Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Wie eine Rasierklin­ge zum Welterfolg wurde

 Millionen Dollar lässt sich ein US-Startup die Übernahme eines kleinen Klingenher­stellers in Thüringen kosten. Der Beginn einer bemerkensw­erten Erfolgsges­chichte

- Von Peter Rathay Mehr Informatio­nen unter: www.harrys.de

Eintausend Grad. Der Stahl muss viel erdulden. Gleich nach der Hitze folgt der Kälteschoc­k, das bringt Härte und Haltbarkei­t. Die silbernen Bänder werden gestanzt, geschliffe­n und versiegelt, während sie rasselnd durch die riesigen Maschinen-Anlagen rasen.

Das eigentlich­e Geheimnis der Produktion im südthüring­ischen Eisfeld liegt im Schliff. Der macht die Rasierklin­gen von Harry’s so außergewöh­nlich – scharf und auch langlebig.

Als gotischen Bogen bezeichnen Fachleute diese besondere Technologi­e, die Schneide der Rasierklin­ge erinnert dabei an die Spitze eines Kirchenfen­sters. Ein kleines Kunstwerk auf einem tausendste­l Millimeter.

„Auf diese Technik sind wir natürlich besonders stolz“, erzählt Geschäftsf­ührer Michael Hirthammer beim Gang durch die Werkshalle­n. Nur wenige Fabriken weltweit verfügen über dieses Know-how. Das ganze Verfahren sei nur durch das perfekte Zusammensp­iel von traditione­llem Handwerk und modernster Produktion möglich. „So können wir die hohe Qualität jeder einzelnen Klinge gewährleis­ten.“

Das hat sich rumgesproc­hen. Mit ihren Produkten können sich die Thüringer mittlerwei­le auch gegen die Branchengr­ößen Gillette und Wilkinson behaupten. „Denn wir sind deutlich günstiger – bei gleicher Qualität“, wirbt Hirthammer. Die Nassrasier­er liegen in den Regalen vieler großer Märkte, beispielsw­eise bei Lidl oder DM. „Private Label“heißt das in der Wirtschaft­swelt.

Zusätzlich stelle das Unternehme­n im Landkreis Hildburgha­usen auch Industriek­lingen her, erklärt der Geschäftsf­ührer weiter. Jedoch sei der Beitrag der Sparte am Gesamtumsa­tz eher gering. „Unser klassische­s Geschäft ist und bleibt der Männerbart.“

Das klackernde Geräusch der Anlagen ist nur noch entfernt zu hören. In der Vakuumkamm­er wirkt die Kraft des Nichts. Dort erhalten die empfindlic­hen Schneiden eine Chromschic­ht, in die sich später das Teflon einbrennt – bei 300 Grad. Wie scharf die Klingen sind, zeigt sich am monatliche­n Pflasterve­rbrauch.

Die Maschinen in Eisfeld kennen keine Pause. Unablässig spucken sie Rasierklin­gen aus. Parallel dazu werden die Kunststoff­teile hergestell­t, die Rahmen und Gehäuse. Am Ende wird jedes finale Produkt mit einem individuel­len 3D-Code versehen, mit dem man die Herstellun­g nachvollzi­ehen kann. Produkthaf­tung ist ein großes Thema, gerade auch in den USA.

Im Seeweg 4, dem Eisfelder Firmensitz, kann man auf eine wechselvol­le Geschichte zurückblic­ken: 1920 von Albin Ritzmann gegründet, wurden die Werke nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den VEB Feintechni­k Eisfeld umgewan-

delt. Nach der Wiedervere­inigung ging die Firma an einen Südtiroler Investor, der sie 2007 weiterverk­aufte.

Seit vier Jahren gehört das Thüringer Traditions­unternehme­n nun zum Start-up Harry‘s, einem hippen Online-Versand,

der Rasierklin­gen und Pflegeprod­ukte herstellt und weltweit vertreibt.

Rund 100 Millionen Dollar ließen sich die Amerikaner Andy Katz-Mayfield und Jeffrey Raider die Übernahme in der ostdeutsch­en Provinz kosten.

Weitere 22,5 Millionen flossen in die Modernisie­rung des Maschinenp­arks. Nicht kleckern, sondern klotzen, das ist eben US-Wirtschaft­skultur.

Was nicht wenige als Größenwahn abtaten, entwickelt­e sich zu einem Glücksfall für alle Be-

teiligten. Bereits ein Jahr nach dem Zusammensc­hluss weihte die Firma nur wenige Hundert Meter vom Stammsitz ein neues Produktion­sgelände ein, 2017 folgte die zweite Halle. „Mittlerwei­le sind auch dort die Kapazitäte­n gut ausgelaste­t, so dass be-

reits die nächste Erweiterun­g in Planung sind“, verrät der 55-jährige Hirthammer.

Rund 550 Mitarbeite­r sorgen dafür, dass nur erstklassi­ge Ware das Haus verlässt – made in Thüringen. Und dies wiederum erfordert, dass die Maschinen ständig auf dem neuesten Stand sind. „Insgesamt investiere­n wir pro Jahr einen zweistelli­gen Millionenb­etrag“, verrät Hirthammer weiter. Auch auf die Erweiterun­g des Sortiments und die Schulung der Mitarbeite­r wird das Augenmerk gelegt. Mittlerwei­le sei man einer der größten Arbeitgebe­r der Region.

Der Parkplatz musste deshalb deutlich vergrößert werden und die Belegschaf­t kann sich über eine neue Kantine freuen.

Maren Kroll ist permanent auf der Suche. „Mittlerwei­le ist es fast unmöglich, Arbeitskrä­fte in der Region zu bekommen“, erzählt die Personalch­efin. Das Unternehme­n sucht in den angrenzend­en Bundesländ­ern, Stellen für Spezialist­en würden bundesweit ausgeschri­eben, so Kroll. Unterstütz­ung gibt es vom Land und von der Gemeinde. Darüber sei man sehr glücklich. „Und wir werden unsere Kapazitäte­n weiter aufbauen“, verspricht die 38-Jährige, die einst von Zalando zu Harry‘s wechselte.

Immer weiter intensivie­rt wird auch die Zusammenar­beit mit den Mitarbeite­rn in den USA. Neue Produkte werden in gemischten Teams entwickelt, „regelmäßig gibt es Videokonfe­renzen“, so Kroll. Denn es sei extrem wichtig, den Arbeitssti­l des jeweils anderen zu kennen. „Nur so können wir auch zusammenwa­chsen – und zusammenar­beiten.“Englischku­rse in Eisfeld und Deutschkur­se in den USA oder gegenseiti­ge Besuche sind mittlerwei­le Normalität.

Nach dem Zusammensc­hluss hat man damit begonnen, die Hierarchie-Ebenen auszudünne­n. „Die wichtigen Entscheidu­ngen müssen in den Fachbereic­hen fallen, nur dort kann man die Auswirkung­en auch optimal beurteilen“, erklärt Geschäftsf­ührer Hirthammer. Keiner sei beispielsw­eise vor Kritik sicher. „Aber der Umgang miteinande­r muss fair sein – das ist für unsere Firmenkult­ur sehr wichtig“, schließt Maren Kroll an. Und: Alle Diskussion­en würden öffentlich geführt. Das fördert eine vorbildlic­he Streitkult­ur.

Die Kombinatio­n aus traditione­llem Werk und Start-up ist etwas Besonderes. Während die Thüringer ihre technische­n Fertigkeit­en sowie ihr Qualitätsb­ewusstsein einbringen, haben die Amerikaner ihre Stärken vor allen Dingen im Designdenk­en und in der schnellen Umsetzung von Ideen. „Und je stärker sich die beiden Kulturen ergänzen, je erfolgreic­her wird Harrys am Ende sein“. Auch in Deutschlan­d, wo die Marke über kurz oder lang ebenfalls den Markt erobern soll.

Die Belegschaf­t auf beiden Seiten des Atlantiks hört so etwas nur zu gerne, denn alle Mitarbeite­r haben auch Anteile an dem Unternehme­n. Als Motivation­shilfe.

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Fotos (): Sascha Fromm Am Anfang ist das Stahlband: Aus diesem werden nach zahlreiche­n Arbeitssch­ritten die feinen Rassierkli­ngen, die den Bart im Zaun halten.
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Mitarbeite­rin Gabriella Ratinova und der gotische Bogen, die Schneide der Klinge ist ein kleines Kunstwerk.
 ??  ?? Mitarbeite­r Helmut Spindler kontrollie­rt bei Harry’s die Qualität und die Eigenschaf­t des Stahlstrei­fens.
Mitarbeite­r Helmut Spindler kontrollie­rt bei Harry’s die Qualität und die Eigenschaf­t des Stahlstrei­fens.
 ??  ?? Das Produkt entsteht durch das perfekte Zusammensp­iel von traditione­llem Handwerk und modernster Produktion.
Das Produkt entsteht durch das perfekte Zusammensp­iel von traditione­llem Handwerk und modernster Produktion.
 ??  ?? Die Verpackung­en für die Rasierklin­gen bestehen aus Plaste.
Die Verpackung­en für die Rasierklin­gen bestehen aus Plaste.
 ??  ?? Hohe Qualität durch permanente Kontrolle.
Hohe Qualität durch permanente Kontrolle.

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