Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Von der Melancholie rostiger Säulen
Jenaer Fotograf Markus Schmidt legt zur Leipziger Buchmesse den eindrucksvollen Bildband „Verlassene Orte in Thüringen“vor
Jena. Wenn Fotograf Markus Schmidt an verlassenen Orten auf Fototour geht, trägt er immer eine Smartwatch, eine elektronische Uhr, durch die er im Notfall drei Freunden seine GPS-Koordinaten mitteilen kann. Denn ungefährlich ist seine Leidenschaft, die Lost-Place-Fotografie, nicht. Wenn der 27-Jährige verfallene Gebäude aufsucht, bemüht er sich allerdings, das Risiko, etwa irgendwo durchzubrechen, so gering wie möglich zu halten. Der Jenaer ist sich stets bewusst: „Kein Bild der Welt ist es wert, das Leben zu riskieren.“
Im eindrücklichen Bildband „Verlassene Orte in Thüringen“kann man dem Jenaer Fotografen nun auf 20 Touren folgen, etwa in die bröckelnde Sophienheilstätte in Bad Berka, zu den ausrangierten Loks in Pfiffelbach bei Weimar, in die alten Erfurter Bahnhallen oder ins ehemalige NVA-Hotel in Frauenwald.
Dass Markus Schmidt einen solch detaillierten Einblick in die Welt des sogenannten Urban Exploring ermöglicht, ist nicht selbstverständlich. In der Regel ist die Szene sehr verschwiegen. Wo sich die fotografierten Orte befinden, verraten die Akteure gewöhnlich nur engsten Freunden.
Zum einen wollen sie die verwunschenen Plätze vor Vandalismus schützen, indem sie Fremde erst gar nicht anlocken. Zum anderen ist das Einsteigen in fremde Häuser nicht ganz legal, handelt es sich doch um Hausfriedensbruch. Aber da die Eigentumsrechte oft nicht geklärt sind oder sich die Besitzer nicht um die Objekte kümmern, gilt meist: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Schmidts beim Erfurter SuttonVerlag erschienener Fotoband zeigt dementsprechend nur Plätze im Freistaat, die über die Szene hinaus bereits bekannt sind. Zu den eindrucksvollsten Orten zählt beispielsweise das verwaiste Schieferabbau-Dorf bei Lehesten, das einst nahe dem Oertelsbruch entstanden ist. Schmidt besuchte es im Winter, entdeckte etwa einen maroden Stuhl im Schnee und einen zerrissenen alten Koffer zwischen Schutt. Eine alte Halle – vielleicht Stall, vielleicht Werkstätte – fasziniert durch die mehrfach gewölbte Dachkonstruktion und rostige Säulen. Es ist eine morbide Schönheit, die der Künstler einfängt, eine Mischung aus Poesie und Wehmut.
Beim Betrachten des Bandes kann man kaum glauben, dass Markus Schmidt erst seit fünf Jahren fotografieren soll. Die Leidenschaft packte ihn sogar ziemlich unvermittelt: „Die erste eigene Kamera hielt ich Anfang 2011 in meinen Händen und kann mir seitdem nicht mehr vorstellen,
Lost-Place-Szene ist sehr verschwiegen
ohne die Fotografie zu leben“, sagt er. Inzwischen verdient er sich auch den Lebensunterhalt mit dem Fotoapparat. Gemeinsam mit seiner Freundin betreibt er das Foto-Tattoo-Studio „Gestochen scharf“in der Jenaer Westbahnhofstraße 10. Ursprünglich wollte Markus Schmidt eine klassische FotografenLehre absolvieren. Doch einer der potenziellen Arbeitgeber riet ihm, gleich bei der Handwerkskammer Gera ein Gewerbe anzumelden. Besagter Fotograf meinte, er suche jemanden fürs Studio und Passfotos – für Dinge, die er und seine Mitarbeiter nicht allzu gern machten. Dafür sei er gewiss nicht der Richtige. Nach einer durchzechten Nacht fuhr Schmidt tatsächlich nach Gera.
Das aktuelle Buch, das neben Schmidts Bildern auch informative und hilfreiche Hintergründe zu den Objekten liefert, kam aufgrund eines OTZ-Artikels zustande. Im Sommer wurde der gebürtige Ilmenauer innerhalb der Reihe „Szeneblick Ostthüringen“vorgestellt, woraufhin der Sutton-Verlag Kontakt zum Künstler suchte. Herausgekommen ist eine der schönsten Thüringer Neuerscheinungen der Saison, die derzeit auch auf der Leipziger Buchmesse präsentiert wird. Markus Schmidt: Verlassene Orte in Thüringen, Sutton Verlag Erfurt, Seiten, Euro