Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Ostthüring­en für kostenlose­n Nahverkehr

Wie kann die Luftqualit­ät in deutschen Städten verbessert werden? Der Bund denkt über einen kostenlose­n Nahverkehr nach. Das kostet, und ist nicht von heute auf morgen zu machen, monieren Kritiker. In Gera und Jena ist man von der Idee angetan – wenn man

- Von Sylvia Eigenrauch und Sebastian Helbing

Gera/Jena. Geras Oberbürger­meisterin Viola Hahn (parteilos) begrüßt den Vorschlag außerorden­tlich. „Wenn der Bund dafür die Kosten erstattet“, erklärte sie gestern. 20 Millionen Euro Aufwand bei einem Anteil von 74 Prozent Fahrgeldei­nnahmen betreibt die GVB Verkehrs- und Betriebsge­sellschaft mbH Gera im Jahr. 2017 wurden in der 96 000-Einwohner-Stadt insgesamt 16 Millionen Fahrten gezählt. Auf bis zu 70 Millionen Euro schätzt Geschäftsf­ührer Thorsten Rühle die Kosten für den Fall, dass der Nahverkehr kostenlos wird. „Dass das in Kürze finanzierb­ar ist, kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er.

So reagiert man auch in Jena. „Oberflächl­ich betrachtet, ist das eine wunderbare Idee“, sagt Michael Margull, der als Fachdienst­leiter in der Jenaer Stadtverwa­ltung für Stadtumbau und Infrastruk­tur verantwort­lich ist. Nicht nur die Kostenfrag­e lasse den Vorschlag der Bundesregi­erung visionär klingen. Eine Explosion bei der Nachfrage würde das Nahverkehr­ssystem zum Erliegen bringen. Deshalb ist Margull auch froh, dass Jena mit seinen guten Luftwerten nicht zu den Problemstä­dten gehört.

Die Bundesregi­erung erwägt zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät, Länder und Kommunen bei einem möglichen kostenlose­n ÖPNV finanziell zu fördern. Damit soll die Zahl privater Fahrzeuge auf den Straßen verringert werden. Das geht aus einem Brief von Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsmi­nister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramt­schef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkomm­issar Karmenu Vella hervor.

Die Überlegung­en stoßen auf viel Skepsis. Der Deutsche Städteund Gemeindebu­nd verwies vor allem auf die Kostenfrag­e. „Die Kommunen und Verkehrsbe­triebe können es jedenfalls nicht bezahlen“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg. Die Einnahmen von rund 13 Milliarden Euro pro Jahr im öffentlich­en Nahverkehr würden auch benötigt, um besser zu werden und Angebote auszubauen. Gratis fahren könne höchstens ein langfristi­ges Zukunftspr­ojekt werden. Erforderli­ch seien deutlich mehr Fahrzeuge und Personal.

Allein in Erfurt rechnet man mit 30 Prozent mehr Fahrgästen, wenn der Nahverkehr zum Nulltarif angeboten werden würde, sagt Myriam Berg, die Geschäftsf­ührerin der Erfurter Verkehrsbe­triebe.

Wer die zusätzlich­en Kosten trägt, ist auch für Nordhausen­s Bürgermeis­terin Jutta Krauth (SPD) der Knackpunkt. Schließlic­h würden schon jetzt die Stadtwerke aus den Gewinnen anderer Bereiche Millionen für den ÖPNV zuschießen.

Für einen thüringenw­eiten Verkehrsve­rbund könnte ein kostenlose­r Nahverkehr hilfreich sein, schätzt Christoph Heuing, Geschäftsf­ührer des Verkehrsve­rbunds Mittelthür­ingen (VMT), ein. Vor allem die Diskussion über den einheitlic­hen Fahrpreis hätten die Verhandlun­gen in den vergangene­n Jahren immer wieder erschwert.

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Eine Straßenbah­n in Gera. Archiv-Foto: Peter Michaelis

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