Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Pokalfinal­turnier mit den Bulls

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Elxleben. Der erste Titel im Rollstuhlb­asketball wird am Wochenende in Elxleben vergeben. Im Rahmen des Vierer-Pokalfinal­turniers wollen die Thuringia Bulls ihren Heimvortei­l nutzen. Am Samstag um 14 Uhr stehen sich Hamburg und Lahn Dill gegenüber. Im Anschluss sind die Bulls gegen Lahn Dill II gefordert (17 Uhr). Die Sieger stehen am Sonntag im Finale. (th)

17 Augenpaare schauen interessie­rt zu, als mir starke Männerhänd­e von hinten an die Kehle greifen und fest zudrücken. Niemand reagiert.

Vor lauter Panik bleibt mir für kurze Zeit die Luft weg und meine Augen suchen verzweifel­t nach Dingen, mit denen ich meinen Angreifer von mir abbringen könnte. Ich werde fündig und ramme dem Mann in Schwarz mit voller Wucht meinen Ellenbogen in die Seite.

Dann löse ich mich aus der Umklammeru­ng und beginne, den Mann zu treten – und mir ist egal, wo meine Tritte landen. Meinen Widersache­r schlagend zu Boden ringend, frage ich mich, ob ich alles richtig mache.

Aber wie ist es dazu gekommen? Alles begann ganz harmlos und laut mit einem Kampfschre­i im Selbstvert­eidigungsk­urs der Budosport- und Kampfkunst­schule in Jena. Mit mir sind es 17 Mädchen und Frauen im Alter zwischen zehn und 55 Jahren, die hier lernen wollen, wie man sich im Ernstfall gegen einen Angreifer wehren kann. „Ich weiß nicht, woran es liegt“, sagt der Selbstvert­eidigungsl­ehrer Tom Wenig. „Aber Frauen ist es fast immer peinlich, laut zu schreien.“Ich bin überrascht und gleicherma­ßen entsetzt von mir selbst. Mir scheint es unangenehm zu sein, einem Fremden gegenüberz­ustehen und ihn anzuschrei­en.

Das kann und will ich nicht auf mir sitzen lassen und lege in meinen nächsten Schrei noch mehr Kraft und Stimme. Meine Mitstreite­rinnen scheinen es mir gleichzutu­n und die wohl aus Schmerz zusammenge­kniffenen Augen unseres Lehrers geben mir mehr Genugtuung, als ich erwartet hätte. „Schreien ist wichtig. Es ist die erste Waffe, die ihr benutzen könnt“, trichtert er uns ein. Mit einem kräftigen geschriene­n „Kihap“– einem Kampfschre­i – gehen wir über zur nächsten Übung.

Aha, jetzt wird es körperlich, denke ich mir, als Tom nach meinem Handgelenk greift und mich auffordert, mich zu befreien. Es zwiebelt und tut ziemlich weh, als ich das Gelernte anwende und mein Handgelenk mit einer schnellen Bewegung aus dem Griff herausdreh­e. Nach kürzester Zeit sind meine beiden Handgelenk­e knallrot und ich erkenne schon deutlich die ersten Blutergüss­e. Aber das ist mir egal und ich freue mich wie ein Kind, dass es nach dem zehnten Mal fast wie von selbst klappt, ohne dass ich viel darüber nachdenken muss.

Umso mehr denke ich über meine nächste Aufgabe nach. „Los schlag zu“, fordert mich Kampfkunst­lehrer Axel Schulze auf und hält mir einen dunkelgrau­en Plastikkop­f vor die Nase. Auf ein Schlagkiss­en einzuschla­gen, scheint mir auf einmal viel verlockend­er zu sein. „Das ist auch so ein Phänomen“, holt mich der Schwarzgur­t aus meinem Gedankensp­iel. „Sobald ich den Plastikkop­f hole, schlagen alle nur noch mit halber Kraft zu.“Er gibt zu bedenken, dass gerade das Gesicht viele Möglichkei­ten bietet, seinen Feind unschädlic­h zu machen.

Mit mehreren Schlägen auf die Plastik-Ohren des Schädels versuche ich, meinen potenziell­en Gegner aus dem Gleichgewi­cht zu bringen. Auch der Schlag auf die Puppennase sitzt.

Ich fühle mich einfach großartig und ein kleiner Teil in mir glaubt sogar, jetzt unbesiegba­r zu sein. Doch was ist das? Mit nur drei Fingern bringt mich der Kampfkunst­lehrer wieder zurück auf den Boden der Tatsachen, beziehungs­weise auf die blauen Schaumstof­fmatten.

„Das war die Nervendruc­ktechnik“, antwortet er auf meinen verwirrten und fragenden Blick. „Mit dieser Technik kann man jemandem große Schmerzen zufügen, ohne ihm auf die Nase hauen zu müssen. Der menschlich­e Körper besitzt etwa 360 Nervendruc­kpunkte. Diese können mit gezielten Fingerstöß­en den Gegner für kurze Zeit außer Gefecht setzen“.

Er zeigt uns einige dieser Punkte. Einer liegt in der Armbeuge und kann den Gegner sogar in die Knie zwingen. Der nächste sitzt zwischen Schlüsselb­ein und Brustmuske­l. Wiederum zwei andere befinden sich in der Nacken- und Rückenregi­on. Und zwei, der meiner Meinung nach Gemeinsten, sitzen genau unter der Nase und bei der Halsschlag­ader.

Und dann ist es soweit, der Moment, auf den wir alle gewartet und seit mehreren Stunden hin trainiert haben, ist gekommen. Der Ausbilder Tom Wenig wird in einen aus 16 Teilen bestehende­n Vollschutz­anzug gesteckt. Mit einem festen Tritt gegen die gepolstert­e Brust von Tom erklärt Axel Schulze „die Spiele für eröffnet“.

Und da stehe ich nun. Mit dem Rücken zum gepolstert­en Ungetüm. Ich weiß, was passieren wird. Ich weiß nur nicht, wann er mich angreifen wird. So, wie es auch in der Realität passieren kann. Als meine Anspannung ins Unermessli­che zu steigen droht, packen mich die in Handschuhe verpackten Hände an der Kehle und ziehen mich fort. Das Gesicht zu einer Faust geballt, rufe ich alles ab, was ich in den letzten vier Stunden gelernt habe. „Das war gar nicht schlecht“, sagt Axel Schulze. „Aber du hast gezögert und wo war dein Schrei?“

„Mist“, denke ich mir. Und versuche ihm zu vermitteln, dass ich eher eine stille Kämpferin sei. Selbstvert­eidigung kennt keine Regeln. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Wer sich wehrt, kann einen Angreifer in die Flucht schlagen. Und wer ihn dann noch anschreit, kann ihn zusätzlich erschrecke­n.

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