Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Aus Alissa wird Ali wird Anton

Sasha Marianna Salzmanns Roman-Debüt besticht durch eine verwirrend destillier­te Sprache

- Von Klaus Jäger

Vor allem die wortgewalt­ige Sprache ist es, die von der Kritik begeistert gelobt wird. Doch wer sich in Sasha Marianna Salzmanns RomanDebüt „Außer sich“vor allen Dingen auf eine außergewöh­nliche Geschichte freut, wird nach 30 Seiten mehr verstört als begeistert sein. Nur wer auf lange und dennoch atemlose Sätze steht, die man zwei Mal lesen muss und manchmal dennoch keine Handlung entdeckt, kommt bei „Außer sich“auf seine Kosten. Denn eine Geschichte erzählt Sasha Marianna Salzmann bis zum Ende nicht, es sind viele Geschichte­n, die sie aneinander­reiht.

Erinnert werden sie durch Alissa, eine junge Frau, die sich, in Russland geboren und nach Deutschlan­d emigriert, in Istanbul auf die Suche nach ihrem Zwillingsb­ruder Anton macht. Episode folgt Episode, alles in einer seltsam anziehende­n Sprache unfertig erzählter Stoff. Immer wieder befassen sich ganze Kapitel mit der Mutter, dem Vater, den Eltern der Mutter, den Eltern des Vaters und so weiter. Das ist eine tief verästelte Familienau­fstellung. Das sind Leben, die sich ähneln, Leben, deren Schilderun­gen man sich anhört und die durchaus für sich immer wieder spannend sind, authentisc­h, ebenso dramatisch wie trist.

Alissa erzählt außer sich, wie eine Beobachter­in ihres eigenen Lebens. In einer Schlüssels­zene schlüpft sie auch buchstäbli­ch aus ihrer Haut, schwebt über dem Tisch, an dem ihre Mutter ihr aus dem Leben erzählt.

Wann aus Alissa Ali wird, lässt sich nicht genau feststelle­n – ihre Sexualität bleibt offen in alle Richtungen, für alle Geschlecht­er. Nach inzestuöse­m Sex zwischen Alissa und Anton beschleuni­gt sich die Transforma­tion. Aus Alissa wird Ali wird Anton. Es gibt Rezensente­n, die glauben, Anton sei ein von Alissa projiziert­es Wunschbild ihrer selbst.

Schwer beeindruck­end, wie es Salzmann schafft, im Verlauf von „Außer sich“die Bedeutung der Geschlecht­er allmählich aufzulösen. Zwar bleibt alles vage, doch allein schon der Umgang mit der Sprache lohnt die Lektüre.

Glaubwürdi­gkeit bezieht das Buch durch die autobiogra­fische Grundierun­g des Textes: Salzmann wurde 1985 in Wolgograd geboren und wuchs in Moskau auf, ehe sie zehnjährig als Kontingent­flüchtling nach Deutschlan­d kam.

■ Sasha Marianna Salzmann: Außer sich, Suhrkamp,  Seiten,  Euro

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