Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Niemals ein Buch zweimal lesen
Sigrid Laugisch von der Wurzbacher Stadtbibliothek stellt „Der Distelfink“vor
Wurzbach. Bibliothekarinnen sind eigentlich fast jeden Tag von Büchern umgeben. Hat man da eigentlich noch Lust zu lesen? „Natürlich“, sagt Sigrid Laugisch, Leiterin der Wurzbacher Stadtbibliothek. „Ich lese sehr viel.“Aber niemals liest sie ein Buch zweimal: „Wozu auch, man weiß ja schon, was passiert.“Ihr persönliches Lieblingsbuch ist „Der Distelfink“von Donna Tartt. Das Werk wurde 2014 mit dem Pulitzerpreis für Literatur ausgezeichnet. „Das Buch würde ich jeden empfehlen“, so die Wurzbacher Bibliothekarin. Sie bevorzuge Bücher, die mit Sinn und Verstand geschrieben wurden.
„Der ‚Distelfink‘ ist ein Entwicklungsroman, Kunstkrimi und eine Milieustudie in einem“, erklärt Sigrid Laugisch. Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle und sozialer Welten werde darin ausgelotet. Handlungsorte sind New York, Las Vegas und Amsterdam.
Der Roman erzählt über eine Zeitspanne von zehn Jahren die Geschichte des 13-jährigenTheo Decker, der seine Mutter bei einem terroristischen Anschlag auf das Metropolitan Museum of Arts verliert. Die wichtigste Erinnerung, die ihn von da an mit ihr verbindet, ist für Theo zugleich eine peinigende Last, nämlich das etwa DIN-A4-große Ölbild „Der Distelfink“des niederländischen Malers Carel Fabritius. Das Gemälde ist von unschätzbarem Wert und gleichzeitig das Lieblingsbild seiner kunstsinnigen Mutter. Der Junge stiehlt es in den Wirren unmittelbar nach der Bombenexplosion im Metropolitan. Er trägt das Bild mit sich, wohin auch immer es ihn in den folgenden Jahren verschlägt. Theo ist Spielball eines Schicksals, das ihn jeder Entscheidungsfreiheit beraubt. Verzweifelt ist er auf der Suche nach etwas, das im Halt gibt und ihn auf tröstliche zeitenthobene Weise mit seiner Mutter verbindet. Im Alltag kämpft er ums Überleben und im seinen Platz in der Gesellschaft. Dabei ist er mit vielen Problemen konfrontiert: Wer hat das Sorgerecht für ihn, Schulbesuch, Pubertät, Drogensucht, Männerfreundschaft, Geschäftemacherei und Liebe. „Der Distelfink“sei ein Roman für Herz und Verstand, einfach ein wunderbares Buch.
Die amerikanische Schriftstellerin Donna Tartt nimmt sich für ihre Romane sehr viel Zeit. Rund ein Jahrzehnt arbeitet sie an einem Buch. „Anders als viele Autoren zurzeit sind die Werke keine Reihen-Romane“, erläutert Sigrid Laugisch. „Sie sind in sich abgeschlossene Handlungen.“
Während ihres zweiten Studienjahres in Bennington begann die Schriftstellerin Tartt die Arbeit an ihrem ersten Roman: „Die geheime Geschichte“. Die Handlung spielt innerhalb einer Gruppe von Elitestudenten, die eine komplizierte Beziehung verbindet. Das Geschehen gipfelt dann in zwei Morden. Der Verlag hatte soviel Vertrauen in den ersten Roman von Tartt, dass er von „Die geheime Geschichte“75 000 Exemplare drucken ließ – normalerweise sind es nur 10 000. Zehn Jahre ließ sich Tartt für ihren zweiten Roman „Der kleine Freund“Zeit. Er erschien 2002. „Der Distelfink“wurde dann 2013 veröffentlicht.
Obwohl die Wurzbacher Bibliothek eher klein ist und sich das Gebäude unter anderem mit den Standesamt teilen muss, gibt es dort viel zu entdecken. Sigrid Laugisch versucht, in regelmäßigen Abständen, Autoren zu einer Lesung in Wurzbach einzuladen. Die nächste ist am 23. Oktober um 19 Uhr mit Matthias Biskupek, der aus „Der Rentnerlehrling“vorliest. Für jedes seiner Lebensjahre – 66 an der Zahl – hat der Schriftsteller und Kritiker eine Kurzgeschichte verfasst. Die Lesung findet im Rahmen der Aktion „Thüringen liest“vom 23. bis 29. Oktober statt. Außerdem kann man im Foyer der Stadtbibliothek bis auf weiteres die Bilder der Arbeitsgemeinschaft sehen, die sich mit der Heimatgeschichte Wurzbachs auseinandersetzt. In monatelanger Arbeit haben sie historische Aufnahmen gesammelt und sie für das Publikum anschaulich aufbereitet. Öffnungszeiten: Montag, Donnerstag und Freitag von bis Uhr, Dienstag von bis Uhr und bis Uhr, mittwochs geschlossen