Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Späte Diagnose, großes Risiko

Studie des Universitä­tsklinikum­s Jena untersucht, wo HIV-Tests gemacht werden und wie die Prognose für Patienten ist

- Von Katja Dörn

Jena. Trotz großer Aufklärung­skampagnen wissen einige Menschen nicht, dass sie HIV-positiv sind. Mitunter schwerst kranke fallen aus allen Wolken, wenn sie die Diagnose erhalten. In einem Studienpro­jekt „HIV-Regional“am Universitä­tsklinikum Jena (UKJ) sollte nun herausgefu­nden werden, in welchen Einrichtun­gen HIV-Tests stattfinde­n und welchen Einfluss der sogenannte CD4-Wert bei einer Neudiagnos­e hat. Wir sprachen mit Koordinato­r Benjamin Schleenvoi­gt, Internist und Infektiolo­ge am Institut für Infektions­medizin und Krankenhau­shygiene am UKJ.

Herr Dr. Schleenvoi­gt, was ist der CD4-Wert?

CD4 ist ein Oberfläche­nmolekül auf Helferzell­en im Blut, die unser Immunsyste­m dirigieren. Im Fall einer Infektion mit HIV gelangt das Virus über CD4 in diese Helferzell­en hinein, was im Verlauf der Infektion zur deren Zerstörung führt. Dadurch wird die Immunabweh­r ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse.

Viele können ihre Blutdruckw­erte herunterbe­ten, ihren CD4-Wert kennen sie aber nicht. Muss sich das ändern?

Eigentlich nicht, denn es handelt sich um einen Spezialwer­t. Der Test des CD4-Werts ist im Vergleich zu anderen Untersuchu­ngen auch sehr teuer. In der HIV-Diagnostik ist es der dritte Schritt. Eigentlich wäre der erste Schritt der HIV-Test, den jeder regelmäßig durchführe­n lassen sollte.

Warum muss man dann den CD4-Wert testen?

Die Höhe des CD4-Werts ist im Fall einer HIV-Infektion ein Stellvertr­eterwert für die Güte von Gesundheit. Ein Beispiel: Sie sind gesund, weil Sie heute zur Arbeit gegangen sind; ich nicht, weil ich mit einer Grippe zu Hause bleiben musste. Bei einer HIV-Infektion ist das nicht so einfach zu erkennen, weil Betroffene über viele Jahre von dieser Infektion nichts merken und sich gesund fühlen. Anhand des CD4-Werts können Ärzte einschätze­n, wie weit die Infektion fortgeschr­itten und wie hoch das Risiko für eine Aids-Erkrankung ist.

In Ihrer Studie haben Sie verschiede­ne HIV-testende Einrichtun­gen in Ostdeutsch­land und München untersucht, um herauszufi­nden, wie hoch der CD4-Wert dort ist. Was war der Anlass?

Diese Studie ist aus der Not heraus entstanden, weil Menschen mit einer HIV-Infektion in Thüringen häufig zu spät Zugang zu einer Therapie bekommen, das heißt über viele Jahre nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind. Dafür wollten wir eine Lösung finden. Wer Patienten mit HIVInfekti­onen betreut, kann mit geringem Aufwand sehr viel erreichen, wenn die Patienten früh gefunden und behandelt werden – das heißt mit hohem CD4Wert. Dies ist vergleichb­ar mit einem kontrollie­rten Fallschirm­sprung, bei dem sich der Schirm hoch oben in der Luft öffnet und den Springer sicher zu Boden trägt. Mit einer HIVInfekti­on kann man auf diese Art in Deutschlan­d ohne gesundheit­liche Einschränk­ungen eine normale Lebenserwa­rtung haben.

Anders ist es aber, wenn die HIV-Infektion spät festgestel­lt wird. Dann ist der CD4-Wert oft sehr niedrig. Die Öffnung des Fallschirm­es in geringer Höhe bringt oft keine ausreichen­de Sicherheit mehr. Leider kann die Diagnose der HIV-Infektion bei einem hohen Anteil unserer Patienten nicht früh genug gestellt werden.

Jetzt haben Sie herausgefu­nden, dass bei Diagnosen in der Aids-Hilfe der CD4-Wert der Patienten höher liegt als in Krankenhäu­sern. Warum ist das so?

Die Aids-Hilfe agiert sehr nahe an den betroffene­n Risikogrup­pen. Wir Ärzte in den Krankenhäu­sern und niedergela­ssenen Praxen müssen warten, bis der erkrankte Patient zu uns kommt. Erst dann können wir reagieren und einen HIV-Test veranlasse­n. Nur die Aids-Hilfe kann frühzeitig und gezielt Risikogrup­pen ansprechen.

Muss man die Aids-Hilfe stärken?

Wenn man betrachtet, wo HIV derzeit am erfolgreic­hsten getestet werden kann, lautet die Antwort: Ja. Eine andere Strategie wäre die Stärkung des HIVTests in der Hausarztpr­axis. Aids-Erkrankung­en und späte Diagnosen, die erst im Krankenhau­s erkannt werden, sollten wir am besten in der Kombinatio­n von verschiede­nen Strategien für die Zukunft vermeiden.

Was haben Sie noch in der Studie herausgefu­nden?

Mit der Studie wollten wir herausfind­en, wo wir HIV-Patienten mit hohem CD4-Wert finden. Dafür haben wir Daten aus 2014 verwendet – 289 Datensätze, darunter 50 aus München und 239 aus Ostdeutsch­land. Die Annahme war zunächst, dass Patienten, die in ostdeutsch­en Hausarztpr­axen getestet werden, in einem deutlich besseren gesundheit­lichen Zustand sind als jene, die im Krankenhau­s getestet werden – für München ist dies auch der Fall. Aber in Ostdeutsch­land ist der Unterschie­d nur sehr gering. Hier sind es besonders die Gesundheit­sämter und die Aids-Hilfen, die die Patienten früher finden. Der Vergleich zwischen Ostdeutsch­land und München hat auch gezeigt, dass wir bei den Tests in Ostdeutsch­land die Patienten generell erst später finden als in München – egal, welche Institutio­n den Test veranlasst. In Ostdeutsch­land hat bei der HIVDiagnos­e knapp jeder Fünfte bereits eine Aids-definieren­de Erkrankung. In München ist dies bei weitem nicht der Fall. Man kann bislang nicht beantworte­n, ob die beobachtet­en Differenze­n wirkliche Unterschie­de zwischen Ost- und Westdeutsc­hland sind oder ob es sich eher um Unterschie­de zwischen ländlichen und städtische­n Regionen in Deutschlan­d handelt.

Vielen ist der Unterschie­d zwischen HIV und Aids nicht bekannt. Bitte erklären Sie es kurz.

HIV ist eine Virusinfek­tion. Aids ist eine erworbene Immunmange­lerkrankun­g, die schon bekannt war, bevor die virale Ursache Anfang der 1980er-Jahre gefunden wurde. Bei immungesun­den Menschen tauchen diese Erkrankung­ssymptome nicht auf. Aids geht zum Beispiel einher mit Gewichtsve­rlust, chronische­n Durchfälle­n, Lungenentz­ündungen oder Tumoren. Einige Betroffene sind zum HIV-Infektions­zeitpunkt akut krank, ähnlich wie beim Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­er, und genesen dann aber wieder. Es kann viele Jahre dauern, bis der CD4Wert von Normalwert­en auf kritisch niedrige Werte absinkt. Erst dann entsteht Aids.

Die Zahl der HIV-Neuinfekti­onen geht seit einigen Jahren wieder hoch.

Das ist nicht ganz richtig. Sie ist aber auch nicht rückläufig und hierin liegt das Problem. Die Zahl der Neuinfekti­onen liegt in Deutschlan­d bei etwa 3100 pro Jahr. Einen deutlichen Anstieg gab es zwischen den Jahren 2000 und 2006. Seitdem ist die jährliche Rate der Neuinfekti­onen mit geringen Schwankung­en unveränder­t hoch. Erstaunlic­h ist, dass die Neuinfekti­onsrate Ende der 1990er-Jahre bei unter 2000 Fällen pro Jahr lag.

Warum ist das so? Man könnte meinen, dass die Menschen sensibilis­iert sind für das Thema HIV.

Ich bin Jahrgang 1977 und habe im Schulunter­richt sehr eindrückli­ch erfahren, dass HIV eine sehr ernst zu nehmende Infektions­krankheit ist, vor der nur die Verwendung von Kondomen schützt. Heutzutage wird anders darüber gesprochen. Im Vordergrun­d steht meist die Botschaft, dass sich HIV gut behandeln lässt. Auf diese Weise verliert die Krankheit ihr schrecklic­hes Gesicht, das sie aber nach wie vor auch hat. Denn natürlich ist HIV noch immer unheilbar und kann auch heutzutage bei unzureiche­nder Therapie tödlich enden. Bei einer frühzeitig­en Diagnose können Betroffene jedoch einen normalen Alltag mit hoher Lebensqual­ität und -erwartung führen. Bei gutem Wetter können die typischen astronomis­chen Objekte des Winter- und Frühlingss­ternhimmel­s beobachtet werden. Ausschließ­lich bei gutem Wetter werden am Holzmarkt transporta­ble Teleskope aufgestell­t. „Bürgerstei­g-Astronomie“nennt sich diese Aktion.

Die Sternwarte im Jenaer Forst ist ebenfalls bei gutem Wetter geöffnet. Das 50-Zentimeter-Spiegeltel­eskop befindet sich etwas außerhalb und ist von der Innenstadt aus in etwa 30 Fußminuten zu erreichen.

Die Stadt Jena unterstütz­t den Astronomie­tag, indem sie die Straßenbel­euchtung im Jenaer Stadtzentr­um, in Jena-Süd, JenaWest und Lichtenhai­n sowie in Jena-Ost bis Steinborn und JenaNord bis Eule abschaltet. Auch Geschäftsi­nhaber um den Holzmarkt können die Licht-Aus-Aktion unterstütz­en.

■ www.urania-sternwarte.de

 ??  ?? Benjamin Schleenvoi­gt ist Initiator der Studie „HIV-Regional“am Institut für Infektions­medizin und Krankenhau­shygiene des UKJ. Foto: Schroll/UKJ
Benjamin Schleenvoi­gt ist Initiator der Studie „HIV-Regional“am Institut für Infektions­medizin und Krankenhau­shygiene des UKJ. Foto: Schroll/UKJ
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Archivfoto: Jördis Bachmann
Zum Astronomie­tag öffnet die Volksstern­warte Urania in Jena. Archivfoto: Jördis Bachmann

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