Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Belebter Stein, belebte Stadt
Mehrere Zehntausend Menschen besuchten am Wochenende die Fassadenprojektionen beim Festival „Genius Loci Weimar“
Weimar. Nacht bricht an in Weimar. Hunderte Menschen starren auf das Haus Goethes. Dort, auf der Fassade, läuft der Countdown. Dann geht’s los – und man wunderte sich kaum, riefe jetzt jemand: „Es leuchtet! seht! – Nun lässt sich wirklich hoffen, . . .“
Wagner hat es gerufen, Fausts ehemaliger Gehilfe, in der Tragödie zweitem Teil, zweiter Akt: im Laboratorium, wo lebloser Materie Geist eingehaucht wird und eine Seele entsteht. Homunculus, ein „Menschlein“, ist, symbolisch verstanden, eine alchemistische Schöpfung.
„Genius Loci Weimar“, das seit 2012 stattfindende Festival für Fassadenprojektionen, stünde in dieser Logik für die Idee einer alchemistischen Veranstaltung aus dem Labor digitaler Medien. Nicht Graffitis, wie die Band Keimzeit singt, machen hier Wände lebendig, sondern sogenanntes Videomapping. Insofern thematisierte sich das Festival an diesem Wochenende auch selbst: da es das Goethehaus in ein computergeneriertes Wesen verwandelte, in der Show „Alchemy“, die das Duo 404.zero aus St. Petersburg entwickelte, und da das Bremer Kollektiv 5Elements gleich um die Ecke, an der Universitätsbibliothek, in „Inside Out“eine permanenten Installation simulierte, „die Geist und Inspiration innerer Tätigkeit nach außen trägt.“
„Alchemy“begreift dabei gleichsam den Naturforscher Goethe über seine Dichtung faustisch. Das Haus wabert und brodelt, wie grün-bläuliches Gewebe unterm Mikroskop und auch glutrot wie Lava. Flüssige Materie steigt hinan und fällt zusammen. „Es steigt, es blitzt, es häuft sich an“, ließe sich mit Wagner dazu sagen. Es trübt sich, aber klärt sich nicht: sondern mündet in eine Art von Bild- und Tonstörung. Der Geist des Ortes verweigert sich letztlich. So einfach ist Seele nicht zu haben.
Eher schon verselbständigt sich das kollektiv gespeiste Gedächtnis eines Ortes: Was Besucher in der Universitätsbibliothek tagsüber suchen und finden, verwandelt ein Algorithmus des nachts in neue, imaginäre Fachliteratur aus Bereichen wie Architektur, Typographie, Mathematik oder Design. Die Titel leuchten, in „Inside Out“, in digitaler Schrift auf dem breiten verglasten Riegel des Gebäudes auf: wie Ornamente einer Medienarchitektur, die Informationen liefern sollen. Die Lettern aus Licht sind etwas zu groß für den schmalen Raum vor dem Gebäude..
Das waren kluge und schöne, durchaus nicht allzu gefällige Arbeiten bei Goethe und an der Bibliothek. Die meiste Zustimmung beim Publikum erfuhr die vergleichsweise konkrete, dramaturgisch durchdachte Show am Haus der Frau von Stein.
Die technische Projektion des Teams MultiScalar aus Berlin korrespondiert mit einer im psychologischen Sinne. In „Musae“(Musen) betrachtet und erfindet es die Rückseite dieses Hauses architektonisch als Theaterbühne neu, auf der Faust und Mephisto auftreten, zunächst aber haushohe Schatten Goethes und Charlotte von Steins . . .
Um die drei Orte rankte sich ein audiovisuelles Sommerfest, das die Innenstadt mit Bildern ebenso flutete wie mit Menschen. Künstlich und künstlerisch belebte Wände belebten auch das Revier, mit insgesamt mehreren Zehntausend Besuchern.