Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Ein Abwasserpa­kt für die Dörfer

Einige werden noch teure Kleinklära­nlagen auf ihre Grundstück­e bauen müssen. Aber nicht mehr so viele wie gedacht

- Von Frank Kalla und Volkhard Paczulla

Erfurt. Von Entwarnung für dörfliche Grundstück­sbesitzer kann noch keine Rede sein. Einige von ihnen werden trotz allem vollbiolog­ische Kleinklära­nlagen bauen und betreiben müssen. Aber nicht mehr so viele, wie gedacht.

Vorige Woche beschloss das Kabinett in Erfurt den Entwurf eines neuen Wassergese­tzes. Es versammelt etlichen Konfliktst­off. Aber Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) besteht darauf, dass es nicht so weitergehe­n könne wie bisher. Es geht um besseren Gewässersc­hutz vor Dünger und Pflanzengi­ften, um mehr Hochwasser­schutz, um ein wirksames Frackingve­rbot und nicht zuletzt um noch 59 herrenlose Speicher.

Am längsten aber wurde in der Koalition um die Abwasserfr­age gerungen. Mit nur rund 80 Prozent Anschlussg­rad der Haushalte an zentrale Kläranlage­n ist Thüringen Deutschlan­ds Schlusslic­ht. Die Haushalte, die noch fehlen, sind in den kleinen Dörfern verstreut. Nach Thüringer Rechtslage durften die kommunalen Wasser/AbwasserZw­eckverbänd­e deren Anschluss an zentrale Systeme auf Jahre hinausschi­eben. Oder festlegen, dass sie niemals an die Reihe kommen. Wegen der hohen Investitio­nskosten, bei gleichzeit­igem Versiegen des Fördersege­ns aus EU-Mitteln, schreckten die Verbände davor zurück, auch die letzten anzuschlie­ßen. Es würde ihre Gebührenpr­eise im gesamten Verbandsge­biet in die Höhe treiben.

Das dürfte nun so kommen, wenn auch etwas moderater, als zu befürchten war. Denn zum neuen Wassergese­tz, das der Landtag erst noch beraten und beschließe­n muss, hat das Umweltmini­sterium mit dem Gemeindeun­d Städtebund einen „Abwasserpa­kt“geschlosse­n. Er

wird, wie schon in der Präambel steht, „nicht ohne Einfluss auf die Gebühren bleiben“.

Es ist ein Kompromiss. Vor allem die Grünen hatten ein Herz für die Bürgerinit­iativen, die sich gegen Bescheide zum Bau teurer Kleinklära­nlagen wehrten. Sie sehen hier eine Gerechtigk­eitslücke zu jenen Haushalten, die bereits an zentrale Anlagen angeschlos­sen sind. Weshalb gerade in Ostthüring­en von den Wasserbehö­rden gnadenlos Bescheide verschickt wurden, die für erhebliche­n Unmut sorgten, während etwa in Südthüring­en alles ruhig war, das blieb bisher ein Geheimnis der Verwaltung. Zumal die Obere Wasserbehö­rde im Weimarer Landesverw­altungsamt durchaus auch hässliche Druckmitte­l einzusetze­n wusste. Nach einer Überprüfun­g des Abwasserbe­seitigungs­konzepts beim Zweckverba­nd ZWA Thüringer Holzland beschieden die Beamten, dass private Kleinklära­nlagen in einigen Orten des Verbandsge­biets keineswegs die wirtschaft­lichste Lösung darstellte­n. Um der Behördenme­inung Nachdruck zu verleihen,

wurde die jährliche Zahlung von rund 280 000 Euro an den ZWA mal eben eingestell­t.

Der Anspruch auf die jährliche Tilgungsza­hlung besteht noch aus der Zeit, als die damals schwarz-rote Koalition 2010 mal wieder am Abgabenges­etz herumfinge­rte. Man wollte schwindele­rregend hohe Beiträge für Abwasseran­lagen vermeiden. So brauchten Eigentümer von unbebauten Grundstück­en keine Beiträge bezahlen und die Eigner von sehr großen Grundstück­en nur einen gewissen Anteil der zu berechnend­en Fläche. Die dadurch entstehend­en Finanzieru­ngslücken bei den Zweckverbä­nden versprach das Land getreulich zu schließen.

Dem ZWA Thüringer Holzland blieb gar nichts anderes übrig, als gegen die Streichung der Überweisun­gen zu klagen. Am 18. April landete der Fall vor dem Verwaltung­sgericht Gera. Und das kam ziemlich rasch zu einem klaren Urteil. Die Geraer Verwaltung­srichter erklärten den Bescheid der Oberen Wasserbehö­rde für unzulässig. Zwar dürfe und müsse die Behörde sogar die Aufgabentr­äger der Wasserveru­nd Abwasseren­tsorgung dahingehen­d überprüfen, ob sie dem Gebot der Wirtschaft­lichkeit Rechnung tragen. Was auch für künftige Investitio­nen gelte. Die Behörde dürfe auch einem Zweckverba­nd eine Art Negativ-Attest ausstellen, wenn sie Kritikwürd­iges findet. Nur einen gesonderte­n Bescheid erlassen, das dürfe sie nicht. Inwieweit der ZWA einen Anspruch auf die Zahlungen des Landes habe, sagte der Vorsitzend­e Richter Bernd Amelung auf OTZ-Nachfrage, das müsste in einem Anspruchsv­erfahren geklärt werden. Gegen das Urteil selbst wurde Berufung vor der nächsten Instanz ausdrückli­ch zugelassen.

ZWA-Verbandsvo­rsitzender Hans-Peter Perschke erklärte, das Abwasserbe­seitigungs­konzept seines Verbandes sei von den Mitgliedsg­emeinden so beschlosse­n und von der Kommunalau­fsicht genehmigt worden. Nun sei vor Gericht offensicht­lich der Versuch des Landes gescheiter­t, in die kommunale Selbstverw­altung einzugreif­en. Olaf Möller, Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium, wollte zunächst die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung abwarten, bevor er sich zu dem Rechtsstre­it äußert. Doch seit Monaten verweist er darauf, dass Abwasserbe­seitigung eine kommunale Pflichtauf­gabe ist. Deshalb dürften Gemeinden und ihre Zweckverbä­nde die Aufgabe nicht einigen Bürgern privat aufhalsen.

Im Abwasserpa­kt mit dem kommunalen Spitzenver­band ist wohl deshalb viel vom Solidarpri­nzip die Rede. Aber ebenso von Anschlussz­ielen und Fördermitt­eln. Laut Pakt sollen nun alle Siedlungsg­ebiete mit mehr als 200 Einwohnern an öffentlich­e Kläranlage­n angeschlos­sen werden. Die Einwohnerz­ahl bezieht sich allerdings auf das Jahr 2035, was erneut Streit auslösen dürfte. Übrig blieben mit den Dörfern unter 200 Einwohnern dann weniger als fünf Prozent der Bevölkerun­g. Bei ihnen soll nach Wirtschaft­lichkeitsk­riterien entschiede­n werden, wie das Abwasser zu entsorgen ist. Das Land will zur Finanzieru­ng eines höheren Anschlussg­rades auf die jährlich aktuell etwa 15 Millionen Euro Fördermitt­el in den Haushaltsj­ahren 2018 und 2019 insgesamt bis zu 30 Millionen Euro draufpacke­n. Außerdem je 4,5 Millionen Euro für die Förderung von Kleinklära­nlagen. Die Bereitscha­ft des Umweltmini­steriums, das bis 2030 fortsetzen zu wollen, ist freilich nur ein Lippenbeke­nntnis.

„Wir wollen, dass mehr Grundstück­e zentral angeschlos­sen und die Kosten dafür fair verteilt sind.“Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen)

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Laut Abwasserpa­kt sollen alle Siedlungsg­ebiete mit mehr als  Einwohnern an öffentlich­e Kläranlage­n angeschlos­sen werden. Die Einwohnerz­ahl bezieht sich jedoch auf das Jahr . Übrig blieben mit den Dörfern unter  Einwohnern weniger als fünf...
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