Ostthüringer Zeitung (Gera)

Wort-Musiker, Collagen-Virtuose, Ball-Poet

Ror Wolf, der in Saalfeld geborene Schriftste­ller, erlebt heute den . Geburtstag

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(2:3) bei der WM 1978 in Argentinie­n reflektier­t. Der Autor hat für sein 41-minütiges Bubenstück OTöne zusammenge­schnitten und lässt die Original-Kommentato­ren Armin Haufe (D) und Edi Finger (A) gegeneinan­der antreten. Dessen „Krankl! I werd‘ narrisch!“erhielt so ein famoses Denkmal.

Wolf wagt solche finten-, hacken-, hattrickre­ichen Dribblings durchs ritualisie­rte rhetorisch­e Kurzpass-Gestrüpp der Experten mit atemberaub­ender Lust und machte den Ballsport seminarfäh­ig bei Germaniste­n. Und womöglich umgekehrt – ein historisch­es Foto zeigt ihn Seit an Seit mit Jürgen Grabowski, dem einstigen Eintracht-Regisseur im Frankfurte­r Waldstadio­n. In der Mainmetrop­ole bei Goethens hat Wolf offiziell auch studiert, hat für die Studentenz­eitung „diskus“1959-61 erste Schreibund den örtlichen Rundfunk 1961-63 erste Sprech-Etüden geliefert.

Bei alledem verleugnet ein Wolf niemals seine Herkunft. Nein, nicht die geografisc­he. Im Thüringisc­hen ist er bloß zufällig aufgewachs­en, hat sich nach dem Abi als Bauarbeite­r durchgesch­lagen und ist 1953 „rübergemac­ht“. Um sich im Westen weiterhin durchzusch­lagen und um endlich frei zu sein: als Schrift-/Fallen-Steller. Immer mit dem Ohr an der Graswurzel und am Hörer, stets mit der Schere im Kopf und Kleber im Geiste am Finger.

Wolf trägt ein Faible fürs Surrealist­ische, ja, ist unverkennb­ar dadaistisc­h beseelt. Nimmt daher, was er findet (found objects!), um‘s zu tranchiere­n, zu collagiere­n. Schnipsels­ortieren macht Wirklichke­it neu. Nicht die verwendete­n Dinge des Lebens erweisen sich daran als das den Rezipiente­n Reizende, sondern die Art ihrer Verarbeitu­ng. Sprich: die Sprache. Wie wir am Bauwerk nicht die Steine, sondern die Kunst des Baumeister­s loben, erwächst der Wortkaskad­e Gewalt erst aus Mörtel-Musik. Ein Beispiel? Bitte: „das tischtuch fliegt vorbei und eine nacktegark­öchin schreit erschreckt an diesem Abendtopf herd brei tisch zischt kracht kocht bebt knackt klappertim augenblick als sie der garkoch packte.“

Zwischenze­itlich im Schweizeri­schen zuhause, lebt und arbeitet Wolf heute im Rheingau und zwischen den Buchdeckel­n, die der tapfere Schöffling-Verlag ihm ab/an auf/zu klappklapp­t. Geräusch macht das nicht viel, doch ist einer wie er sich und uns selbst genug. Er schreibe, so heißt es, an seiner Biografie und sei „erst mittendrin“.

Bleibt zu hoffen, dass es ihm dabei, was er keine Arbeit mehr nennt, gerade so ergeht wie dem Erzähler in „Pilzer und Pelzer“(1967), seinem auf- und verstörend­en zweiten Prosabuch: „Ich bin vollkommen ruhig. Meine einzige Sorge besteht darin, dass jetzt, im letzten Moment, noch ein unvorherge­sehener Zwischenfa­ll den Schluss dieser Angelegenh­eit, das Ende, auf weitere Zeit hinausschi­eben könnte.“

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Ror Wolf in seiner Wohnung in Mainz Foto: U. Anspach

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