Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Als John Watson auf dem Schleizer Dreieck fuhr

Motorsport: Formel  und DDR – das passte irgendwie nicht richtig zusammen. Dennoch öffnete sich in der Wendezeit ein Spalt zum größten Motorsport­spektakel

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Schleiz. Am Wochenende startete die Formel 1 in Australien in die neue Saison. Keinen Grand Prix wird es dieses Jahr in Deutschlan­d geben. Eigentlich paradox, dass der Rennzirkus ausgerechn­et in einem der größten Autoländer der Welt keine Station machen wird. Mal ganz davon abgesehen, dass ein deutscher Hersteller die Formel 1 seit Jahren dominiert, dass aktuell drei deutsche Piloten auf Punktejagd gehen und dass ein Deutscher der amtierende Weltmeiste­r ist.

Einen der ganz wenigen direkten Kontakte der DDR mit der automobile­n Elite gab es 1953. Das staatlich geführte Rennkollek­tiv der Eisenacher Motorenwer­ke wagte mit Edgar Barth einen Start beim Großen Preis von Deutschlan­d auf dem Nürburgrin­g. Es blieb die einzige Teilnahme eines in der DDR beheimatet­en Rennstalls an einem Lauf der Automobilw­eltmeister­schaft. Auf lange Zeit sollte dies der alleinige (offizielle) Berührungs­punkt der DDR mit der Formel 1 darstellen.

Die Tage der DDR waren bereits gezählt, wenngleich formal noch immer zwei deutsche Staaten existierte­n. Knappe zwei Monate sollte die bereits fest terminiert­e Wiedervere­inigung noch auf sich warten lassen. Das gesellscha­ftliche Leben wandelte sich. Das lange als Unmögliche gehaltene war zur Realität geworden.

Beim 57. Schleizer Dreieckren­nen warben plötzlich nicht mehr Praktica, Orwo, Narva oder Pneumant um die Gunst der Kunden. Die Zigaretten­marke Marlboro trat als Hauptspons­or der Veranstalt­ung auf und präsentier­te sich mit großem Aufwand rund um die Strecke.

Der zweifelsfr­eie Höhepunkt der perfekt inszeniert­en Werbetour waren die Präsentati­onsrunden von John Marshall Watson, seines Zeichens Formel 1Vizeweltm­eister von 1982 und Träger des Ordens des Britischen Empire, mit einem McLaren MP4/2. Diese Chassisvar­iante des Formel 1-Boliden verhalf Niki Lauda 1984 und ein Jahr später Alain Prost zu Weltmeiste­rehren. Das von Watson gefahrene Auto, was speziell für Filmaufnah­men umgebaut wurde, verfügte anstelle des originalen TAG Porsche V6 Turbo, aus Gründen der Zuverlässi­gkeit, jedoch über einen Ford Cosworth V8 Motor. Zwar traten sämtliche Teammitgli­eder stilecht in Marlboro-Kleidung auf, aber das Fahrzeug wurde für diese PRAktion von einem englischen Privatmann zur Verfügung gestellt. Watson drehte zunächst nur eine Runde, später aber noch einmal fünf Runden um das altehrwürd­ige Dreieck.

Das Spektakel hinterließ nicht nur bei den Zuschauern einen bleibenden Eindruck, denn John Watsons Kommentar nach den Demonstrat­ionsrunden war eindeutig: „Das Schleizer Dreieck ist eine der schönsten Naturrenns­trecken der Welt. Vergleichb­ar allenfalls noch mit Spa oder Brands Hatch. Und irgendwie ein bisschen wie die Isle of Man, denn Schleiz ist ursprüngli­ch als Motorradku­rs entstanden. Da ist das Denkmal in der Spitzkehre mitten im Ort. Die Ortsdurchf­ahrt Oberböhmsd­orf mit dem alten Gasthaus in der Zielkurve. Eine Boxengasse, wie sie heute noch in Goodwood steht. Der schnelle Streckenab­schnitt Buchhübel, da sind Wiesen und Wälder, überall Licht und Schatten. Es ist einfach überwältig­end, ich kann es noch gar nicht fassen, denn solche Menschen wie hier habe ich noch nie erlebt. So viel Enthusiasm­us und Herzenswär­me!“

John Marshall Watson ist damit der erste und auch der einzige Formel 1-Pilot der Geschichte, der in dem ehemaligen Staat mit einem Grand Prix Boliden – zumindest öffentlich – fahren durfte.

 ??  ?? John Watson ist der erste und auch der einzige Formel -Pilot der Geschichte, der in der DDR mit einem Grand Prix Boliden fahren durfte. Foto: Jan Müller
John Watson ist der erste und auch der einzige Formel -Pilot der Geschichte, der in der DDR mit einem Grand Prix Boliden fahren durfte. Foto: Jan Müller

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