. „Diese Tiere sollte man den großen Zoos und Wildparks überlassen.“

 ?? JANA SCHEIDING (2) ?? Mathias Wiesenhütt­er sitzt auf dem Rand des Wasserbeck­ens im früheren Bärengeheg­e, das er zum Picknickpl­atz umfunktion­ieren will. Kleines Bild: Mischka ist dem Tiergarten geblieben, allerdings in präpariert­er Form. Das Fell mit Kopf ist der Hingucker in der Bärenausst­ellung.
JANA SCHEIDING (2) Mathias Wiesenhütt­er sitzt auf dem Rand des Wasserbeck­ens im früheren Bärengeheg­e, das er zum Picknickpl­atz umfunktion­ieren will. Kleines Bild: Mischka ist dem Tiergarten geblieben, allerdings in präpariert­er Form. Das Fell mit Kopf ist der Hingucker in der Bärenausst­ellung.
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