Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Lieber schnaufen als schnurren
Es war zwischen Uzés und Orange. Über fünf Kilometer schlängelte sich die Straße steil aufwärts, und der Wind blies heftig. Gegenwind! Wie gut, dass unsere Räder 27 Gänge hatten, zuletzt brauchten wir nur noch einen.
Schweißgebadet und heftig schnaufend langten wir am höchsten Punkt unserer kleinen Tour de Provence an und genossen den Ausblick. Plötzlich ein Surren, und ehe wir uns versahen, wurden wir von einem Radlertrupp überholt. Ich traute meinen Augen nicht: Männer und Frauen im rüstigen Rentneralter zogen mühelos an uns vorbei. Sie schienen nicht mal zu schwitzen.
Ich konnte es mir erst erklären, als ich die Wulst an den Rahmen entdeckte, dort, wo die Batterie für den Elektromotor saß.
„Ab 60“, meinte K., „darf man das E-Bike nutzen. Ist doch schön: Bergab lässt du dich rollen und bergan wirst du geschoben.“
Danke, dachte ich grantig. Wo bleibt denn da der Ehrgeiz?
Auch wenn ich die Altersschwelle erreicht habe, kann ich mich nicht mit dieser Schubhilfe anfreunden. E-Bikefahrer sind die Warmduscher der Landstraße. Man will doch die Herausforderung spüren, selbst wenn nicht mehr jedes Knirschen und Knacken von der Schaltung rührt. Ich will die Schwerkraft überwinden. Ich liebe die Anstrengung, die mir ein Anstieg oder ein Berg abverlangt.
Es muss ja nicht gleich, wie beim Kollegen Henryk G., der Mont Ventoux sein. Im Windschatten der Tour de France tritt er auf seinem Rennrad wieder gegen sich selber an: 1600 Höhenmeter, die letzten vermutlich ohne schattenspendende Bäume. Ob er da, schwitzend, keuchend, fluchend, manchmal vom E-Bike träumt? Verfluchter Ehrgeiz! Wenigstens hat mein schon jenseits der 65 radelnder Kollege vorgesorgt. Seine Dame folgt ihm in gebotenem Abstand, auf vier Rädern und vermutlich mit dem Sauerstoffzelt.
Letztlich bin ich froh, bei unserer Tour den Mont Ventoux nur von weitem erblickt zu haben. Es war entspannend, durch Weintrassen und Sonnenblumenfelder zu radeln. Obwohl, reizen täte mich solch ein Anstieg schon ...
Vor acht Jahren musste ich den Vorsatz, mit 65 meinen letzten Marathon zu laufen, für immer begraben. Doppelter Bandscheibenvorfall. Der Arzt fragte mich, was ich mir von einer Therapie erhoffe. Dass ich wenigstens wieder Radfahren könne, sagte ich, und irgendwann vielleicht sogar wieder joggen. Das Joggen sollte ich lieber lassen, meinte der Arzt, es sei denn, ich wolle doch noch unter sein Messer.
Heute radle und jogge ich wieder. Also, in fünf Jahren Mont Verdeux oder Halbmarathon?
Verfluchter Ehrgeiz!