Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Thüringer Wanderbewe­gung jenseits der Klischees

Der Jenaer Historiker Reyk Seela stellt sein Sachbuch „Wanderwelt­en“heute zur Leipziger Buchmesse vor

- Von Volkhard Paczulla

Jena/Leipzig. „Leipzig liest“und der Jenaer Historiker Reyk Seela liest mit. Heute um 12 Uhr stellt er in der Messestadt sich und sein Werk „Wanderwelt­en“in Halle 3 am Stand E201 vor.

Im Forum Sachbuch, wo die Publikatio­n auch hingehört. Seela hatte die schwierige Aufgabe übernommen, einen weißen Fleck in der Thüringer Geschichts­schreibung zu tilgen. Er verfasste erstmals eine historisch­e Gesamtdars­tellung des Freizeit-Phänomens Wandern im „grünen Herzen Deutschlan­ds“. Wobei nicht das mehr oder weniger zielgerich­tete Herumlaufe­n an der frischen Luft den Gegenstand der Darstellun­g bildet. Sondern die organisier­te Wanderbewe­gung von ihren Wurzeln bis heute.

Der Leser wird deshalb vergeblich nach Tipps zu den schönsten Wanderrout­en im Freistaat suchen. Er erfährt auch nichts über die MindestWan­derdauer, bis man endlich einkehren darf. Das Buch ist eben kein launig geschriebe­ner Text mit einer leicht verständli­chen Handlung. Dafür bietet es aber neben zahlreiche­n Abbildunge­n, historisch­en Fotos, Drucken und Karten eine Fülle an Informatio­nen über Formen, Konzepte, Motive, Traditione­n und Brüche der hiesigen Wanderbewe­gungen über gut 200 Jahre hinweg.

Dabei meidet Seela, der von 1999 bis 2009 Abgeordnet­er der CDU im Thüringer Landtag war, die politische­n Spannungsf­elder keineswegs. Im Gegenteil. Der gern unpolitisc­he Anspruch des einzelnen Wanderfreu­ndes, sagt er, mag individuel­l zutreffend sein. Für die organisier­ten Vereine und Verbände in ihren jeweiligen politische­n Verhältnis­sen war es das nie. Kaiserreic­h, Weimarer Republik, Nazi-Deutschlan­d und danach die DDR – immer hätten sich die Funktionst­räger der organisier­ten Wander- und Heimatvere­ine zur Staatsform verhalten müssen. So wie der Staat stets ein mehr oder weniger großes Interesse zeigte, auf die Wanderorga­nisationen Einfluss zu nehmen. Bis zur ideologisc­hen Vereinnahm­ung und Gleichscha­ltung.

Reyk Seela hat versucht, sich von allen gängigen Klischees der Kniebundho­sen und Nagelstöck­e zu lösen, um sein Thema, das ihn anderthalb Jahre voll in Anspruch nahm, in den Griff zu bekommen. Er hat den Thüringer Reformpäda­gogen Fröbel, Salzmann, GutsMuths, die gehörigen Einfluss auf die Wanderbewe­gung hatten, gebührend Platz gewidmet. Und dem Jenaer Karl Volkmar Stoy, Begründer der Schulwande­rtage, noch etwas mehr. Alles sehr wissenswer­t für Geschichts­interessie­rte, auch wenn sie selbst nicht dem Wandern frönen sollten.

Während sich die Gelehrten noch darüber streiten, ob Wandern als die älteste Fortbewegu­ngsart des Menschen voll im Trend liegt oder doch unter der Digitalisi­erung des Freizeitbe­reichs leidet, freut sich „Wanderwelt­en“-Herausgebe­rin Christine Lieberknec­ht schon auf die inzwischen dritte Thüringer Ausrichtun­g des Deutschen Wandertage­s Ende Juli, diesmal in der Wartburgre­gion auf den Spuren Luthers. Die Thüringer Ministerpr­äsidentin a.D. ist nach wie vor Präsidenti­n des Thüringer Wanderverb­andes mit knapp 8000 Mitglieder­n. Sie wird zur Buchlesung in Leipzig anwesend sein.

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