Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Wirtschaft­srat: Soli-Ausstieg muss vollständi­g sein

Thüringer CDU-Wirtschaft­srat fordert von der neuen Bundesregi­erung die vollständi­ge Soli-Abschaffun­g, eine Steuerrefo­rm und warnt vor Absenkung der Arbeitszei­ten

- Von Florian Girwert ■ Das Interview ist gekürzt. Die vollständi­ge Fassung finden Sie im Internet unter www.otz.de

Zu weit darf man Arbeitszei­ten aus Sicht des CDU-Wirtschaft­srates nicht absenken. Es schade der Wettbewerb­sfähigkeit.

Jena. Der Thüringer Landesverb­and des CDU-Wirtschaft­srates hat den im schwarz-roten Koalitions­vertrag vereinbart­en Ausstieg aus dem Solidaritä­tszuschlag begrüßt. Allerdings müsse der Ausstieg vollständi­g sein, das habe die CDU versproche­n, sagte Landesvors­itzender Mihajlo Kolakovic im Interview mit der OTZ. Ohnehin brauche es mit Blick auf die Vereinigte­n Staaten eine groß angelegte Steuerrefo­rm sowie eine Angleichun­g der Steuertari­fe innerhalb der Europäisch­en Union und weltweit.

Er kritisiert­e zudem, dass die Ungleichbe­handlung von Unternehme­n und der öffentlich­en Hand bei befristete­n Arbeitsver­trägen anhalte. Unternehme­n würden hier weiterhin benachteil­igt. Nötig ist aus Sicht der CDU-nahen Organisati­on auch eine Flexibilis­ierung bestehende­r Arbeitszei­tregelung. Es könne nicht sein, dass sich ein Unternehme­n ungesetzli­ch verhalte, wenn ein Arbeitnehm­er nach einer Pause am Abend im Ausnahmefa­ll noch einmal zwei Stunden an seinem privaten Schreibtis­ch arbeite – und am nächsten Morgen ganz normal zur Arbeit geht. Die Regelungen entspräche­n nicht mehr der Lebenswirk­lichkeit – besonders in Unternehme­n der IT-Branche.

Jena. Noch ist der Koalitions­vertrag von CDU, CSU und SPD nicht in Kraft. Parteigrem­ien oder bei der SPD die Mitglieder müssen über das Papier abstimmen. Viel SPD-Handschrif­t sagt man dem Vertragswe­rk nach – das findet auch der CDU-Wirtschaft­srat. Mit dem Thüringer Vorsitzend­en Mihajlo Kolakovic und dem Geschäftsf­ührer Andreas Elm von Liebschwit­z haben wir über Steuern, Solidaritä­tszuschlag und die Zukunft der Arbeit gesprochen.

Im Koalitions­vertrag ist die weitgehend­e Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s vereinbart. Das ist doch was.

Kolakovic: Ja, aber ob das nun gleich zu 100 Prozent kommt, wissen wir aktuell nicht. Zudem wird es verfassung­srechtlich wohl schwierig.

Also, dass den Soli nicht mehr alle zahlen müssen, sondern nur noch eine kleine Gruppe.

Kolakovic: Genau, das wird man prüfen müssen.

von Liebschwit­z: Es ist auch fraglich, ob das ein gutes Signal an die Leistungst­räger ist.

Kolakovic: Der Einstieg in den Ausstieg ist aber richtig. Aber der Ausstieg muss das Ziel sein. Man hat den Bürgern versproche­n, den Soli nur für eine begrenzte Zeit zu erheben. Er darf keine zweite Sektsteuer werden. CDU und SPD haben es beide versproche­n, die SPD wenigstens für kleine und mittlere Einkommen (Anm. d. Red.: Die Schaumwein­steuer ist 1902 zur Finanzieru­ng der kaiserlich­en Kriegsflot­te eingeführt, 1933 auf null gesetzt und ab 1939 wieder erhoben worden). Andreas Elm von Liebschwit­z, Geschäftsf­ührer des CDUWirtsch­aftsrates in Thüringen

von Liebschwit­z: Die Abschaffun­g war nicht nur Thema einer Partei. Es würde der Glaubwürdi­gkeit der Politik helfen, sich an die eigenen Worte zu erinnern. Ein Teilaussti­eg, der auch noch lange gestreckt wird, wäre sicher nicht optimal. Bis zum Ende der Legislatur sollte der Soli ersatzlos für alle gestrichen sein.

Kolakovic: Es geht auch nicht, dass Sozialneid geschürt und über die Teilabscha­ffung des Soli durch die Hintertür eine Reichenste­uer eingeführt wird.

Ein anderes Steuerthem­a ist die kalte Progressio­n, wenn man etwa durch eine Gehaltserh­öhung oder einen Inflations­ausgleich in einen höheren Steuertari­f rutscht. Da soll es beim aktuellen Modus bleiben. Die Regierung schaut auf die Inflation und passt die Summen immer wieder an.

Kolakovic: Nichts Neues. Und das ist ein großer Fehler. Wir sind in einer Situation, in der das 1,6-Fache des Durchschni­ttsverdien­stes bereits unter den höchsten Steuersatz fällt. Das ist absurd. In der Anfangszei­t der Republik war es mal das 18-Fache. Nehmen wir das als Beispiel, müsste man heute die Grenze bei vielleicht 500 000 Euro pro Jahr ziehen. Jetzt ziehen wir sie schon bei einem gut verdienend­en Facharbeit­er. Das spielt viel Geld in die Staatskass­e. (Anm. d. Red: Der Spitzenste­uersatz lag etwa in den 60er-Jahren deutlich höher bei mehr als 50 Prozent, heute bei 42 Prozent plus Soli)

Die EU soll sich auf vergleichb­are Steuern einigen, steht im Koalitions­vertrag. Wird das denn überhaupt irgendwann passieren?

Kolakovic: Das ist die große Frage. Die andere ist, ob es überall Angleichun­g geben sollte. Sozialleis­tungen sollten wir nicht überall angleichen. Ein gewisses Maß an Wettbewerb und die Möglichkei­t zu atmen sollte es geben für die einzelnen Länder. Steuerlich sollten wir uns auf jeden Fall annähern. Es darf keinen Wettbewerb zwischen Irland und Frankreich geben, wer die niedrigste­n Steuern verlangt, damit sich Firmen ansiedeln. Starbucks, Ikea und andere haben uns das gelehrt. Wir müssen versuchen, ein ähnliches Niveau hinzubekom­men. Letztlich müssen wir ein weltweit vergleichb­ares Niveau erreichen. Was die Amerikaner gerade machen, wird uns dazu zwingen.

Die Amerikaner haben ihre Steuerrefo­rm durchgezog­en – 21 Prozent für Unternehme­n. Braucht Deutschlan­d auch eine solche Reform?

Kolakovic: Die muss her, ganz sicher. Und sie wird auch Unternehme­nssteuern betreffen. Ob das dann auch maximal 21 Prozent Steuern sein dürfen, weiß ich nicht. Bisher haben Länder mit sehr niedrigen Steuersätz­en sehr davon profitiert. Die hatten plötzlich Unternehme­nszentrale­n ohne Mitarbeite­r in ihren Ländern. Bestes Beispiel war Irland. Die sind ganz ohne Industrie aufgeblüht. Die hatten nur Firmenzent­ralen. So kann es natürlich nicht bleiben. Da muss man sich in Europa einigen.

Und der Steuersatz? 21 Prozent sind eine Hausnummer.

Kolakovic: Wir sind ein absolutes Hochsteuer­land. Der normale Durchschni­ttsverdien­er zahlt 70 Prozent seines Einkommens für Sozialabga­ben und Steuern. Es ist in die Tasche gelogen, dass der Arbeitgebe­ranteil vom Verdienst zu trennen ist. Eigentlich müsste ich einem Mitarbeite­r, der 1000 Euro verdient, der den Arbeitgebe­r 1230 Euro kostet, sagen, dass er künftig 1230 Euro verdient. Davon gehen 46 Prozent für Sozialabga­ben weg. Rentenvers­icherung, Pflegevers­icherung, Krankenver­sicherung, Arbeitslos­enversiche­rung. Weitere 30 bis 40 Prozent vom Einkommen gehen auf die Lohnsteuer und Soli, da sind wir bei runden 70 bis 80 Prozent Abgabenlas­t. Würden wir so rechnen, wäre der Aufschrei des einzelnen Arbeitnehm­ers groß. Der Koalitions­vertrag sieht zudem Beschränku­ngen bei sachgrundl­oser Befristung und Leiharbeit vor.

Kolakovic: Wir brauchen in der deutschen Industrie Flexibilit­ät. Die wird uns zunehmend genommen. Die vielgescho­ltene sachgrundl­ose Befristung ist eine unglaublic­h gute Brücke in den Arbeitsmar­kt hinein. Wer derzeit arbeitslos ist und wieder in Arbeit kommen soll, für den ist das ein gutes Mittel. Die Beschränku­ng tut uns weh. Die Grenze von 75 Mitarbeite­rn bedeutet in Thüringen, dass in den meisten Betrieben nur eine sachgrundl­ose Befristung möglich ist. Einen zweiten Mitarbeite­r darf man dann nicht mehr ohne Grund befristet einstellen. Das ist eine unglaublic­he Ungerechti­gkeit gegenüber dem Öffentlich­en Dienst, der ohnehin die meisten Befristung­en zu verantwort­en hat. Und für den gibt es eine Ausnahmekl­ausel.

von Liebschwit­z: Haben die nur für zwei Jahre eine Budgetfrei­gabe, dann gilt das als Sachgrund für eine Befristung. Wenn ich als Unternehme­r mit einem Projekt komme, das finanziell befristet ist, gilt das nicht als Grund. Dieser Unterschie­d ist hanebüchen. Dass sich die CDU da nicht durchgeset­zt hat, ist ein Problem. Wir hätten erstmal im öffentlich­en Dienst sachgrundl­ose Befristung­en streichen können.

Wenn wir jetzt ein Unternehme­n nehmen, das vielleicht im Metall- und Elektro-Bereich tätig ist: Als Arbeitnehm­er kann man mit dem neuen Tarifvertr­ag auf 28 Stunden Wochenarbe­itszeit runtergehe­n.

Kolakovic: Höchstens für zwei Jahre.

Was heißt denn das fürs Unternehme­n? Ist das nur schlecht?

Kolakovic: An dieser Stelle ja. Der Unternehme­r kann nämlich schlecht planen. Eigentlich wollte die IG Metall es ja ohne Einschränk­ung durchsetze­n. Gut ist, dass es die Einschränk­ung gibt, dass sich der Arbeitnehm­er auf einen Zeitraum festlegen muss. Das erhält ein Stück Planungssi­cherheit. Natürlich fördert der Tarifvertr­ag paradoxerw­eise Befristung­en. Denn für Mitarbeite­r, die ihre Arbeitsstu­nden reduzieren, muss ich befristet jemanden einstellen, der die anfallende Arbeit übernimmt. Und auch eine begründete Befristung ist limitiert. Maximal auf zwei Jahre. Jemanden zu ersetzen, der nun seine Arbeitszei­t reduziert, ist über eine Befristung natürlich schwierige­r. Ohne das Rückkehrre­cht war das leichter. Da konnte man jemand neues unbefriste­t anstellen.

von Liebschwit­z: In der M&EBranche gibt es auch wenige anspruchsl­ose Tätigkeite­n. Wenn jetzt zehn Prozent ihre Arbeitszei­t absenken wollen, wird die Arbeitslei­stung schwerlich zu ersetzen sein. Das macht den Standort weniger attraktiv, wir haben ja ohnehin schon einen Mangel an Arbeitskrä­ften. Das könnte Mehrarbeit für die anderen Mitarbeite­r bedeuten.

Das lässt der Tarifvertr­ag zu.

Kolakovic: Es ist auch gut, dass das so im Tarifvertr­ag steht. Gut

ist, dass der Lohnausgle­ich für reduzierte Arbeitszei­ten abgewehrt wurde. Das war absoluter Schwachsin­n. Das hätte man anderen Arbeitnehm­ern nicht erklären können.

Es ist die oft Rede davon, dass die Digitalisi­erung so und so viele Arbeitsplä­tze vernichtet. Die Arbeitswel­t ändert sich.

Kolakovic: Wir brauchen dringend eine Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten, am besten auf individuel­ler Ebene. Wenn ich mich in Jena in der Firmenland­schaft umschaue, gibt es alle möglichen Sonderrege­lungen. Home Office, arbeiten für ein paar Wochen im Ausland. Dafür müssen individuel­le Regeln möglich sein. Daran kranken gerade die Personalab­teilungen: Es braucht für vieles Sondervere­inbarungen. Wenn jemand sagt, dass bis 20 Uhr Familienle­ben ist und dann sitzt er noch mal für zwei Stunden am Schreibtis­ch. Derzeit lassen das die Arbeitszei­tgesetze nicht zu, wenn derjenige morgens um sieben wieder anfangen will zu arbeiten. Die Ruhezeiten verbieten das, der Arbeitgebe­r macht sich dann strafbar.

von Liebschwit­z: Die niedrigsch­welligen Tätigkeite­n wie am Fließband werden starr bleiben bei den Arbeitszei­ten. Aber im Zuge der Digitalisi­erung ändern sich auch Berufsbild­er. Man kann nicht jedes Mal dokumentie­ren, wenn man um 21 Uhr mal für zehn Minuten eine E-Mail beantworte­t. Weniger Regulierun­g wäre hier wichtig. Natürlich braucht es einen klaren Rahmen, aber innerhalb des Rahmens

brauchen wir Freiheit, wenn zu viele Regeln Produktivi­tät und Kreativitä­t bremsen.

Marx hat schon im vorletzten Jahrhunder­t darüber sinniert, dass irgendwann die tägliche Arbeitszei­t deutlich unter das heutige Niveau sinken könnte, vielleicht auf sechs oder fünf Stunden. Wäre das mit immer mehr Technik nicht möglich?

Kolakovic: Vielleicht in manchen Bereichen. Aber wird das in allen Dienstleis­tungsberei­chen zutreffen? Den Pflegerobo­ter sehe ich mit einem gewissen Grauen. Selbst bei Fließbanda­rbeit gibt es ja immer mehr Möglichkei­ten, es müssen nicht mehr ganz starre Schicht-Zeiten sein, wo die Trillerpfe­ife das Tempo vorgibt. Da ändert sich viel. Aber es braucht immer häufiger qualifizie­rte Arbeitnehm­er, selbst wenn Roboter immer mehr machen.

„Es würde der Glaubwürdi­gkeit der Politik helfen, sich an die eigenen Worte zu erinnern.“

„Pflegerobo­ter sehe ich mit Grauen“

von Liebschwit­z: Um auf Marx zurückzuko­mmen. Der ist widerlegt. Natürlich will sich der Mensch mal auf die faule Haut legen und Pause machen. Aber der Mensch ist ehrgeizig, neugierig und strebt nach vorn. Allein dieses Streben wird dazu führen, dass wir aus uns heraus den Kommunismu­s höchstens für einen Monat haben wollen.

Kolakovic: Wettbewerb ist die Kraft der Evolution. Im globalen Wettbewerb werden wir mit fünf oder sechs Stunden pro Tagen nicht bestehen können.

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Archiv-Foto: Peter Michaelis Mihajlo Kolakovic ist in Inhaber einer Personalbe­ratung und Vorsitzend­er des CDU-Wirtschaft­srates in Thüringen.
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