Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Wirtschaftsrat: Soli-Ausstieg muss vollständig sein
Thüringer CDU-Wirtschaftsrat fordert von der neuen Bundesregierung die vollständige Soli-Abschaffung, eine Steuerreform und warnt vor Absenkung der Arbeitszeiten
Zu weit darf man Arbeitszeiten aus Sicht des CDU-Wirtschaftsrates nicht absenken. Es schade der Wettbewerbsfähigkeit.
Jena. Der Thüringer Landesverband des CDU-Wirtschaftsrates hat den im schwarz-roten Koalitionsvertrag vereinbarten Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag begrüßt. Allerdings müsse der Ausstieg vollständig sein, das habe die CDU versprochen, sagte Landesvorsitzender Mihajlo Kolakovic im Interview mit der OTZ. Ohnehin brauche es mit Blick auf die Vereinigten Staaten eine groß angelegte Steuerreform sowie eine Angleichung der Steuertarife innerhalb der Europäischen Union und weltweit.
Er kritisierte zudem, dass die Ungleichbehandlung von Unternehmen und der öffentlichen Hand bei befristeten Arbeitsverträgen anhalte. Unternehmen würden hier weiterhin benachteiligt. Nötig ist aus Sicht der CDU-nahen Organisation auch eine Flexibilisierung bestehender Arbeitszeitregelung. Es könne nicht sein, dass sich ein Unternehmen ungesetzlich verhalte, wenn ein Arbeitnehmer nach einer Pause am Abend im Ausnahmefall noch einmal zwei Stunden an seinem privaten Schreibtisch arbeite – und am nächsten Morgen ganz normal zur Arbeit geht. Die Regelungen entsprächen nicht mehr der Lebenswirklichkeit – besonders in Unternehmen der IT-Branche.
Jena. Noch ist der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD nicht in Kraft. Parteigremien oder bei der SPD die Mitglieder müssen über das Papier abstimmen. Viel SPD-Handschrift sagt man dem Vertragswerk nach – das findet auch der CDU-Wirtschaftsrat. Mit dem Thüringer Vorsitzenden Mihajlo Kolakovic und dem Geschäftsführer Andreas Elm von Liebschwitz haben wir über Steuern, Solidaritätszuschlag und die Zukunft der Arbeit gesprochen.
Im Koalitionsvertrag ist die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlags vereinbart. Das ist doch was.
Kolakovic: Ja, aber ob das nun gleich zu 100 Prozent kommt, wissen wir aktuell nicht. Zudem wird es verfassungsrechtlich wohl schwierig.
Also, dass den Soli nicht mehr alle zahlen müssen, sondern nur noch eine kleine Gruppe.
Kolakovic: Genau, das wird man prüfen müssen.
von Liebschwitz: Es ist auch fraglich, ob das ein gutes Signal an die Leistungsträger ist.
Kolakovic: Der Einstieg in den Ausstieg ist aber richtig. Aber der Ausstieg muss das Ziel sein. Man hat den Bürgern versprochen, den Soli nur für eine begrenzte Zeit zu erheben. Er darf keine zweite Sektsteuer werden. CDU und SPD haben es beide versprochen, die SPD wenigstens für kleine und mittlere Einkommen (Anm. d. Red.: Die Schaumweinsteuer ist 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt, 1933 auf null gesetzt und ab 1939 wieder erhoben worden). Andreas Elm von Liebschwitz, Geschäftsführer des CDUWirtschaftsrates in Thüringen
von Liebschwitz: Die Abschaffung war nicht nur Thema einer Partei. Es würde der Glaubwürdigkeit der Politik helfen, sich an die eigenen Worte zu erinnern. Ein Teilausstieg, der auch noch lange gestreckt wird, wäre sicher nicht optimal. Bis zum Ende der Legislatur sollte der Soli ersatzlos für alle gestrichen sein.
Kolakovic: Es geht auch nicht, dass Sozialneid geschürt und über die Teilabschaffung des Soli durch die Hintertür eine Reichensteuer eingeführt wird.
Ein anderes Steuerthema ist die kalte Progression, wenn man etwa durch eine Gehaltserhöhung oder einen Inflationsausgleich in einen höheren Steuertarif rutscht. Da soll es beim aktuellen Modus bleiben. Die Regierung schaut auf die Inflation und passt die Summen immer wieder an.
Kolakovic: Nichts Neues. Und das ist ein großer Fehler. Wir sind in einer Situation, in der das 1,6-Fache des Durchschnittsverdienstes bereits unter den höchsten Steuersatz fällt. Das ist absurd. In der Anfangszeit der Republik war es mal das 18-Fache. Nehmen wir das als Beispiel, müsste man heute die Grenze bei vielleicht 500 000 Euro pro Jahr ziehen. Jetzt ziehen wir sie schon bei einem gut verdienenden Facharbeiter. Das spielt viel Geld in die Staatskasse. (Anm. d. Red: Der Spitzensteuersatz lag etwa in den 60er-Jahren deutlich höher bei mehr als 50 Prozent, heute bei 42 Prozent plus Soli)
Die EU soll sich auf vergleichbare Steuern einigen, steht im Koalitionsvertrag. Wird das denn überhaupt irgendwann passieren?
Kolakovic: Das ist die große Frage. Die andere ist, ob es überall Angleichung geben sollte. Sozialleistungen sollten wir nicht überall angleichen. Ein gewisses Maß an Wettbewerb und die Möglichkeit zu atmen sollte es geben für die einzelnen Länder. Steuerlich sollten wir uns auf jeden Fall annähern. Es darf keinen Wettbewerb zwischen Irland und Frankreich geben, wer die niedrigsten Steuern verlangt, damit sich Firmen ansiedeln. Starbucks, Ikea und andere haben uns das gelehrt. Wir müssen versuchen, ein ähnliches Niveau hinzubekommen. Letztlich müssen wir ein weltweit vergleichbares Niveau erreichen. Was die Amerikaner gerade machen, wird uns dazu zwingen.
Die Amerikaner haben ihre Steuerreform durchgezogen – 21 Prozent für Unternehmen. Braucht Deutschland auch eine solche Reform?
Kolakovic: Die muss her, ganz sicher. Und sie wird auch Unternehmenssteuern betreffen. Ob das dann auch maximal 21 Prozent Steuern sein dürfen, weiß ich nicht. Bisher haben Länder mit sehr niedrigen Steuersätzen sehr davon profitiert. Die hatten plötzlich Unternehmenszentralen ohne Mitarbeiter in ihren Ländern. Bestes Beispiel war Irland. Die sind ganz ohne Industrie aufgeblüht. Die hatten nur Firmenzentralen. So kann es natürlich nicht bleiben. Da muss man sich in Europa einigen.
Und der Steuersatz? 21 Prozent sind eine Hausnummer.
Kolakovic: Wir sind ein absolutes Hochsteuerland. Der normale Durchschnittsverdiener zahlt 70 Prozent seines Einkommens für Sozialabgaben und Steuern. Es ist in die Tasche gelogen, dass der Arbeitgeberanteil vom Verdienst zu trennen ist. Eigentlich müsste ich einem Mitarbeiter, der 1000 Euro verdient, der den Arbeitgeber 1230 Euro kostet, sagen, dass er künftig 1230 Euro verdient. Davon gehen 46 Prozent für Sozialabgaben weg. Rentenversicherung, Pflegeversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung. Weitere 30 bis 40 Prozent vom Einkommen gehen auf die Lohnsteuer und Soli, da sind wir bei runden 70 bis 80 Prozent Abgabenlast. Würden wir so rechnen, wäre der Aufschrei des einzelnen Arbeitnehmers groß. Der Koalitionsvertrag sieht zudem Beschränkungen bei sachgrundloser Befristung und Leiharbeit vor.
Kolakovic: Wir brauchen in der deutschen Industrie Flexibilität. Die wird uns zunehmend genommen. Die vielgescholtene sachgrundlose Befristung ist eine unglaublich gute Brücke in den Arbeitsmarkt hinein. Wer derzeit arbeitslos ist und wieder in Arbeit kommen soll, für den ist das ein gutes Mittel. Die Beschränkung tut uns weh. Die Grenze von 75 Mitarbeitern bedeutet in Thüringen, dass in den meisten Betrieben nur eine sachgrundlose Befristung möglich ist. Einen zweiten Mitarbeiter darf man dann nicht mehr ohne Grund befristet einstellen. Das ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit gegenüber dem Öffentlichen Dienst, der ohnehin die meisten Befristungen zu verantworten hat. Und für den gibt es eine Ausnahmeklausel.
von Liebschwitz: Haben die nur für zwei Jahre eine Budgetfreigabe, dann gilt das als Sachgrund für eine Befristung. Wenn ich als Unternehmer mit einem Projekt komme, das finanziell befristet ist, gilt das nicht als Grund. Dieser Unterschied ist hanebüchen. Dass sich die CDU da nicht durchgesetzt hat, ist ein Problem. Wir hätten erstmal im öffentlichen Dienst sachgrundlose Befristungen streichen können.
Wenn wir jetzt ein Unternehmen nehmen, das vielleicht im Metall- und Elektro-Bereich tätig ist: Als Arbeitnehmer kann man mit dem neuen Tarifvertrag auf 28 Stunden Wochenarbeitszeit runtergehen.
Kolakovic: Höchstens für zwei Jahre.
Was heißt denn das fürs Unternehmen? Ist das nur schlecht?
Kolakovic: An dieser Stelle ja. Der Unternehmer kann nämlich schlecht planen. Eigentlich wollte die IG Metall es ja ohne Einschränkung durchsetzen. Gut ist, dass es die Einschränkung gibt, dass sich der Arbeitnehmer auf einen Zeitraum festlegen muss. Das erhält ein Stück Planungssicherheit. Natürlich fördert der Tarifvertrag paradoxerweise Befristungen. Denn für Mitarbeiter, die ihre Arbeitsstunden reduzieren, muss ich befristet jemanden einstellen, der die anfallende Arbeit übernimmt. Und auch eine begründete Befristung ist limitiert. Maximal auf zwei Jahre. Jemanden zu ersetzen, der nun seine Arbeitszeit reduziert, ist über eine Befristung natürlich schwieriger. Ohne das Rückkehrrecht war das leichter. Da konnte man jemand neues unbefristet anstellen.
von Liebschwitz: In der M&EBranche gibt es auch wenige anspruchslose Tätigkeiten. Wenn jetzt zehn Prozent ihre Arbeitszeit absenken wollen, wird die Arbeitsleistung schwerlich zu ersetzen sein. Das macht den Standort weniger attraktiv, wir haben ja ohnehin schon einen Mangel an Arbeitskräften. Das könnte Mehrarbeit für die anderen Mitarbeiter bedeuten.
Das lässt der Tarifvertrag zu.
Kolakovic: Es ist auch gut, dass das so im Tarifvertrag steht. Gut
ist, dass der Lohnausgleich für reduzierte Arbeitszeiten abgewehrt wurde. Das war absoluter Schwachsinn. Das hätte man anderen Arbeitnehmern nicht erklären können.
Es ist die oft Rede davon, dass die Digitalisierung so und so viele Arbeitsplätze vernichtet. Die Arbeitswelt ändert sich.
Kolakovic: Wir brauchen dringend eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, am besten auf individueller Ebene. Wenn ich mich in Jena in der Firmenlandschaft umschaue, gibt es alle möglichen Sonderregelungen. Home Office, arbeiten für ein paar Wochen im Ausland. Dafür müssen individuelle Regeln möglich sein. Daran kranken gerade die Personalabteilungen: Es braucht für vieles Sondervereinbarungen. Wenn jemand sagt, dass bis 20 Uhr Familienleben ist und dann sitzt er noch mal für zwei Stunden am Schreibtisch. Derzeit lassen das die Arbeitszeitgesetze nicht zu, wenn derjenige morgens um sieben wieder anfangen will zu arbeiten. Die Ruhezeiten verbieten das, der Arbeitgeber macht sich dann strafbar.
von Liebschwitz: Die niedrigschwelligen Tätigkeiten wie am Fließband werden starr bleiben bei den Arbeitszeiten. Aber im Zuge der Digitalisierung ändern sich auch Berufsbilder. Man kann nicht jedes Mal dokumentieren, wenn man um 21 Uhr mal für zehn Minuten eine E-Mail beantwortet. Weniger Regulierung wäre hier wichtig. Natürlich braucht es einen klaren Rahmen, aber innerhalb des Rahmens
brauchen wir Freiheit, wenn zu viele Regeln Produktivität und Kreativität bremsen.
Marx hat schon im vorletzten Jahrhundert darüber sinniert, dass irgendwann die tägliche Arbeitszeit deutlich unter das heutige Niveau sinken könnte, vielleicht auf sechs oder fünf Stunden. Wäre das mit immer mehr Technik nicht möglich?
Kolakovic: Vielleicht in manchen Bereichen. Aber wird das in allen Dienstleistungsbereichen zutreffen? Den Pflegeroboter sehe ich mit einem gewissen Grauen. Selbst bei Fließbandarbeit gibt es ja immer mehr Möglichkeiten, es müssen nicht mehr ganz starre Schicht-Zeiten sein, wo die Trillerpfeife das Tempo vorgibt. Da ändert sich viel. Aber es braucht immer häufiger qualifizierte Arbeitnehmer, selbst wenn Roboter immer mehr machen.
„Es würde der Glaubwürdigkeit der Politik helfen, sich an die eigenen Worte zu erinnern.“
„Pflegeroboter sehe ich mit Grauen“
von Liebschwitz: Um auf Marx zurückzukommen. Der ist widerlegt. Natürlich will sich der Mensch mal auf die faule Haut legen und Pause machen. Aber der Mensch ist ehrgeizig, neugierig und strebt nach vorn. Allein dieses Streben wird dazu führen, dass wir aus uns heraus den Kommunismus höchstens für einen Monat haben wollen.
Kolakovic: Wettbewerb ist die Kraft der Evolution. Im globalen Wettbewerb werden wir mit fünf oder sechs Stunden pro Tagen nicht bestehen können.