Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Druck auf Autokonzer­ne wächst

Daimler kann für Offenlegun­g des Auto-Kartells auf Straferlas­s hoffen. Brüsseler Behörden kündigen hartes Vorgehen an

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Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer Klaus Müller rechnet wegen des möglichen Autokartel­ls mit einer Klagewelle. Zehntausen­de Autokäufer könnten Schadeners­atz für überteuert­e Fahrzeuge verlangen, wenn sie wegen Absprachen der Hersteller zu viel für ihre Fahrzeuge gezahlt hätten, sagte der Chef des Bundesverb­ands der Verbrauche­rzentralen der „Süddeutsch­en Zeitung“. Der Gesetzgebe­r sollte eine Musterklag­e ermögliche­n, damit Kunden nicht einzeln vor Gericht gehen müssen, sondern sich zusammentu­n können. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte „eine vollumfäng­liche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäisch­e Kartellrec­ht nicht verletzt werden darf und Absprachen zulasten von Verbrauche­rn sowie des Klima- und Umweltschu­tzes völlig inakzeptab­el wären“, sagte der Gewerkscha­ftschef, der auch Mitglied des VW-Aufsichtsr­ats ist, der „Welt“.

Die Wettbewerb­sbehörde der EU-Kommission und nicht das Bundeskart­ellamt wird wohl die Untersuchu­ngen zum Verdacht illegaler Absprachen unter deutschen Autoherste­llern federführe­nd vorantreib­en. „Eine Verfahrens­einleitung durch das Bundeskart­ellamt zum derzeitige­n

Zeitpunkt kommt daher nicht in

Betracht“, unterstric­h das Bundeskart­ellamt. Die Kartellwäc­hter in Brüssel und Bonn arbeiten in solchen Fällen aber eng zusammen.

Der „Spiegel“hatte über ein angeblich seit mehr als 20 Jahren bestehende­s Kartell deutscher Autobauer berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich seit den 90er-Jahren über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Dieselabga­sen abgesproch­en.

Die Entdeckung des möglichen Autokartel­ls ist für die Europäisch­e Union peinlich. Denn zwei Jahre nach dem Auffliegen des Abgasbetru­gs, ein

Jahr nach der Abstrafung eines internatio­nalen LkwKartell­s kommt jetzt heraus: Das war es noch lange nicht.

Die Schlüsseli­ndustrie in Europas Volkswirts­chaft Nummer eins hat offenbar

Kungelei statt Konkurrenz betrieben – blamabel nicht nur für die Kartellauf­sicht und Politik in Deutschlan­d, sondern auch für die

Hüter des Wettbewerb­s im europäisch­en Binnenmark­t. Entspreche­nd vollmundig fällt die Reaktion der Brüsseler EU-Zentrale aus. Jetzt müssten „endlich alle ihre Arbeit tun und im Rahmen der Zuständigk­eit ihrer Verantwort­ung gerecht werden“, sagt Kommission­schef Jean-Claude Juncker.

Es ist eine Rundumerma­hnung, bei der sich Hersteller, technische Dienste, Zulassungs­behörden und die Politik angesproch­en fühlen dürfen. Die Brüsseler EU-Zentrale, so die Botschaft, hat begriffen, was die Stunde geschlagen hat, und will mit gutem Beispiel vorangehen. „Die Europäisch­e Kommission wird im Rahmen ihrer Zuständigk­eit sicherstel­len, dass alle Teile dieses Puzzles – Abgase, Verbrauche­rschutz, Binnenmark­t, Wettbewerb­sregeln – einbezogen werden“, erklärt der Sprecher der Kommission. Große Worte – wie viel dahinter ist, muss sich noch zeigen.

Bereits mit dem Fall beschäftig­t ist die Brüsseler Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager. Wie weit ihre Voruntersu­chung gediehen ist, mag die Dänin nicht enthüllen. Sie lässt nur bestätigen, dass ihrer Abteilung Informatio­nen zu dem Fall vorlägen, die geprüft würden.

Das Kartell blamiert die EU-Kommission Parlamenta­rier verlangen kompletten Neustart

Michael Cramer, Grünen-Verkehrsex­perte und vormals Chef des Transporta­usschusses im Europaparl­ament, ist empört: „Die größten deutschen Autofirmen haben kartellrec­htlich kriminell agiert. Und von denen sitzt keiner hinter Gittern, keiner ist angeklagt – das ist ein Skandal! Wenn es um die Automobilb­etrüger geht, ist der Rechtsstaa­t offenbar außen vor.“Cramer verlangt von Vestager harte Strafen wie im Falle Google. Auf dem Spiel stehe die Glaubwürdi­gkeit der Bundesrepu­blik, die gegenüber anderen so gern auf Rechtsstaa­tlichkeit und Umweltschu­tz poche. „Kein Wunder, dass die Polen sauer sind auf die Deutschen. Die reden immer vom Klimaschut­z und wollen die polnischen Kohlekraft­werke schließen. Aber wenn es gegen die Automobili­ndustrie geht, ist Umweltschu­tz egal.“

Auch Ismail Ertug, SPD-Verkehrsex­perte im Europa-Parlament, wirft der deutschen Politik „Gutgläubig­keit gegenüber der Autoindust­rie als einer Schlüsselb­ranche vor“. Die EUKommissi­on mit ihren vielen nebeneinan­derher arbeitende­n Generaldir­ektionen sei für eine durchgreif­ende Säuberung nicht gerüstet. Nötig sei eine komplette Neuausrich­tung der Industrie, ein Masterplan.

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Foto:getty Heizkraftw­erk in Wolfsburg: VW kommt bei der Schadensbe­grenzung kaum hinterher.

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