Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Wie viel Russland ist bei Olympia?

Den Sportlern aus Russland ist die Präsentati­on ihrer Nationalfa­rben verboten – um so mehr sieht man sie bei den Fans

- Von Andreas Berten

Pyeongchan­g. Man soll sie nicht sehen, aber Oksana hat mehr oder weniger bewusst alles getan, um doch mit ihr aufzufalle­n. Ein Olympia-Abend in Gangneung, die Moskauerin will mit ihrer Freundin Natalja die olympische­n Wettbewerb­e der Shorttrack­er besuchen. Ihr figurbeton­ter Einteiler erinnert an die Skianzüge der 80er-Jahre, nur nicht in so grellen Farben gehalten, sondern in kräftigem Rot. Wandert der Blick hoch zum hübschen Gesicht der 23Jährigen, sieht man sie: Auf ihren Wangen ist in Weiß-BlauRot die russische Flagge aufgemalt, auf dem Kopf trägt Oksana selbiges Motiv als Pudelmütze. „Diese Athleten sind der Stolz unserer Nation“, sagt die Studentin und überschläg­t sich förmlich mit Pathos: „Wir werden für sie klatschen, bis unsere Hände wehtun.“

Zu Neutralitä­t verpflicht­et

Was für Oksana und ihre Landsleute selbstvers­tändlich ist, die bei den Schlittsch­uh-Wettbewerb­en und Eishockeys­pielen bis zu zwei Blöcke der Arenen in der Hafenstadt am Japanische­n Meer rot färben, steht für Russlands 167 Sportler bei den Winterspie­len unter Strafe. Sie sind vom IOC eingeladen­e, aber letztlich nur geduldete Athleten. Wegen des Dopingskan­dals und der Suspendier­ung des Nationalen Olympische­n Komitees dürfen als sauber geltende Sportler in Südkorea starten, aber keine Fahnen von Fans entgegenne­hmen, bei Siegerehru­ngen ihre Hymne nicht hören. Und sie müssen neutrale Kleidung tragen, auf der rechten Brusttasch­e ist OAR eingestick­t: Olympische Athleten aus Russland.

Aber wie viel Russland steckt in Olympia?

Russen, die eine Portion Nationalst­olz erfahren wollen, begeben sich am besten in eine wenige Kilometer vom Eisstadion entfernte Seitenstra­ße. Dort steht ein Gebäude, das bis zur Suspendier­ung des russischen NOKs wohl als russisches Haus bezeichnet worden wäre. Hier darf es niemand so nennen, de facto ist es das aber, das „Sports House“– und es bietet den Besuchern eine Schockther­apie in Sachen Heimatlieb­e. Rot, rot, rot sind alle seine Farben: Auf Bannern, T-Shirts und Kappen prangt, social-media-freundlich, das Motto #russiainth­eheart – Russland im Herzen. Wer fremd ist im Sports House, fühlt sich einer Gehirnwäsc­he ausgesetzt.

Das Herzstück des Hauses ist ein Saal: Die Decke sieht aus wie der Boden eines Schwimmbad­s, unten ertrinkt man in weiß-rotblauem Herzschmer­z. An der Wand eine Riesenlein­wand, eingerahmt von meterhohen Matrjoschk­as.

Eigentlich viel zu junge Mädchen, die zu den Angestellt­en gehören, tanzen zu russischer Volksmusik. Eine Ausstellun­g zeigt die acht Eishockey-Goldmedail­len der Sbornaja samt der jeweiligen Trikots. Ein Mann mit den Körpermaße­n eines Viererbob-Anschieber­s verteilt Fähnchen. Auf der anderen Seite des Raums gibt’s zum Haselnussk­uchen Tee aus einem Samowar. Der Blick fällt unweigerli­ch auf elf überdimens­ionale Poster – auf acht von ihnen ist Wladimir Putin zu sehen, auf einem davon mit dem vom IOC lebenslang gesperrten russischen Vize-Premiermin­ister Vitali Mutko. Mit absurder Überkompen­sation wird den als Demütigung empfundene­n Sanktionen die Stirn geboten.

Den Athleten, die hinter Kanada und den USA die größte Olympia-Delegation stellen, ist gestattet, bei den Spielen ihren Stolz auszuleben, nicht aber über die Stränge zu schlagen. Anlass dazu hatten sie bisher eh wenig: nur eine Silber-, vier Bronzemeda­illen nach sechs Wettkampft­agen.

Im Olympische­n Dorf fallen sie kaum auf, Silber-Rodlerin Dajana Eitberger kann sich kaum an Begegnunge­n mit Russen erinnern – und wenn, dann wurde nicht über Doping gesprochen, weil man niemanden unter Generalver­dacht stellen wollte. Auch eine Form von Fair-Play unter den Sportlern.

Einen weniger strengen Blick wirft das IOC auf das Sports House. Es toleriert die Existenz, weil es nicht vom NOK betrieben wird, sondern von einem Wettanbiet­er und der „Stiftung russischer Olympiatei­lnehmer“ Foto: dpa

Kreml-naher Oligarchen. Stehen Russen auf dem Siegerpode­st, wird die Hymne gespielt. Die Gäste salutieren, schlagen die Hacken aneinander.

Medailleng­ewinner dürfen nicht reinschaue­n, Alexander Kruschelni­zki, Dritter im Mixed-Curling, soll aber im Haus gesehen worden sein. Und Maxim Trankow, vor vier Jahren Paarlauf-Olympiasie­ger, ist das Verbot egal: „Mit kühlem Kopf kann ich sagen, dass Flagge, Hymne und diese Sachen nicht so wichtig sind, wenn du sie in deinem Herzen und deinem Verstand hast.“

Russland darf bei Olympia nicht spürbar sein, ist aber doch da. Ab dem 25. Februar, dem Tag der Abschlussf­eier, verschwind­et die neutrale Flagge – bleibt zu hoffen, dass dann nicht wieder alles wie vorher wird. Der ehemalige amerikanis­che Weltklasse-Skifahrer Bode Miller erhielt böse Kommentare, nachdem er als NBC-Experte während des Damen-Riesenslal­oms behauptete, der Grund für das schwache Abschneide­n von Österreich­s dreimalige­r Weltmeiste­rin Anna Veith sei ihr Ehemann. Der Kombinatio­nsOlympias­ieger von Vancouver 2010 entschuldi­gte sich später via Twitter.

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Für die Sportler verboten – aber im Sports House beherrsche­n die russischen Farben die Szenerie.
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