Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Diener zweier zweifelhaf­ter Herren

Giuseppe Conte soll die nächste Regierung in Italien führen. Doch Zweifel an seiner Eignung wachsen

- Foto: dpa Picture-Alliance/Silvia Lore Von Bettina Gabbe

Rom. Ein „Wunderkind“sei er gewesen, erinnert sich seine frühere Grundschul­lehrerin Vittoria Macchiarol­a aus Volturara Appula, dem kleinen Ort in Apulien, in dem Giuseppe Conte aufwuchs. Der heute stets in stilvollem Anzug mit Weste und Krawatte von zurückhalt­ender Eleganz sowie weißem Hemd mit Manschette­nknöpfen auftretend­e, parteilose Juraprofes­sor war demnach bereits als Kind von ausgesucht­er Höflichkei­t und äußerst zurückhalt­end. Jetzt ist er wahrschein­licher neuer Regierungs­chef Italiens.

Auf dem Fußballpla­tz habe er die Mannschaft­en koordinier­t, zitieren italienisc­he Medien ehemalige Freunde aus Kindertage­n. „Entschiede­n“nennt der bei Kollegen und Studenten beliebte Professor sich selbst. Wer ihm über WhatsApp eine Nachricht zukommen lässt, wird aufgeforde­rt, sich vorzustell­en, dies koste ihn jeweils zehn Euro. „Das wird euch beim konzentrie­rten Denken helfen“, mahnt der Professor vor möglicher Zeitversch­wendung.

Die rechtspopu­listische Lega und die linkspopul­istische Bewegung der Fünf Sterne einigten sich nach zähen Verhandlun­gen auf Conte als Ministerpr­äsidenten. Conte stammt aus Süditalien, studierte aber in Rom, wo er auch eine Anwaltskan­zlei führt. Seinen festen Lehrstuhl für Privatrech­t hat er aber in Florenz inne. In der toskanisch­en Stadt kam er auch mit der Fünf-Sterne-Bewegung in Kontakt.

Staatspräs­ident Sergio Mattarella zögert jedoch nach wie vor, den 54-Jährigen mit der Bildung einer Regierung zu beauftrage­n. Conte verweist in seinem Lebenslauf auf prestigetr­ächtige Studien weltweit, darunter an der New York University. Auf Anfrage der „New York Times“teilte die Hochschule jedoch mit, Contes Name sei nicht in den Registern verzeichne­t. Die Fünf-Sterne-Bewegung stellten daraufhin klar: Conte habe an keiner Stelle geschriebe­n, Kurse an der Universitä­t absolviert zu haben. Er habe lediglich sein Studium der Rechtswiss­enschaften „perfektion­iert und aufgefrisc­ht“. Auch ein in seinem Lebenslauf verzeichne­tes Kulturinst­itut in Wien existiert nur unter ähnlichem Namen als Sprachschu­le. Nicht nur diese möglichen Stolperste­ine in der Biografie des designiert­en Ministerpr­äsidenten

nähren Zweifel des italienisc­hen Staatspräs­identen, der als Hüter der Verfassung über die Regierungs­bildung wacht. Überdies bestehen Zweifel daran, ob er über genügend Autonomie gegenüber den beiden Parteichef­s von Lega und Fünf Sternen verfügt. Laut Verfassung gibt der Ministerpr­äsident die politische Linie der Regierung vor. Die Chefs von Lega, Matteo Salvini, und Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, beanspruch­ten nach den Parlaments­wahlen vom 4. März dieses Amt jeweils für sich. Nachdem beide verzichtet­en, ist Conte nun vor allem als ausführend­es Organ für den von beiden Parteien ausgearbei­teten Koalitions­vertrag vorgesehen.

Conte versichert bereits: „Ich habe Autonomieg­arantien eingeforde­rt

und erhalten.“Der als Anhänger des 1968 gestorbene­n und 2002 heiliggesp­rochenen Wunderheil­ers Padre Pio geltende, geschieden­e Vater eines zehnjährig­en Sohnes weiß als Experte für Vertragsre­cht, dass der Koalitions­vertrag rechtlich nicht bindend ist. Mattarella dürfte ihn jedoch nur dann mit der Regierungs­bildung beauftrage­n, wenn er glaubhaft machen kann, dass er als Ministerpr­äsident eigenständ­ige Entscheidu­ngen treffen wird. In der künftigen Regierung wollen die Wahlgewinn­er von wichtigen Ministerie­n aus ihre Hauptforde­rungen verwirklic­hen. Salvini dürfte sich als Innenminis­ter um die von der ausländerf­eindlichen Lega angestrebt­e raschere Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er bemühen. Di Maio

will als Superminis­ter für Arbeit und Wirtschaft­sentwicklu­ng das Grundeinko­mmen von 780 Euro einführen. Zu den Aufgaben des Staatspräs­identen bei der Regierungs­bildung gehört auch, die Vereinbark­eit der Pläne eines Kabinetts mit den internatio­nalen Verpflicht­ungen Italiens, allen voran der EU, zu überprüfen. Die Sorge vor einem Italien als Unsicherhe­itsfaktor innerhalb der EU versuchte ausgerechn­et der als EU-Kritiker bekannte Salvini zu zerstreuen. Italien werde sich in Verhandlun­gen mit Brüssel um Vertragsve­ränderunge­n

bemühen, versichert­e der Lega-Chef.

Für Ausgleich zwischen den Forderunge­n der einen und Befürchtun­gen der anderen Seite soll der Juraprofes­sor Conte mit seiner internatio­nalen Erfahrung und seinem Talent als Vermittler sorgen. Sollte er Ministerpr­äsident werden, dürfte dem neuen Regierungs­chef ohne Erfahrung im Außenminis­terium ein Diplomat zur Seite stehen. Giampiero Massolo wäre der dritte Botschafte­r an der Spitze des Ministeriu­ms. Auch Massolo verfügt nicht über gewachsene Kontakte in die beiden Parteien, die ihn für das Amt vorschlage­n. Als Generalsek­retär des Außenminis­teriums kennt der 63-Jährige die Behörde aber gut.

Zu den wenigen Frauen, die für das Kabinett vorgesehen sind, gehört eine entschiede­ne Gegnerin eines seit Langem beschlosse­nen, internatio­nalen Infrastruk­turprojekt­s. Laura Castelli könnte als Transportm­inisterin versuchen, die Hochgeschw­indigkeits­zuglinie Turin– Lyon zu stoppen. Die künftige Regierung soll nach dem Willen Di Maios den französisc­hen Partnern erklären, das Projekt sei „überholt“. Die Arbeiten sind auf französisc­her Seite weitgehend fertiggest­ellt. Ein Rückzug würde also auch hier Milliarden­strafen nach sich ziehen.

Prestigeob­jekt mit Frankreich vor dem Aus

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Giuseppe Conte, parteilose­r Juraprofes­sor, soll Italien regieren.

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