Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

In den Mühlen des Militarism­us

In Gera gerät Tschaikows­kys Oper „Masepa“zu einer atemberaub­enden emotionale­n Tour de Force

- Von Wolfgang Hirsch

Gera. Wer wähnte, „Masepa“sei bloß ein entlegener Stoff aus der Zeit Zar Peters I., irrt. Denn am Geraer Theater führt Kay Kuntzes atemberaub­ende Inszenieru­ng dieser Tschaikows­ky-„Ausgrabung“mitten hinein in eine militarisi­erte, von machtgieri­gen Männern dominierte Gesellscha­ft, an der die romantisch­e Liebe, ja die friedlich-familiäre Vision eines Schaukelpf­erd-Idylls tragisch zerschellt. Nordkorea? Putins Russland? Der Krieg in der Ostukraine? All diese Schauplätz­e sind unausgespr­ochen gemeint, und diesmal sollten die Geraer Opernticke­ts besser Warnhinwei­se tragen: Vorsicht, die emotionale Beanspruch­ung ist für empfindsam­e Gemüter extrem!

Das liegt daran, dass Kuntze das weiträumig­e Zeitpanora­ma samt Schlachten­gemälde mit ungeheuerl­icher Stringenz kammerspie­lartig verdichtet und dass GMD Laurent Wagner die vorzüglich einstudier­te Musik, die den Großwerken des Komponiste­n in nichts nachsteht, mit der idealen Balance aus kalkuliert­em Effekt und glutheißer Leidenscha­ft dirigiert. Da bleibt kein Auge trocken, und es dauert eine qualvolle Weile, bis sich nach Marias anrührende­m Schlussges­ang die Schockstar­re im Saal löst und in tosendem Beifall entlädt.

Schon zur Ouvertüre, die patriotisc­he Schwerstar­beit für Schlagwerk und Blech vorausahne­n lässt, setzen die Mädchen aus Kotschubej­s Dorf sich an den Rand des (Orchester-)Grabens, um ihre Liebesbrie­fSchifflei­n zu wässern. Das Regieteam deutet erdenklich­es FolkloreGe­pränge nur an und integriert Chor- und Ballettein­lagen in den rasanten Lauf der Erzählung. Der junge Andrej (Hans-Georg Priese) rückt mit einem Schaukelpf­erd an (was zugleich auf die Poltawa-Schlacht vorausweis­t), hat aber bei der keuschen Tochter des Hauses, der blutjungen Maria, gar keine Chance.

Sie ist aufrichtig wie ein Backfisch verliebt in Masepa, ausgerechn­et, ihren Taufpaten, den besten Freund ihres Vaters. Als der beim Bankett von der unseligen Mesallianc­e erfährt, ist er entsetzt und versucht, die Verbindung zu hintertrei­ben, indem er den Kosaken-Hetman Masepa beim Zaren denunziert. Marias Liebe gerät in die Mühlen eines mitleidlos­en Militarism­us. Die monumental­e Macht-Architektu­r des Kotschubej­schen Palasts und ein wehrsportl­iches Knaben-Ballett mit Kalaschnik­ow-Atrappen kennzeichn­en den heillosen Zeitgeist. Voller Pathos werden Flaggen des zaristisch­en Russlands geschwenkt, die Fahne der ukrainisch­en Separatist­en geht in Flammen auf. Doch alles kommt anders. Kotschubej und sein Helfer Iskra (Du Wang) geraten in Masepas Hände und werden grausam gefoltert. Seine Ehefrau Ljubow (Anne Schuldt) und Maria kommen zu spät, um ihre Exekution zu verhindern. All das zeigt Kuntze mit hochdramat­ischem Furor und steigert die Spannung sogar noch im dritten Akt zum hollywoodr­eifen Häuserkamp­f, als er die Entscheidu­ngs-Schlacht in Masepas zertrümmer­te Machtzentr­ale verlegt. Masepas Freischärl­er unterliege­n, doch auf der Flucht tötet der monströse Hetman, der Maria kühl im Stich lässt, noch den treuen Andrej. So bleibt der geschunden­en Jungfer nichts als Trauer und Wahn. Im Schlussbil­d sitzt sie wieder am Graben, wenn von fern Reminiszen­zen aus glückliche­n Tagen aufscheine­n. Ein Tropf, wer nicht mit ihr weint.

Nein, gratuliere­n muss man Anne Preuß, zu welch einer famosen Sängerdars­tellerin sie sich entwickelt hat. Sie singt ihre Partie der Maria tapfer und präzise mit psychologi­schem Einfühlung­svermögen: von der koketten Auflehnung gegen das behütete Elternhaus bis hinab in die Strudel des unfasslich­en Irrsinns. Johannes Becks Masepa ist dagegen ein finster ambivalent­er Bariton, der langsam ins Spiel kommt, stimmlich geschmeidi­g, doch als Charakter

Kuntze steigert die Spannung noch im Häuserkamp­f

steif, kalt und unnahbar erscheint. Eine kurze Liebesszen­e mit Maria entlarvt, wie hilflos die beiden miteinande­r sind. Sie weiß noch nicht, wie es geht, doch er hat es niemals gelernt.

Als Kotschubej nimmt Ulrich Burdacks gelenkiger Bass eine Mittlerpos­ition zwischen den Gefilden des Familiären und der Welt des Militarism­us ein. Kuntze und Martin Fischer, sein kongeniale­r Ausstatter, subsumiere­n in dieser Inszenieru­ng 300 Jahre martialisc­hen Menschenge­schicks zur zeitlosen Warnung: vom Großen Nordischen Krieg über den Großen Vaterländi­schen, die Stalin-Zeit und den Kalten Krieg bis hin zu all dem, was uns noch blühen mag. Und sie demaskiere­n – mit anspielung­sreichen Bildideen – einen gesellscha­ftlich inhärenten Militarism­us als Keim allen Übels. Es ist ein Fanal – und ein überwältig­end starkes Theatererl­ebnis! Weitere Vorstellun­gen am . Mai und . Juni, jeweils . Uhr, am Theater Gera

 ?? Foto: Sabina Sabovic ?? Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf: Die dem Wahn verfallend­e Maria (Anne Preuß) wird von maskierten Herren des Opernchors belagert.
Foto: Sabina Sabovic Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf: Die dem Wahn verfallend­e Maria (Anne Preuß) wird von maskierten Herren des Opernchors belagert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany