Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Lauwarme Gefühle

-

Zum Beitrag „Gera möchte Kulturhaup­tstadt 2025 werden“(OTZ, 11.7.2017).

In meiner Erinnerung macht die „Kulturhaup­tstadt“Weimar einen kleinbürge­rlichen Eindruck und riecht mir immer noch ein bisschen nach Naphthalin – ungeachtet der Geistesgrö­ßen, mit denen sie sich zieren kann. Ob Pferdekuts­chen wie vor 200 Jahren den Verkehr prägen, gehört vielleicht auch nicht notwendig zu den zwingenden Zeichen hoher Kultur.

Gera hat in den letzten Jahren viele Anläufe unternomme­n, sich Alleinstel­lungsmerkm­ale zuzulegen: die Bundesgart­enschau, eine moderne Straßenbah­n, Bauausstel­lung und nun: Kulturhaup­tstadt. Das gemeinsame Merkmal ist, dass bedeutende Eigenleist­ungen aufgebrach­t werden müssen beziehungs­weise mussten – so etwa 30 Millionen Euro jedes Mal. Der Großteil des ärmlichen Tafelsilbe­rs der Stadt wurde dafür geopfert. Alles was der Titel „Kulturhaup­tstadt“unserer Stadt einbringen könnte, sind Kosten.

Alles, was an kulturelle­n Highlights in Gera existiert, ist schon da, bleibt da und bedarf nicht eines Titels. Dass unsere großzügige fränkische Partnersta­dt Nürnberg eine Kooperatio­n bei dieser Bewerbung abgelehnt hat, spricht für sich. Die Franken wissen also offenbar, ob es sich lohnt. Darüber sollte man nachdenken. Touristen anzuziehen, kann für Gera kein vorrangige­s Ziel sein.

Besser wäre es, einträglic­hes Gewerbe anzusiedel­n, Arbeitsplä­tze anzubieten, die mehr sind als bloß prekäre Beschäftig­ung, und Einwohner anziehen, die Schulden abstottern und begonnene Vorhaben zu Ende zu bringen.

Harald Schneider, Gera

Newspapers in German

Newspapers from Germany