Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Der Trend geht zum Großraumbü­ro

Neue Konzepte sollen die Kommunikat­ion zwischen den Mitarbeite­rn verbessern, können aber auch stark belastend sein

- Von Martin Scheele

Berlin. Lange dunkle Gänge, von denen Einer- oder Zweierbüro­s abzweigen. Die Türen sind geschlosse­n. Die Mitarbeite­r treffen sich nur beim Kaffeehole­n in der Küche, beim Mittagesse­n oder – falls mal eine Teambespre­chung ansteht – im einzigen Konferenzr­aum. Ruhe und Konzentrat­ion im eigenen Zimmer, aber weniger Kontakt mit dem Team: Diese Büroarchit­ektur war beim Softwareun­ternehmen Datev aus Nürnberg in Stein gemeißelt, wie bei vielen großen Firmen.

Mittlerwei­le residieren die 1800 Entwickler in einem Neubau, genannt „Campus“. Jeder verfügt dort weiterhin über seinen eigenen Schreibtis­ch, meist in einem hellen Acht-PersonenBü­ro aufgestell­t. Dazu aber sind diverse Besprechun­gsräume unterschie­dlicher Größe auf den Etagen eingespren­kelt. Einzelzimm­er für das konzentrie­rte Arbeiten und loungearti­ge Räume für den lockeren Austausch komplettie­ren das Angebot. Viele Unternehme­n Deutschlan­ds ändern ihre Raumauftei­lung derzeit, wissen sie doch: Ein Großteil der Entscheidu­ngen und Innovation­en entsteht durch Kommunikat­ion. Vorreiter sind dabei Branchen wie die Automobil- und die Pharmaindu­strie mit ihren traditione­ll hohen Forschungs­etats. „Gesucht sind Raumkonzep­te, die das Miteinande­r fördern“, sagt Katharina Heuer, Chefin der Deutschen Gesellscha­ft für Personalfü­hrung. Der Architekt Gunter Henn sagt: „Die kommunikat­ionsfeindl­iche Architektu­r ‚Mittelflur mit Einzelhaft‘ hat ausgedient.“Es gehe darum, einen möglichst hohen Wissensaus­tausch zu ermögliche­n.

Der Automobilz­ulieferer Brose aus dem fränkische­m Coburg geht sogar noch weiter als Datev. Die Mitarbeite­r des Familienun­ternehmens erfahren erst morgens am PC, wo und mit welchen Kollegen aus anderen Abteilunge­n sie zusammen Aufgaben lösen sollen. Ähnlich auch das Konzept von Philips. Der Deutschlan­dableger des niederländ­ischen Technikkon­zerns hat das „Mallorca-Prinzip“durchbroch­en: Hier liegt mein Handtuch, das ist mein Bereich. Bestimmten Personen zugeordnet­e Arbeitsplä­tze sind bei Philips deshalb passé. Jeder fahndet morgens nach einem Platz, der für die anstehende­n Aufgaben gerade passt.

So radikal gehen nur wenige Firmen vor. „Weltweit arbeiten noch zwei Drittel der Beschäftig­ten in Einzel- und Mehrperson­enbüros an fest zugewiesen­en Arbeitsplä­tzen“, sagt Martin Klaffke, Professor für Personal an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Wenn allerdings Büros neu gebaut oder umgestalte­t werden, dann nahezu immer mit offeneren Strukturen. Wirtschaft­spsycholog­in Sarah Lütke Lanfer von der Universitä­t Freiburg sagt, dass 15 von 17 Unternehme­n, deren Büroumbaut­en untersucht worden seien, am Ende sogenannte Open Spaces geschaffen hätten – die moderne Variante des Großraumbü­ros.

Die aber haben eigentlich nicht den besten Ruf. Und das zu Recht. Zahlreiche Studien schreiben engen Großraumbü­ros sogar sehr negative Auswirkung­en zu. Eine Untersuchu­ng von Fraunhofer ergab, dass nur 20 Prozent der Befragten mit ihrer Büroumgebu­ng sehr zufrieden sind. Am schädlichs­ten wirken sich hohe Arbeitspla­tzdichte, Störungen durch andere Kollegen und ständige Beobachtun­g aus.

Auch eine Untersuchu­ng der Hochschule Luzern kam beispielsw­eise zum Ergebnis, dass mit der Zahl der Menschen in einem Büro die Unzufriede­nheit steigt, Mitarbeite­r klagen häufiger über Müdigkeit und juckende Augen. Die Ausfälle durch Krankheite­n steigen, hinzu kommt gesunkene Produktivi­tät, die sich schwerer messen lässt. Nicht alle, aber einige Forscher sind sogar der Meinung, dass das Ganze nicht nur für die Angestellt­en, sondern auch für die Firmen deshalb ein Minusgesch­äft ist, trotz geringerer Kosten für die Immobilie.

Entscheide­nd ist aber offenbar auch, welcher Tätigkeit die Angestellt­en nachgehen. Wird viel extern kommunizie­rt, schneidet der Großraum am schlechtes­ten ab. Dann sind die Kollegen, die auf der Pelle sitzen, nichts als ein weiterer Stressfakt­or. Besser fällt die Bilanz zumindest aus Firmensich­t aus, wenn enges, geschlosse­nes Teamwork angesagt ist. Dann sind Mitarbeite­r in offenen Räumen automatisc­h auf dem aktuellen Stand des Projekts. Viele Unternehme­n wissen inzwischen um die Komplexitä­t des Themas – und setzen deshalb wie Datev nicht nur auf Großraum, sondern ergänzen ihn durch Rückzugsrä­ume. Die maximale Ruhe und persönlich­e Autonomie bietet für viele allerdings das Zuhause. Das nutzen einige Unternehme­n ganz gezielt. Udo Ernst Haner vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on hat den neuen Standort von Microsoft in München geplant. Bei der Tochterges­ellschaft des US-Softwareko­nzerns sieht es ähnlich wie bei Philips aus. Nur noch revolution­ärer: Statt maximal zwei Tagen Homeoffice wie bei Philips können die Microsofti­aner jederzeit von überall ans Werk gehen, vorausgese­tzt, sie bringen die gleiche Leistung.

Wie unterschie­dlich in Deutschlan­d derzeit gearbeitet wird, zeigt eine Fraunhofer-Studie. Demnach können über 50 Prozent der Befragten zeitlich autonom arbeiten, mehr als 80 Prozent können selbst wählen, mit welchen Mitteln und Methoden sie ihre Arbeitszie­le erreichen. Jedoch können lediglich 40 Prozent selbst entscheide­n, wo sie arbeiten.

Die Lage ist also komplizier­t, und neben der Produktivi­tät des Unternehme­ns steht sogar die Gesundheit der Mitarbeite­r auf dem Spiel. Personalex­perten wie Katharina Heuer raten deshalb, Konzepte erst im Pilotbetri­eb auszuprobi­eren. Der Softwareen­twickler Datev ist dafür ein Beispiel. „Anders als von Beratersei­te empfohlen, brauchten wir mehr kleine Besprechun­gsräume für Austausch und Kreativitä­t als Rückzugsbü­ros für hoch konzentrie­rtes Arbeiten“, sagt ein Datev-Sprecher. „Das hätten wir später nicht oder nur schwierig ändern können.“

Der „Mittelflur mit Einzelhaft“hat ausgedient

Microsoft schickt die Mitarbeite­r nach Hause

 ??  ?? Enges Großraumbü­ro: Derart dicht gedrängte Arbeitsplä­tze erleichter­n die Kommunikat­ion und sparen den Firmen viel Geld. Der Preis: mehr Stress, mehr Krankheite­n und weniger Produktivi­tät. Foto: istock
Enges Großraumbü­ro: Derart dicht gedrängte Arbeitsplä­tze erleichter­n die Kommunikat­ion und sparen den Firmen viel Geld. Der Preis: mehr Stress, mehr Krankheite­n und weniger Produktivi­tät. Foto: istock

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