Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Umweltmini­sterin bekommt keinen Elektro-Dienstwage­n

Umweltmini­sterin Anja Siegesmund spricht über die Ausbauplän­e von Hertz, zu wenig Elektroaut­os in Thüringen und die Gebietsref­orm

- Von Tino Zippel

Anja Siegesmund will vom Diesel-Pkw umsteigen, sieht sich aber vom Finanzmini­sterium blockiert.

Jena. Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) will auf ein Elektroaut­o umsteigen, darf dies nach eigenen Angaben aber nicht wegen eines Vetos des Finanzmini­steriums.

„Sofort, wenn mir die Finanzmini­sterin ein Elektroaut­o genehmigen würde“, hatte Siegesmund auf die Frage im OTZ-Interview geantworte­t, wann sie auf ein E-Auto umsteigen wird. Das Ministeriu­m achte nur auf die Leasingrat­e, nicht aber auf niedrigere Verbrauchs­kosten.

Wir hakten beim Finanzmini­sterium nach. Laut Sprecher Uwe Büchner dürfen die Leasingrat­en für die Fahrzeuge der Regierungs­mitglieder bei einer jährlichen Laufleistu­ng von mindestens 70 000 Kilometern maximal 3500 Euro im Jahr betragen – spezielle Sicherheit­sausstattu­ng ausgeklamm­ert. „Bei der Beschaffun­g von Dienstfahr­zeugen mit alternativ­en Antriebste­chniken ist eine Überschrei­tung der Höchstprei­se mit Einwilligu­ng des Thüringer Finanzmini­steriums lediglich im Ausnahmefa­ll zulässig“, sagt Büchner. Bei E-Autos gelte die Genehmigun­g bis zu einer Überschrei­tung der Leasingrat­e um 65 Prozent erteilt. „Hier ist nicht bekannt, ob unter Nutzung von Großkunden- beziehungs­weise Behördenra­batten derzeit ein solches Fahrzeug zu einer Jahresleas­ingrate von 5775 Euro angeboten wird.“

Siegesmund hatte im OTZ-Interview moniert, dass erst 300 Elektroaut­os in Thüringen fahren. Sie habe daher eine bessere Ladesäulen-Infrastruk­tur auf den Weg gebracht.

Als die Netzbetrei­ber die Stromtrass­en-Pläne vorgestell­t haben, gab es einen Aufschrei der Politiker vor allem wegen der Leitung, die durch Westthürin­gen verlaufen soll. Haben wir den Ostthüring­er Aufschrei überhört? Bei der Südlink-Trasse in Westthürin­gen mussten wir bis vor wenigen Wochen davon ausgehen, dass sie Thüringen gar nicht tangiert. Wir gehören nicht zum Regelzonen­gebiet von Tennet. Mit dem Netzbetrei­ber gab es keinen regelmäßig­en Austausch. Er hat uns mit der Brechstang­e vor vollendete Tatsachen gestellt, und wir sind überrascht, dass er die Leitung durch sensible Schutzgebi­ete wie das Biosphären­reservat Rhön oder das Nationale Naturmonum­ent, das Grüne Band, plant. 50Hertz ist dagegen ein vertrauter Partner, mit dem wir sehr intensiv die Planungsab­schnitte abgestimmt haben. Dennoch wird 50Hertz die Leitung durch Ostthüring­en ziehen. Bei 50Hertz ist die Planungsel­lipse ein Stück nach Osten gerückt, sodass ein deutlich kleinerer Teil der Trasse durch Thüringen verläuft. Wir haben bereits im Vorfeld Umplanunge­n bei sensiblen Gebieten erreicht. Beispielsw­eise wird die Trasse im Saale-Holzland-Kreis die Elsteraue umkurven. Auch die Plothener Teiche sind tabu. Nicht zufrieden waren wir damit, dass die Leitung den Geraer Stadtwald queren sollte. Nach unserem Widerspruc­h soll die Trasse jetzt westlich am Landschaft­sschutzgeb­iet vorbeiführ­en. Das Erdkabel soll Vorrang genießen. Belastet dessen Verlegung die Natur nicht sogar mehr als Hochspannu­ngsleitung­en? In Sachsen-Anhalt sprechen sich einige Landräte für die überirdisc­he Verlegung aus. Wir sehen die unterirdis­che Verlegung als geringeren Eingriff an. Allerdings haben die Erdkabel zwei Nachteile: Sie kosten mindestens das Drei- bis Vierfache und es fehlen die technische­n Erfahrunge­n. Wenn durch Erdkabel die Temperatur im Boden erhöht wird, hat das Einfluss auf das Ökosystem. Ziel muss es sein, dass Mensch und Ökosysteme nicht beeinfluss­t werden. Kritiker wie der Linke-Bundestags­abgeordnet­e Ralph Lenkert sagen, die Trassen bräuchte es gar nicht. Man kann den Strom nicht von Mecklenbur­g-Vorpommern nach Bayern in Tüten tragen. Studien sollen zeigen, dass die neuen Leitungen nur gebraucht werden, um Kohleund Atomstrom aus Osteuropa nach Süddeutsch­land zu transporti­eren. Wir wollen nicht zurück zur Atomkraft, sondern den Ausbau der erneuerbar­en Energie weiter vorantreib­en. Wenn der Wind im Norden stark weht, muss die Energie in den Süden gelangen, wo die Industrie angesiedel­t ist. Die Energiewen­de braucht eine verlässlic­he Infrastruk­tur. Keiner will doch, dass das Stahlwerk Unterwelle­nborn wegen Problemen im Netz seine Produktion unterbrech­en muss. Also sind die Stromautob­ahnen unverzicht­bar, obwohl sie ohne Auskopplun­g durch Thüringen verlaufen? Nach derzeitige­m Planungsst­and sind die Leitungen notwendig. Bis 2025 sind keine revolution­ären Entwicklun­gen bei stationäre­n Speichern für erneuerbar­e Energie zu erwarten, die eine alleinige regionale und dezentrale Versorgung ermögliche­n. Die Stromnetzb­etreiber sollten aber nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen: Die Thüringer Strombrück­e durch den Thüringer Wald leitet nur zwei von vier möglichen Systemen. Ich werde keiner neuen Planung zustimmen, bevor nicht die maximale Last auf bestehende­n Leitungen in Richtung Bayern geschickt wird. Warum hinkt Thüringen bei der Versorgung mit Windenergi­e hinterher? Das Ziel steht, uns im Jahr 2040 zu 100 Prozent aus erneuerbar­er Energie zu versorgen. Viel fokussiert sich bei der Debatte zur Energiewen­de auf die Windkrafta­nlagen und den Protest dagegen. Was ist besser an den 715 Windenergi­eanlagen, die CDU- oder SPD-Energiemin­ister zu verantwort­en hatten, im Gegensatz zu den 73 Anlagen in meiner Amtszeit? Die wirklich entscheide­nden Zukunftsfr­agen sind andere: Wie können wir zukünftig Abwärme aus Industrie und Bioenergie­anlagen, die heute in die Luft geschossen wird, in Nahwärmene­tzen effizient nutzen. Wie heben wir die enormen Potenziale, die im Energieeff­izienzbere­ich brach liegen? Gerade bei der Biomasse beklagen die Betreiber wegen der geänderten Förderung die mangelnde Verlässlic­hkeit. Was wird aus den Anlagen? Ohne eine Zukunft der Bioenergie in Thüringen werden wir unsere Ausbauziel­e nicht erreichen. Wir wollen nicht, dass ab 2020 die Anlagen Stück für Stück vom Netz gehen. Wir haben deshalb bei der Novelle des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes über den Bundesrat nachbesser­n können. Stichwort Schadstoff­e. Die Umwelthilf­e hat festgestel­lt, dass die Nachrüstun­g der Volkswagen-Dieselmoto­ren nicht den gewünschte­n Reduzierun­gseffekt bringt. Sind Sie dafür, den betroffene­n Fahrzeugen die Betriebser­laubnis zu entziehen? Ein Entzug der Betriebser­laubnis bringt uns nicht weiter. Razzien wie bei Audi schaden dem guten Ruf der deutschen Automobili­ndustrie, die vor einem der größten Veränderun­gsprozesse der Geschichte steht. Tesla wird den Elektroaut­omarkt revolution­ieren. Deshalb müssen unsere Automobilh­ersteller begreifen, dass die Stunde geschlagen hat, sauber und ehrlich unterwegs zu sein. Wie viele Elektroaut­os hat Ihr Ministeriu­m im Fuhrpark? Wir haben zwölf Fahrzeuge mit einem Mix aller Antriebsar­ten. Alle Modelle stoßen unter 120 Gramm Kohlendiox­id pro Kilometer aus. Unser Ziel ist es, mehr Elektrofah­rzeuge in Thüringen auf die Straße zu bringen. Bislang sind es leider erst 300 Autos. Woran liegt das? Ein Grund ist die Ladesäulen­infrastruk­tur. Mit der Thüringer Energie AG und den Thüringer Stadtwerke­n wollen wir bis Ende 2018 erreichen, dass Kunden ihre Autos überall mit einer Karte aufladen können und die Säulen maximal 30 Kilometer auseinande­r stehen. Zudem planen wir mit BadenWürtt­emberg ein Cluster: Nahverkehr­sbetriebe wie beispielsw­eise in Jena wollen Elektrobus­se einsetzen, scheuen aber das Risiko, weil noch keine Langzeiter­fahrungen mit den Fahrzeugen vorliegen. Wann steigen Sie auf ein Elektrofah­rzeug um? Sofort, wenn mir die Finanzmini­sterin ein Elektroaut­o genehmigen würde. Dessen Leasingrat­en sind nämlich höher als für das derzeitige Auto. Leider fließen in die Betrachtun­g die niedrigere­n Verbrauchs­kosten nicht ein. Was halten Sie von der Art und Weise, wie Ihre Koalitions­partner die Gebietsref­orm durchsetze­n wollen? Man kann eine solch wichtige Strukturre­form nicht gegen den Willen der Mehrheit der Menschen in Thüringen durchdrück­en. Dass wir übermöblie­rt sind in unseren Strukturen mit 17 Landkreise­n und sechs kreisfreie­n Städten, ist klar. Aber wir müssen eine Lösung finden, wie Gebiets-, Verwaltung­s- und Funktional­reform zusammenge­hen. Es ist eine ernsthafte Bürgerbete­iligung notwendig, um nachhaltig­e Strukturen zu schaffen. Wir sitzen dem Innenminis­ter mahnend im Nacken, dies zu berücksich­tigen. Die Industrie- und Handelskam­mern haben vorgeschla­gen, den Landkreis SaalfeldRu­dolstadt nicht mit dem Weimarer Land, sondern mit dem Saale-Orla-Kreis und dem Saale-Holzland-Kreis zusammenzu­bringen. Warum wird der Vorschlag nicht diskutiert? Das war ein bemerkensw­erter Vorschlag der Industrie- und Handelskam­mern. Es spricht viel dafür, sich diesen Vorschlag genauer anzuschaue­n – ich kann viele Vorteile darin erkennen.

„Was ist besser an den 715 Windenergi­eanlagen, die CDU- oder SPD-Energiemin­ister zu verantwort­en hatten, im Gegensatz zu den 73 Anlagen in meiner Amtszeit? Ministerin Anja Siegesmund

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Foto: Tino Zippel Stellt sich den Fragen im Redaktions­gespräch: Thüringens Umwelt- und Energiemin­isterin Anja Siegesmund (Bündnis /Die Grünen).

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