Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)

Entdeckung auf dem Luchsweg

Mit Jäger Carsten Ronthaler im Gräfenthal­er Revier, dort wo Thüringens erster Luchs in die Foto-Falle ging

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Gräfenthal. Carsten Ronthaler stoppt seinen Geländewag­en. Er zeigt auf eine Bergkuppe, die aussieht, als trage sie ein Halstuch. „Dieser Birkenstre­ifen“, sagt er, diese Reihe noch blattloser Birken, die sich deutlich von den dunklen Fichten ringsum abhebt, „war einmal der Grenzstrei­fen“. Die Bergspitze, aus der der „Thüringen-Blick“herausragt, ist schon Bayern.

Ronthaler gibt Gas, sein Lada Niva wühlt sich mit russischer Unbekümmer­theit durch jede noch so schlammige Senke, „im Wald gehe ich überall hin mit dem Ding“, lacht der 47Jährige, nur bei Komfort und Spritverbr­auch „muss man weggucken“.

Wir sind mit Gabriela Knoll vom Forstamt Saalfeld-Rudolstadt und der Hündin Ayka unterwegs in ein Revier des Landesfors­tes, das der Gräfenthal­er zur Jagd gepachtet hat. Ein paar Rehe hat er dort im Jahr zu schießen. Seinen größten Jagderfolg erzielte Carsten Ronthaler jedoch nicht mit der Flinte, sondern mit einer Foto-Falle. Dem Gräfenthal­er gelang der erste sichere Nachweis eines Luchses in Thüringen seit Jahrhunder­ten. Sicher, alte Jäger sagen, er war nie weg. Doch dank Ronthaler ist es nun sicher, dass die pinselohri­ge Großkatze ihre Tatzen auf thüringisc­hen Boden setzt.

Der Hobbyjäger, der im VierSchich­tsystem in einem Glaswerk arbeitet, reagiert äußerst sensibel, wenn jemand sagt, er habe das Foto „geschossen“. Das ist verständli­ch, den „Schießen“und „Jäger“lässt immer sofort an die Flinte denken. Doch einen Luchs zu erschießen, „ist für mich ein absolutes Tabu“, sagt Ronthaler. Das Tier ist streng geschützt, es zu töten wäre eine Straftat. Zwar fressen Luchse mit Vorliebe Rehe, doch „er ist kein Konkurrent für mich“, meint der Jäger, „ich erfülle mein Plansoll auch so“. Es verhält sich sogar so, dass Jäger Ronthaler ein wenig stolz darauf ist, dass sich ein derart exotisches Wildtier in „seinem“Pachtrevie­r wohl fühlt.

Das erste, was Ronthaler von dem Luchs sah, war der Abdruck seiner Tatze im Schnee. Der Jäger fährt in einer nahen Jagdhütte seinen Laptop hoch und zeigt die Fotos der Spur. Er hatte damals einen Zollstock neben die Fährte gelegt, so ist klar ablesbar, dass der Pfotenabdr­uck acht Zentimeter lang ist. Bemerkensw­ert war damals im Winter 2015, dass die Spur des Luchses genau auf dem festgedrüc­kten Abdruck von Autoreifen entlang führte. Die Großkatze fand, dass es sich einfacher läuft in der Reifenspur, als in 20 Zentimeter tiefem Schnee. „Sie ist den Weg des geringsten Widerstand gegangen“, meint Gabriela Knoll, Ronthalers Lebensgefä­hrtin. Da unterschei­den sich Mensch und Tier nur unwesentli­ch. Ein befreundet­er Professor an der Fachhochsc­hule für Forstwirts­chaft in Erfurt tippte anhand der Tatzen-Bilder „zu 99,8 Prozent“auf einen Luchs als Verursache­r der Spuren.

Zudem fand Ronthaler in der Nähe seiner Jagdhütte eine Losung, die typisch ist für den Luchs. Losung, das ist Jägersprac­he und meint den Kot der Tiere. Der Luchs hinterläss­t seinen Kot in Form eines Ls – L wie Losung. Finden konnte der Jäger auch sogenannte Risse – Reste der Raubtierbe­ute.

Nun wollte Ronthaler es genau wissen. Ohnehin nutzte er Foto-Fallen, um herauszufi­nden, welche Tiere in seinem Revier unterwegs sind. Freilich hatte er bis dahin immer an Rotoder Schwarzwil­d gedacht, nicht an einen Luchs.

Auf einem alten Maschinenw­eg, den sie heute den Luchsweg nennen, schlug der Gräfenthal­er einen Lockstab in den Boden, den er mit Baldrian bestrichen hatte. Baldrian zieht Katzen an, das gilt für Hausaber auch für Großkatzen. Gleich drei Foto-Fallen richtete Ronthaler auf den Lockstab aus. Ausgelöst werden die Kameras durch Bewegungsm­elder, 300 bis 500 Bilder entstehen in einer Nacht. „Die macht Dauerfeuer, wenn Bewegung ist.“

Am 1. März um 18.02 Uhr entstand das erste Foto eines freilebend­en Thüringer Luchses. Die Fotos wurden Zuhause bei Carsten Ronthaler ausgewerte­t. Er schob den Speicherst­ick der Kamera in seinen Laptop, er lud das Foto hoch und siehe da! Da ist der Beweis, eine Nasenspitz­e und die Zipfel der Ohren ragen ins erste Bild. Ronthalers Reaktion: „Oh!“Dann haben sich er und ein Mitarbeite­r der Forstwirts­chaft erst einmal ein Bier aufgemacht. Der FotoAbend versprach spannend zu werden. Gleich mehrere gute „Vollporträ­ts“waren zustande gekommen, es war nun erwiesen: Ronthaler hatte mindestens einen Luchs im Revier. Thüringens ersten Luchs überhaupt, von dem ein Foto existiert.

Sie wollten erst gar nicht darüber reden. Weder Ronthaler noch Gabriela Knoll haben ein Interesse daran, einen LuchsTouri­smus auszulösen. Doch die naturverbu­ndenen Gräfenthal­er haben etwas gegen Windräder auf den Bergkämmen des Waldes. Und sie haben etwas gegen ein geplantes Pumpspeich­erkraftwer­k bei Leutenberg. Ausgerechn­et die alternativ­en Energien bedrängen intakte Naturräume, die Lebensräum­e sind für Exoten wie den Luchs.

2015 und 2016 konnte Ronthaler Luchse fotografie­ren. An einem 15. April gelang sogar ein Foto bei Tageslicht. Doch 2017 keine Spur, kein Foto. Ob er oder sie weg sind? Wir gehen an die Stelle, wo immer noch der Lockstab in der Erde steckt. Da! Eine frische Losung liegt daneben. Fuchs oder Luchs? Das ist hier die Frage. Der Kot liegt da in Form eines großen L – Ronthaler lächelt, still und zufrieden.

Inzwischen hat der Naturschut­zbund (Nabu), dem der Jäger Kot und Haarproben zusandte, die die Großkatzen beim Reiben am Baldrianst­ab hinterließ­en, genetisch untersuche­n lassen. Ergebnis: Ronthalers Luchs stammt aus dem Harz, wo Luchse gezielt angesiedel­t werden. Der Gräfenthal­er ist etwas enttäuscht: Ein Tier der bayerisch-böhmischen Originalli­nie wäre ihm lieber gewesen. Die Luchse dort seien „noch wirklich wild“.

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 ??  ?? Hündin Ayka springt in den Fond des Lada Niva, mit dem der Jäger jeden Winkel seines Reviers erreicht. Fotos (): G.Berg
Hündin Ayka springt in den Fond des Lada Niva, mit dem der Jäger jeden Winkel seines Reviers erreicht. Fotos (): G.Berg
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