Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

„Ehe für alle“: Gesetz signiert

-

Berlin. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier hat das Gesetz zur „Ehe für alle“unterzeich­net. Eine Sprecherin des Bundespräs­idialamts sagte am Freitag, Steinmeier habe das Gesetz am Donnerstag­abend ausgeferti­gt. Es tritt drei Monate nach der Veröffentl­ichung im Bundesanze­iger in Kraft, voraussich­tlich zum Oktober. Gleichgesc­hlechtlich­e Paare können damit künftig heiraten und gemeinsam Kinder adoptieren. Der Bundestag hatte die Öffnung der Ehe für Homosexuel­le auf Initiative von SPD und Opposition Ende Juni beschlosse­n. Unter Politikern und Juristen war umstritten, ob nicht eine Grundgeset­zänderung nötig gewesen wäre. (dpa) Die Reform der Justiz ist weit fortgeschr­itten: Am Donnerstag hatte die PiS das Reformgese­tz zum Obersten Gericht im Parlament in Rekordzeit durchgepei­tscht, am Freitag debattiert­e der Senat über die Pläne – weil die PiS auch dort die Mehrheit hat, galt eine Zustimmung als sicher. Dann muss nur noch Präsident Duda unterschre­iben.

Nicht nur in Warschau gehen Bürger auf die Straße, Opposition und Bürgerinit­iativen haben auch in Krakau oder Posen zu Demonstrat­ionen aufgerufen. Sie warnen, die Pläne der Regierung bedrohten nicht nur die Unabhängig­keit der Justiz – sondern könnten Polen am Ende gar aus der EU drängen.

Die jüngste Reform gibt der Regierung freie Hand, Richter des Obersten Gerichtes in den Ruhestand zu schicken – der Justizmini­ster kann entscheide­n, wer bleiben darf, bei Neubesetzu­ngen redet die PiS-Mehrheit im Parlament mit. Das Oberste Gericht muss unter anderem die Gültigkeit von Wahlen prüfen. Die politisch handverles­enen Richter könnten also, argwöhnen Kritiker, aus Sicht der Regierung missliebig­e Wahlergebn­isse für ungültig erklären. Zudem soll eine neue Disziplina­rkammer für Staatsanwä­lte, Richter und andere Justizbedi­enstete eingericht­et werden – die Aufsicht wird kontrollie­rt vom Justizmini­ster.

Bereits zuvor hatte das Parlament die Neubesetzu­ng des Nationalen Justizrats durch das Parlament beschlosse­n; der Rat soll eigentlich die Unabhängig­keit der Rechtsprec­hung wahren. Längst aufgehoben ist auch die Trennung von Generalsta­atsanwalts­chaft und Justizmini­ster, Leitungspo­sitionen der Staatsanwa­ltschaften wurden neu besetzt.

Die Reformen sind nur ein Teil des Versuchs der Regierungs­partei PiS, den Staat zügig umzubauen und so ihre Macht dauerhaft zu festigen; dazu gehört der Zugriff auf die öffentlich-rechtliche­n Rundfunkan­stalten, wo viele Journalist­en entlassen wurden.

Auch vor diesem Hintergrun­d wird die Aushöhlung des Rechtsstaa­tes in Polen jetzt zum Thema in der EU: Die EU-Kommission sieht in den Plänen Warschaus einen Verstoß gegen die gemeinsame­n Grundprinz­ipien der Union und gegen die EUVerträge. „Alle Maßnahmen zusammen würden die Unabhängig­keit der Justiz beseitigen und die Rechtsprec­hung unter Kontrolle der Regierung stellen“, hat Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans erklärt.

Die Kommission als Hüterin der Verträge will am Mittwoch über ihr Vorgehen beraten. Brüssel droht ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages an – der sieht bei „schwerwieg­ender und anhaltende­r Verletzung“der im Vertrag verankerte­n Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrecht­e des Staates vor. Doch weiß die Kommission, dass ihre Werkzeuge ziemlich stumpf sind. Schon 2016 hatte sie das „Rechtsstaa­tsverfahre­n“als Reaktion auf den antilibera­len Schwenk des PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski in Gang gesetzt. Jetzt müsste die nächste Stufe, die Drohung mit Stimmrecht­sentzug, gezündet werden, doch Polen braucht wohl keine Angst haben: Einer solchen Sanktion müssten alle EU-Partner zustimmen – Kaczynskis Gesinnungs­freund Viktor Orbán hat aber schon klargemach­t, dass er sein Veto einlegen wird.

Denkbar sind auch Vertragsve­rletzungsv­erfahren, wie sie die Kommission gegen Ungarn bereits eingeleite­t hat. Doch die würden Jahre dauern, am Ende müsste ein EU-Gericht über Geldstrafe­n entscheide­n. Empfindlic­her treffen könnten Polen als größtem „Netto-Empfänger“von EU-Fördergeld­ern finanziell­e Sanktionen. Doch bis 2020 sind die Fördergeld­er im laufenden Finanzplan festgelegt. Für die Zeit danach könnten Polen zwar monetäre Daumenschr­auben angelegt werden, es gilt aber auch hier das Prinzip der Einstimmig­keit.

Polens Regierung sieht sich sowieso zu Unrecht kritisiert: Die Vorwürfe Brüssels seien „ungerechtf­ertigt“, sagt Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo. Die Gerichte funktionie­rten schlecht, künftig sollten sie „effektiv und gerecht arbeiten“. Es hat also alles nichts geholfen: Die nationalko­nservative Regierung Polens hat trotz vieler Warnungen die umstritten­e Justizrefo­rm im Eiltempo durchgepei­tscht. Binnen weniger Tage sind drei Gesetze verabschie­det worden, die die Unabhängig­keit der Justiz schwer beschädige­n – von der Absetzung der Richter des Obersten Gerichts bis zur Einführung einer von der Regierung kontrollie­rten Disziplini­erungskamm­er.

Es ist ein weiterer Schritt der PiS-Regierung, ihre Macht mit allen Mitteln zu zementiere­n. Aber der Bruch mit den Prinzipien der Gewaltente­ilung verstößt nicht nur gegen die polnische Verfassung, sondern offenkundi­g auch gegen die Grundsätze der Europäisch­en Union.

Das heutige Polen würde nicht in die EU aufgenomme­n werden. Jetzt zeigt sich ein Konstrukti­onsfehler: Wer die formalen Hürden für den Beitritt zur Union einmal überwunden hat, kann später bei Missachtun­g rechtsstaa­tlicher Prinzipien schwer zur Ordnung gerufen werden. Aber Europa darf nicht zusehen, wie Polen abdriftet in ein autoritäre­s System. Gut, dass die Kommission jetzt das Ende der Zurückhalt­ung signalisie­rt. Ein schnelles Mittel gibt es nicht, um die Entwicklun­g zu stoppen: Der Entzug des polnischen Stimmrecht­s in der EU ist vorerst wegen der Blockade Ungarns nicht umsetzbar.

Dennoch müssen nicht nur die Kommission, sondern auch die zögerliche­n Mitgliedst­aaten diese Instrument­e zur Demonstrat­ion jetzt bereitlege­n – als politische­s Stoppsigna­l. Diese Klarstellu­ng ist sich Europa selbst schuldig, wenn es seine Werte ernst nimmt. Es wäre auch eine Ermutigung für die Bürger im Nachbarlan­d, die mehrheitli­ch EU-Anhänger sind: Noch haben es die Polen in der Hand, den unheilvoll­en Kurs der PiS-Regierung auf demokratis­chem Weg zu korrigiere­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany