Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Ein Abwasserpakt für die Dörfer
Einige werden noch teure Kleinkläranlagen auf ihre Grundstücke bauen müssen. Aber nicht mehr so viele wie gedacht
Erfurt. Von Entwarnung für dörfliche Grundstücksbesitzer kann noch keine Rede sein. Einige von ihnen werden trotz allem vollbiologische Kleinkläranlagen bauen und betreiben müssen. Aber nicht mehr so viele, wie gedacht.
Vorige Woche beschloss das Kabinett in Erfurt den Entwurf eines neuen Wassergesetzes. Es versammelt etlichen Konfliktstoff. Aber Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) besteht darauf, dass es nicht so weitergehen könne wie bisher. Es geht um besseren Gewässerschutz vor Dünger und Pflanzengiften, um mehr Hochwasserschutz, um ein wirksames Frackingverbot und nicht zuletzt um noch 59 herrenlose Speicher.
Am längsten aber wurde in der Koalition um die Abwasserfrage gerungen. Mit nur rund 80 Prozent Anschlussgrad der Haushalte an zentrale Kläranlagen ist Thüringen Deutschlands Schlusslicht. Die Haushalte, die noch fehlen, sind in den kleinen Dörfern verstreut. Nach Thüringer Rechtslage durften die kommunalen Wasser/AbwasserZweckverbände deren Anschluss an zentrale Systeme auf Jahre hinausschieben. Oder festlegen, dass sie niemals an die Reihe kommen. Wegen der hohen Investitionskosten, bei gleichzeitigem Versiegen des Fördersegens aus EU-Mitteln, schreckten die Verbände davor zurück, auch die letzten anzuschließen. Es würde ihre Gebührenpreise im gesamten Verbandsgebiet in die Höhe treiben.
Das dürfte nun so kommen, wenn auch etwas moderater, als zu befürchten war. Denn zum neuen Wassergesetz, das der Landtag erst noch beraten und beschließen muss, hat das Umweltministerium mit dem Gemeindeund Städtebund einen „Abwasserpakt“geschlossen. Er
wird, wie schon in der Präambel steht, „nicht ohne Einfluss auf die Gebühren bleiben“.
Es ist ein Kompromiss. Vor allem die Grünen hatten ein Herz für die Bürgerinitiativen, die sich gegen Bescheide zum Bau teurer Kleinkläranlagen wehrten. Sie sehen hier eine Gerechtigkeitslücke zu jenen Haushalten, die bereits an zentrale Anlagen angeschlossen sind. Weshalb gerade in Ostthüringen von den Wasserbehörden gnadenlos Bescheide verschickt wurden, die für erheblichen Unmut sorgten, während etwa in Südthüringen alles ruhig war, das blieb bisher ein Geheimnis der Verwaltung. Zumal die Obere Wasserbehörde im Weimarer Landesverwaltungsamt durchaus auch hässliche Druckmittel einzusetzen wusste. Nach einer Überprüfung des Abwasserbeseitigungskonzepts beim Zweckverband ZWA Thüringer Holzland beschieden die Beamten, dass private Kleinkläranlagen in einigen Orten des Verbandsgebiets keineswegs die wirtschaftlichste Lösung darstellten. Um der Behördenmeinung Nachdruck zu verleihen,
wurde die jährliche Zahlung von rund 280 000 Euro an den ZWA mal eben eingestellt.
Der Anspruch auf die jährliche Tilgungszahlung besteht noch aus der Zeit, als die damals schwarz-rote Koalition 2010 mal wieder am Abgabengesetz herumfingerte. Man wollte schwindelerregend hohe Beiträge für Abwasseranlagen vermeiden. So brauchten Eigentümer von unbebauten Grundstücken keine Beiträge bezahlen und die Eigner von sehr großen Grundstücken nur einen gewissen Anteil der zu berechnenden Fläche. Die dadurch entstehenden Finanzierungslücken bei den Zweckverbänden versprach das Land getreulich zu schließen.
Dem ZWA Thüringer Holzland blieb gar nichts anderes übrig, als gegen die Streichung der Überweisungen zu klagen. Am 18. April landete der Fall vor dem Verwaltungsgericht Gera. Und das kam ziemlich rasch zu einem klaren Urteil. Die Geraer Verwaltungsrichter erklärten den Bescheid der Oberen Wasserbehörde für unzulässig. Zwar dürfe und müsse die Behörde sogar die Aufgabenträger der Wasserverund Abwasserentsorgung dahingehend überprüfen, ob sie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Rechnung tragen. Was auch für künftige Investitionen gelte. Die Behörde dürfe auch einem Zweckverband eine Art Negativ-Attest ausstellen, wenn sie Kritikwürdiges findet. Nur einen gesonderten Bescheid erlassen, das dürfe sie nicht. Inwieweit der ZWA einen Anspruch auf die Zahlungen des Landes habe, sagte der Vorsitzende Richter Bernd Amelung auf OTZ-Nachfrage, das müsste in einem Anspruchsverfahren geklärt werden. Gegen das Urteil selbst wurde Berufung vor der nächsten Instanz ausdrücklich zugelassen.
ZWA-Verbandsvorsitzender Hans-Peter Perschke erklärte, das Abwasserbeseitigungskonzept seines Verbandes sei von den Mitgliedsgemeinden so beschlossen und von der Kommunalaufsicht genehmigt worden. Nun sei vor Gericht offensichtlich der Versuch des Landes gescheitert, in die kommunale Selbstverwaltung einzugreifen. Olaf Möller, Staatssekretär im Umweltministerium, wollte zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, bevor er sich zu dem Rechtsstreit äußert. Doch seit Monaten verweist er darauf, dass Abwasserbeseitigung eine kommunale Pflichtaufgabe ist. Deshalb dürften Gemeinden und ihre Zweckverbände die Aufgabe nicht einigen Bürgern privat aufhalsen.
Im Abwasserpakt mit dem kommunalen Spitzenverband ist wohl deshalb viel vom Solidarprinzip die Rede. Aber ebenso von Anschlusszielen und Fördermitteln. Laut Pakt sollen nun alle Siedlungsgebiete mit mehr als 200 Einwohnern an öffentliche Kläranlagen angeschlossen werden. Die Einwohnerzahl bezieht sich allerdings auf das Jahr 2035, was erneut Streit auslösen dürfte. Übrig blieben mit den Dörfern unter 200 Einwohnern dann weniger als fünf Prozent der Bevölkerung. Bei ihnen soll nach Wirtschaftlichkeitskriterien entschieden werden, wie das Abwasser zu entsorgen ist. Das Land will zur Finanzierung eines höheren Anschlussgrades auf die jährlich aktuell etwa 15 Millionen Euro Fördermittel in den Haushaltsjahren 2018 und 2019 insgesamt bis zu 30 Millionen Euro draufpacken. Außerdem je 4,5 Millionen Euro für die Förderung von Kleinkläranlagen. Die Bereitschaft des Umweltministeriums, das bis 2030 fortsetzen zu wollen, ist freilich nur ein Lippenbekenntnis.
„Wir wollen, dass mehr Grundstücke zentral angeschlossen und die Kosten dafür fair verteilt sind.“Umweltministerin Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen)