Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Geld zu sparen war nie mein Argument“
Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht im OTZ-Interview über die Gebietsreform, die Mitte-Deutschland-Schiene und die Tourismus-Hürden in Ostthüringen
Der neue Vorschlag zur Gebietsreform hat viel Kritik aus den eigenen Reihen ausgelöst, selbst Bauministerin Birgit Keller war verwundert: Wird der von Innenminister Holger Poppenhäger vorgelegte Entwurf so an den Landtag weitergereicht? Ein Entwurf ist nie das letzte Wort. Es wird sicher im Ergebnis der jetzt anstehenden Beratungen noch Änderungen geben. Wir haben momentan eine öffentliche Schieflage in der Diskussion, weil wir über Ostern kommunikativ nicht besonders glücklich agiert haben. Das will ich selbstkritisch anmerken. Das haben wir im Kabinett besprochen und ausgeräumt. Bis Dienstag wollen die Ministerien die 250 Seiten Gesetzestext bewertet haben. Daraus werden wir den gemeinsamen Entwurf der Landesregierung gestalten. Was hat Sie umgestimmt, dass der Ursprungsentwurf nicht glücklich war? Der erste Entwurf sollte als Diskussionsgrundlage dienen und war damals – wie immer bei Kompromissen – in Teilbereichen weder Herrn Poppenhägers noch mein Favorit. Ich war zum Beispiel von Beginn an skeptisch, ob der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt wirklich mit dem Weimarer Land zusammengehen sollte. Auch stellte sich die Frage, welche Rolle Jena zum Saale-Holzland-Kreis einnehmen kann? Müssen Crossen und Bad Köstritz umkreist werden? Ich hatte mir eine breite und offensive Diskussion gewünscht, in der bessere Vorschläge unterbreitet werden. Leider kamen außer von den Wirtschaftskammern keine. „Kaum war ich in Schleswig-Holstein, steigen dort die Umfragewerte der Linkspartei zur anstehenden Landtagswahl.“ Scherz von Ramelow während des Interviews mit der OTZ Von wem hatten Sie Vorschläge erwartet? Zum Beispiel von der Bürgerinitiative Selbstverwaltung für Thüringen. Aber sie forderte nur, dass wir die Reform aufgeben sollen. Das ist aber kein ernsthafter Vorschlag. Auch hätte ich mich über Vorschläge der Landräte, Bürgermeister, Oberbürgermeister, ja der gesamten kommunalen Familie sehr gefreut. CDU-Fraktionschef Mohring wollte nur verhandeln, wenn wir das Vorschaltgesetz aufheben und in dieser Legislaturperiode alles so lassen, wie es ist. Das ist aber keine Verhandlungsgrundlage. Wie viel Geld wollen Sie mit der Gebietsreform sparen? Geld zu sparen war nie mein Argument für die Gebiets-, Verwaltungsund Funktionalreform. Der Nutzen für die Bürger ergibt sich durch eine leistungsfähige, bürgernahe und effiziente Verwaltung. Warum sollte die aktuell nicht gewährleistet sein? Nur ein paar Beispiele: Wenn sich ein großes Bauprojekt monatelang verzögert, weil ein Mitarbeiter in der Bauverwaltung erkrankt ist, wenn man in Teilen seinen Winterdienst nicht mehr leisten kann oder nicht über die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von Amtsärzten verfügt, kann man sich nicht hinter dem Begriff kommunale Selbstverwaltung verstecken. Die Insolvenz der Stadtwerke Gera etwa war vom Versagen der zuständigen Behörden flankiert. Wenn ich mir den Busstreit von Gotha anschaue oder auch die doppelten Papiertonnen in SchmalkaldenMeiningen frage ich mich: Kann der übertragene Wirkungsbereich überhaupt noch vernünftig ausgeübt werden und funktioniert die kommunale Selbstverwaltung noch? Was verbessern die Reformen? Sie bringen mehr Effizienz und darüber leistungsfähige Behörden. Wir dürfen nicht vergessen, wir stehen vor der größten Verrentungswelle im öffentlichen Dienst. Es gibt zahlreiche Alarmmeldungen über fehlendes Personal. Für das Land hat sich die Hoffnung, über den Weg der Verbeamtung leichter Personal zu finden, noch lange nicht erfüllt. Unter anderem ist die Schließung des Gefängnisses in Gera auch deshalb notwendig, um andere Bereiche wieder mit ausreichend Personal zu versorgen. Unser Ziel bleibt, wir wollen diese große und notwendige Reform ohne betriebsbedingte Kündigungen aufs Gleis bringen. Wie gehen Sie mit der Kritik am neuen Vorschlag um? Wir arbeiten daran, den Vorschlag zu finalisieren. Es wird deutlich, dass die Hauptkritik aus Südthüringen kommt. Mir geht es um ein Grundprinzip: Die katholischen Dörfer im Eichsfeld, die Rhöndörfer und die fränkischen Orte sollen jeweils in einem Kreis zusammenkommen können. Für Gera und Weimar gilt: Es wird keine Rolle rückwärts von der Rolle rückwärts geben. Also wird Gera definitiv kreisfrei bleiben? In der Stadt Gera wird mir zu emotional über den Status der Kreisfreiheit diskutiert, ohne über die damit verbundenen Pflichten und Aufgaben zu reden. Gera muss regionale Aufgaben übernehmen, zur Vernetzung beitragen. Es kann doch nicht sein, dass Buslinien des Kreises innerhalb der Stadtgrenzen von Gera keine Fahrgäste befördern dürfen, weil es unterschiedliche Verkehrsträger gibt. Es braucht einen gemeinsamen, regionalen Verkehrsträger. In der jetzigen Verfassung ist Gera nicht dauerhaft leistungsfähig. Wir müssen Gera in einen Strukturierungsprozess bringen, damit Leistungsfähigkeit entsteht. Wie wollen Sie die Städte entschädigen, die ihren Kreisstadt-Status verlieren? Sie brauchen eine klare Perspektive. Fest steht, dass wir sie stärken wollen, sie sollen Aufgaben in und für die Region übernehmen. Das kann heißen, Funktionen für den gesamten Landkreis zu übernehmen oder Aufgaben zu behalten. Alle Gemeinden werden künftig der zentrale Ort für die Anliegen der Bürger sein und mit starken Bürgerservicecentern das Bindeglied zu den Kreisverwaltungen. In den künftigen Landkreisen wird es eine Kreisstadt und eine große Kreisangehörige Stadt geben. Da sind Aufgaben und Behörden zu verteilen. Aber den Bürgern müssen die Wege über Bürgerservicebüros verkürzt werden. Warum ist es besser, wenn Ostthüringen nur noch aus zwei statt bislang aus fünf Landkreisen besteht? Thüringen hat vier regionale Planungsgemeinschaften, eine davon ist Ostthüringen. Innerhalb dieser Planungsregion wird es künftig zwei starke Landkreise und zwei kreisfreie Städte geben. Damit schaffen wir die Voraussetzung für leistungsfähige Strukturen. Ich sage auch: Das ist keine Lex-Ostthüringen, sondern gilt für alle Regionen des Landes. Die Planungsregionen sind der Raum, innerhalb dessen wir die neuen Kreise, Gemeinden und Städte besser entwickeln wollen. Verstehen Sie, dass die Menschen im Saale-Orla-Kreis, im Saale-Holzland-Kreis und im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt erschrecken, wenn sie hören, dass sie künftig in einem Landkreis leben, der größer als das Saarland ist? Gemessen an Flächen in Mecklenburg-Vorpommern oder den Einwohnerzahlen in Hessen schaffen wir doch Zwergkreise. Die Landkreise Saale-Orla und Saalfeld-Rudolstadt haben gemeinsam einen Verkehrszweckverband und einen Abfallzweckverband, arbeiten also hervorragend zusammen. Das Thüringer Meer liegt in der Mitte – die Kreisgrenze hat jahrelang die Entwicklung dieser Region behindert. Ich hätte mir gewünscht, dass sich beide Landkreise aufeinander zubewegen und verlangen, gemeinsam einen neuen Kreis zu bilden. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hat sich der offizielle Teil des Saale-Orla-Kreises dieser Diskussion völlig entzogen. Die Bürger schreckt womöglich der weite Weg in die Kreisstadt Saalfeld. Die Frage geht am Kern des Problems vorbei. Alles, was die Bürgerbetreuung angeht, wird bürgernah organisiert. Die Bürgerservicebüros könnten in allen neuen und leistungsfähigen Gemeinden sämtliche Bürgeranliegen erledigen. Das Leben auf den Dörfern ist im Übrigen nicht von der Gemeindeverwaltung abhängig. Ein Dorf lebt von seinem Kirmesverein, dem Fußballverein und dem Feuerwehrverein. Zumindest fällt uns schon ein Autokennzeichen für den neuen Thüringer Saalekreis ein: TSK. Ein charmanter Vorschlag, TSK steht ja auch für Thüringer Staatskanzlei. Wieder im Ernst: Gegen die Gebietsreform sind verschiedene Klagen anhängig. Mit welchen Entscheidungen rechnen Sie? Die Frage der Kreisfreiheit steht im neuen Kreisgliederungsgesetz. Man muss somit nicht das Vorschaltgesetz ändern, weil das Kreisgliederungsgesetz an die Stelle des Vorschaltgesetzes tritt. Das hat den Effekt, dass die CDU-Klage obsolet ist, Gera nicht klagen wird und Weimar seine Klage zurückziehen kann. Wie wollen Sie erreichen, dass alle Abgeordneten der Koalition für die Reform stimmen? Wir werden am Ende des Beratungsprozesses ein mehrheitsfähiges Reformgesetz haben. Ich bin da sehr zuversichtlich. Also haben Sie sich gefreut über den Übertritt von Marion Rosin von der SPD in die CDU? So braucht es jede Stimme für eine Mehrheit – das eint. Ich ahne jetzt vielleicht, welche Stimme mir damals im ersten Wahlgang fehlte. Aber im Ernst: Ich habe den Übertritt von Frau Rosin zur Kenntnis genommen. Dass sie allerdings meinte, diesen Schritt, gepaart mit polemischer Kritik an der angeblich dogmatischen Bildungspolitik dieser Koalition, ausgerechnet am 15. Jahrestag des Massakers am Gutenberg-Gymnasium vollziehen zu müssen, finde ich – gelinde gesagt – instinktlos. Ihre Mehrheit hängt nun an einem ehemaligen AfD-Abgeordneten, der zur SPD gewechselt ist. Das wirft uns auch CDU-Fraktionschef Mohring vor. Interessant, hatte er selbst doch vor zweieinhalb Jahren mit der ganzen AfD über einen Gegenkandidaten für mich verhandelt. Übrigens hatten wir auch zum Start nur eine Stimme Mehrheit. Und die spielte bis heute nur einmal wirklich eine Rolle – im zweiten Wahlgang meiner Wahl. Danach konnte die Opposition ihre 45 Stimmen gegen uns nie mehr zusammenbringen. Glauben Sie, dass Rot-RotGrün bis zur planmäßigen Wahl durchhält? Ein Blick in die Thüringer Landesverfassung reicht: Die Frage ist nicht, ob ich eine Stimme Mehrheit habe oder nicht. Sondern, ob ich bis zum Ende der Legislaturperiode die notwendige Mehrheit für wichtige Gesetzgebungsverfahren bekomme. Das einzige, das zum Ende einer Regierung führen könnte, wäre die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten. Wenn Herr Mohring dafür eine Mehrheit sieht, soll er sich auf die Geisterfahrt begeben. Ich jedenfalls sehe die nicht. Kommen wir zur MitteDeutschland-Schiene: Hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt inzwischen schriftlich bestätigt, dass die Elektrifizierung wirklich kommt? Er hat mir diese Woche bestätigt, dass die schriftliche Grundlage derzeit erarbeitet wird. Wir können also fest davon ausgehen, dass die Strecke elektrifiziert wird. Warum setzen Sie sich so für das Projekt ein? Durch die Verschiebung der Schnellverkehre auf die Strecke durch den Thüringer Wald verliert die Saalbahn den ICE. Ich habe das in Hessen erlebt, als die Main-Weser-Bahn wegen der Schnellfahrstrecke über Fulda zur Provinzbahn wurde. Gleiches dürfen wir in Ostthüringen nicht zulassen. Dafür brauchen wir auf der Mitte-DeutschlandVerbindung langlaufenden Fernverkehr durch Ostthüringen nach Sachsen. Und das geht nur mit Oberleitung? Auf der Linie sollen Doppelstock-Intercitys fahren. Eine ELok muss diese ziehen, weil es ein Umkoppeln auf Diesellok nicht mehr gibt. Darum brauchen wir dringend die Oberleitung. Gera bleibt sonst vom Fernverkehr abgekoppelt. Aber noch ein weiteres Bahnprojekt in Ostthüringen liegt mir besonders am Herzen. Welches? Die Höllentalbahn an der Grenze des Saale-Orla-Kreises zu Bayern. Hier fehlen drei Kilometer Gleis, um die Straße von täglich 300 Lkw zu befreien, die Holz zur Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal in Blankenstein bringen. In dieser Frage bin ich sehr intensiv mit Horst Seehofer im Gespräch. Und der Lückenschluss könnte auch positive Effekte für den Tourismus haben. Apropos: Warum spart das neue Tourismuskonzept Ostthüringen komplett aus? Gegenfrage: Was könnte man denn dort aktuell als KomplettPaket den Reiseveranstaltern anbieten und vermarkten? Ich gebe die Kritik als Ansporn zurück in die Region. So wie am Zeulenrodaer Meer erfolgreich an neuen Konzepten gearbeitet wird, so brauchen wir eine Aufwertung der Saalekaskade. Positive Zeichen gibt es: Ein Privatinvestor will mit Hausbooten auf die Saale. Darüber hinaus wäre eine gewerblich betriebene Ferienanlage, die ganzjährig vermarktbar ist, wichtig. Damit könnten wir im Radius von 250 Kilometern, also auch in Regionen wie Nürnberg oder Frankfurt, punkten. Das klingt so, als wollten Sie nach Ihrer Laufbahn als Ministerpräsident Tourismusmanager am Thüringer Meer werden? Die Region liegt mir sehr am Herzen. Sie kann sich etwas vom Engagement in Zeulenroda abschauen. Leider ist an der Saalekaskade die Missgunst untereinander ausgeprägt und die Kreisgrenze störend. Was wünschen Sie sich von Ostthüringen? Die sachlich nicht begründbare Beschwerde, am Hermsdorfer Kreuz würde die Welt enden, muss überwunden werden. Denn mit dieser Position macht man sich unnötig schwach und klein. Ich wünsche mir ein selbstbewusstes Ostthüringen.