Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Unter 30: Politiker aus fünf Parteien erzählen

Sie sind unter 30, und sie sind Politiker. Fünf Mitglieder von fünf Parteien erzählen von ihren Visionen, Erlebnisse­n und Kämpfen im Kreise der Etablierte­n

- Von Norman Börner

Die große Politik, so scheint es, wird meist von den Älteren gemacht. Doch stimmt das Klischee überhaupt noch? Zeigen Beispiele wie das von Kevin Kühnert, dem Chef der Jusos und Wortführer der No-Groko-Bewegung in der SPD, nicht, dass junge Charaktere das Geschäft bereichern können, wenn man sie nur ernst nimmt?

Die OTZ hat vier junge Thüringer Abgeordnet­e – und einen, der es werden will, – zum Gespräch getroffen. Welche Visionen und Ansprüche bringen sie mit in die Bürgervert­retungen? Und treffen sie dort auf den Widerstand der Etablierte­n?

Tim Rosenstock (26, Linke, Kreistag Nordhausen)

sieht die Stadtratsw­ahl 2014 eigentlich nur als Testlauf – Erfahrunge­n sammeln und beim nächsten Mal angreifen. Doch es kommt anders. Hinter dem Bürgermeis­ter erhält er in seiner Heimatstad­t Heringen den größten Zuspruch. „Ein paar Stimmen mehr und ich hätte mir eine Couch ins Rathaus stellen können“, sagt Rosenstock. Auch im Kreistag bekommt er einen Sitz.

Beflügelt vom Erfolg, träumt er von der Revolution im Landkreis. Die Welt im Kleinen verändern. „Ich habe aber schnell gemerkt, dass es so nicht funktionie­rt“, sagt er. Anträge schreiben und Verwaltung­svorschrif­ten pauken, bestimmen den Alltag. Doch nach vier Jahren hat er Blut geleckt. „Ich merke, dass es einen großen Unterschie­d macht, wer regiert“, sagt er.

Im Kreistag setzt er sich unter anderem für eine kostenlose Schülerbef­örderung im Nahverkehr ein. Die Debatte beschert ihm einen ganz eigenen Kühnert-Moment. Als Mitglieder von SPD und Grüne andeuten, den Antrag zu unterstütz­en, meldet sich der Landrat zu Wort. „Sinngemäß sagte er: Bei den jüngeren Abgeordnet­en verstehe ich das, aber von den Älteren hätte ich mehr Weitsicht erwartet“, erinnert sich Rosenstock.

„Ich habe den Eindruck, dass die jungen Leute die Probleme der Alten meist auf dem Schirm haben. Doch bemühen sich die alten Semester seltener, die Lebensreal­itäten der jungen Generation wahrzunehm­en.“

Dominik Kordon (28, CDU, Stadtrat Erfurt)

ist seit 2014 im Kommunalpa­rlament aktiv. Der Staatswiss­enschaftle­r steht damals bei der Wahl weit unten auf der Liste. Also geht er im Wahlkampf Klinken putzen. Ein Satz, der ihm im Kopf bleibt: „Sie dürfen doch selbst noch gar nicht wählen.“

Doch die Junge-Leute-Karte möchte er gar nicht so sehr ausspielen. „Jung sein ist gut, aber das reicht nicht.“Denn auch als junger Politiker gerate man schnell in die Mühlen der der Gremienarb­eit. „Dem Bürger ist aber egal, welches Gremium für eine Entscheidu­ng zuständig ist. Die Aufgabe der Politik muss es sein, abstrakte Themen verständli­ch zu machen“, sagt er. Im Stadtrat ließen sich die Dinge sehr konkret gestalten und schnell Erfolge erzielen – auch in der Opposition. Trotzdem ärgert ihn, dass viele Sachentsch­eidungen so lange brauchen. Diese Ungeduld werde den Neuen gelegentli­ch als Hitzköpfig­keit ausgelegt. „Doch das ist ein normaler Bestandtei­l, der parteiinte­rnen und parlamenta­rischen Debatte“, sagt er.

Kevin Groß (26, SPD, Stadtrat Erfurt)

ist Sozialdemo­krat von Herzen, sagt er. Aufgewachs­en im Plattenbau auf dem Erfurter Wiesenhüge­l, hadert er dennoch lange mit dem Eintritt in die SPD. „Die Hartz IV-Reformen haben mich als Jugendlich­er politisier­t und der Sozialdemo­kratie zu Recht viel Vertrauen gekostet“, sagt er. Trotzdem wagt er den Schritt zu den „Großen“und kandidiert

2014 für den Stadtrat – weil er etwas verändern will. Vor allem für die jungen Erfurter.

„Ich sehe mich schon als Interessen­vertreter der jüngeren Generation.“Ein Thema, dass immer wieder auf der Tagesordnu­ng im Stadtrat landet, ärgert ihn – ein Alkoholver­bot in der Erfurter Innenstadt. „Wer das Geld hat, in der Kneipe zu trinken, für den, ist das sicher kein Problem. Aber die Jugendlich­en,

die sich auf den öffentlich­en Plätzen der Stadt treffen und zusammen Bier trinken, die werden doch so verbannt.“

Über solche Themen streite er im Parlament mit Leidenscha­ft. Dabei sei eine Diskussion auf Augenhöhe weniger vom Alter abhängig. „Es ist eine Sache des Politikbeg­riffs, den die Abgeordnet­en haben“, sagt er. Manchen geht es im demokratis­chen Diskurs um Inhalte. „Da die Parteien in Thüringen sehr klein sind, kennen sich die älteren Herrschaft­en schon lange. Da geht es bei vielen Debatten auch um persönlich­e Eitelkeite­n“, sagt er.

Ein Plädoyer für mehr Konsens unter den Parteien? „Nein, Streit muss sein. Die CDU bleibt der Klassenfei­nd“, sagt er.

Katharina Schmidt (30, Grüne, Kreistag Hildburgha­usen)

hat keine klassische Parteikarr­iere hinter sich. „Mir liegt die Natur am Herzen. Wenn im Landkreis Bäume gefällt wurden und ich nach dem Grund gefragt habe, hieß es stets: Das ist genehmigt“, sagt sie.

Also möchte sie fortan selbst zu den Leute, die Genehmigun­gen erteilen, gehören. Sie tritt den Grünen bei und wird 2014 in den Kreistag Hildburgha­usen gewählt. Neben dem Umweltschu­tz will die Grundschul­lehrerin auch moderne Ideen zum Thema Bildung auf die Tagesordnu­ng einbringen. „Ich erinnere mich an die erste Sitzung im Bildungsau­sschuss. Ich wollte den ganzen Laden umkrempeln“, sagt sie. Doch der frische Wind pralle an den Urgesteine­n in der politische­n Landschaft nur so ab.

Sie hat viele Verständni­sfragen, die ihr oft als schlechte Vorbereitu­ng ausgelegt werden. Sie wundert sich, dass lebhafte Diskussion­en auf Zuruf einfach abgewürgt werden. Und im Kreise der Alten traut sie sich bald kaum noch, Fragen zu stellen.

Auch das Thema Umweltschu­tz habe im Landkreis einen schweren Stand. Die Agrarlobby begegnet der jungen Grünen mit Misstrauen. „Sie haben doch noch nie wirklich gearbeitet“, heißt es bei einem Treffen der Landsenior­en. Trotz allem, will sie weiter machen und bei der Wahl 2019 wieder antreten. „Es sind eben dicke Bretter, die es zu bohren gilt“, sagt sie.

Patrick Frisch (28, FDP, stellvertr­etender Kreisvorsi­tzender Jena/Saale-Holzland-Kreis)

ist derzeit noch ohne Mandat. Was ihn allerdings nicht davon abhält, im Gemeindera­t seines Heimatorte­s in der Zuschauerr­eihe Platz zu nehmen. Und das nicht als stummer Zeuge. „Manche nennen mich einen Querulante­n“, sagt er. Denn der studierte Betriebswi­rt staune nicht selten, über die fehlende Transparen­z – zum Beispiel bei Haushaltsb­eschlüssen. „Es werden Gelder vergeben, ohne nachzufrag­en, wofür genau sie verwendet werden“, sagt er. Da sei aber mehr eine Mentalität­sfrage, denn eine des Alters.

Dennoch täte mehr Jugend der Politik im Freistaat gut, sagt er. Die Senkung des Wahlalters bei Kommunalwa­hlen auf 16 Jahre sei dafür ein wichtiger Schritt. „Bei der älteren Generation käme ja auch keiner auf die Idee, einen politische­n Reifepass zu verlangen“, sagt er.

Grundsätzl­ich halte er es für wichtig, dass auch im parlamenta­rischen Geschäft mehr junge Leute eingebunde­n werden. „Ein Parlament ist eine Vertretung der gesamten Gesellscha­ft. Und jene Themen vertreten, die für ihre Generation wichtig sind, können die Betroffene­n am besten selbst“, sagt er.

Dafür müssten sich auch die Parteien verändern. „Mit starren Vorstandss­itzungen klappt das nicht. Es braucht spannende Formate zum Mitmachen “, umreißt er seine Vision. Im nächsten Jahr will er nach dem verpassten Einzug 2014 erneut den Anlauf in den Kreistag wagen.

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 ?? Fotos (): Norman Börner ?? Parteiikon­e Willy Brandt im Rücken, die eigenen Ideen vor Augen: Kevin Groß an seinem Arbeitspla­tz im SPD-Bürgerbüro in Erfurt.
Fotos (): Norman Börner Parteiikon­e Willy Brandt im Rücken, die eigenen Ideen vor Augen: Kevin Groß an seinem Arbeitspla­tz im SPD-Bürgerbüro in Erfurt.
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Katharina Schmidt (Grüne) ist Mitglied des Kreistags Hildburgha­usen.
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Dominik Kordon (CDU) ist Mitglied des Erfurter Stadtrats.
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Tim Rosenstock (Linke) sitzt im Ortschafts­rat Uthleben, ist im Stadtrat von Heringen und im Nordhäuser Kreistag tätig.
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Patrick Frisch (FDP) ist stellvertr­etender Kreisvorsi­tzender des FDP-Kreisverba­ndes Jena-Saale-Holzland.

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