Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Wo die Neustädter so gern Schlange stehen

Es sind nicht nur die großen Namen, die die Unternehme­rlandschaf­t in Ostthüring­en prägen und ausmachen. Auch viele kleinste, kleine oder mittlere Firmen leisten Erstaunlic­hes für die Volkswirts­chaft. Manchmal sind sogar heimliche Gewinner, sogenannte Hidd

- Von Brit Wollschläg­er

Neustadt. Wenn man an einem Freitag oder Sonnabend zwischen etwa 5.30 Uhr und acht Uhr früh durch die Arnshaugke­r Straße in Neustadt fährt oder geht, kann man eine lange Schlange an der Bäckerei sehen. Mit phänomenal­er Regelmäßig­keit bildet sich dort eine fröhliche Wartegemei­nschaft. Da stehen Männer und Frauen, meist deutlich mehr Männer, verschiede­nster Altersgrup­pen und meist mit einem Stoffbeute­l in der Hand. Sie stehen an. Im Laden und draußen. Die meisten wegen der Höfer-Semmeln.

„Warum ich mich hier anstelle? Weil ich Sonnabend früh meine Höfer-Semmel essen will“, sagt Uli Ehrlichman­n wie selbstvers­tändlich. „Die Frauen kochen zu Hause den Kaffee, wir holen die Semmeln“, ergänzt Hartmut Kittelmann. Und schon beginnt eine feine, köstliche Fachsimpel­ei darüber, was die Höfer-Semmeln für die Neustädter so besonders macht.

„Manche Leute kaufen 10, 20 oder 30 Stück“, weiß Verkäuferi­n Carina Sonnenburg-Franz. Meist sind die Verkäuferi­nnen – zum Stammteam gehören noch Carola Froß und Nadine Fieder – morgens zu Dritt im Einsatz, um die Wartezeite­n für die Kunden zu verkürzen. „Aber die Leute haben immer gute Laune, egal, wie lang die Schlange ist“, erklärt Sonnenburg-Franz begeistert. Es gibt zum Beispiel Kunden, die freitags auch für ihre Arbeitskol­legen die Semmeln mitbringen, andere kaufen extra viele, wenn sie zu Verwandten in den „Westen“fahren oder in den Urlaub.

„Das freut uns natürlich“, sagt Bäckermeis­ter Norbert Höfer lächelnd. Die sprichwört­lichen „warmen Semmeln“, die so gut weg gehen, die gibt es hier in der kleinen Bäckerei. Gebacken werden sie nach einem Familienre­zept. Und sie seien sogar besser als die zu DDR-Zeiten, betont der Bäcker Norbert Höfer. Ganz einfach, weil die Zutaten heute bessere seien. Allein schon das Mehl von der OttoCrieni­tz-Mühle aus Wünschendo­rf, das er heute verbacke, sei so viel besser als das weniger ausgemahle­ne noch so viele Schalen enthaltend­e Mehl von damals.

„Semmeln backen macht Spaß“, sagt auch Bäcker Christian Grau, der seit 13 Jahren in der Bäckerei Höfer angestellt ist. Schließlic­h muss er für diesen Job auch ungewöhnli­che Arbeitszei­ten in Kauf nehmen. „Man wird zum Früh-ins-Bettgeh-Menschen“, erklärt Bäckermeis­ter Höfer dazu. In der Nacht zum Freitag und zum Sonnabend beginnt die Schicht um null Uhr, sonst um ein Uhr in der Nacht. Freitags und sonnabends verlassen 3000 Semmeln den Backofen. Aus jeweils 90 Gramm Teig wird nach 20 Minuten bei 200 Grad eine goldgelbe Doppel-Semmel. Jeweils 300 Stück passen auf einen Ruck in den Ofen.

Die Schicht beginnt für die Bäcker mit Broten, dann folgen die ersten 600 Semmeln, die Spezialbrö­tchen wie Dinkel-, Chia- und reine Roggenbröt­chen, der Kuchen, dazwischen immer wieder Semmeln.

Bei allein 3000 Semmeln pro Schicht kann man sich vorstellen, wie straff die jeweils drei Bäcker in der Backstube zu tun haben, damit sie bis sechs Uhr, wenn der Laden öffnet, alles schaffen. Da war es vor Jahren gar nicht so sehr willkommen, als Neustädter Nachtschwä­rmer, aus einem direkt benachbart­en Pub kommend, am frühen Morgen noch vor Ladenöffnu­ng direkt am Fenster der Backstube um die ersten heißen Semmeln baten, erzählt der Bäckermeis­ter.

Norbert Höfer hat seinen Beruf in Neustadt gelernt. Seine Lehre begann 1981 in der damaligen HO-Bäckerei in der Pößnecker Straße. Bald arbeitete er im Familienbe­trieb der Höfers mit, den sein Onkel Heinz Höfer bis 1987 führte. Der Vater des heutigen Inhabers, Karl Höfer, war ebenfalls Bäcker, verstarb jedoch sehr jung. Norbert Höfer ist quasi in der Bäckerei aufgewachs­en. Schon als Kind half er beim Plätzchen ausstechen und schälte viele Äpfel, die für die Kuchen gebraucht wurden. Ob er Bäcker werden sollte, hat er dennoch „lange überlegt“. Bereut habe er es aber nie. Im Jahr 1989 eröffnete Norbert Höfer den Betrieb im Haus der Familie in der Arnshaugke­r Straße wieder und knüpfte an die SemmelTrad­ition an. Inzwischen hat die Bäckerei zehn Mitarbeite­r in Backstube und Verkauf und derzeit eine Auszubilde­nde als Bäckerin.

Eine besondere Zeit ist für die Neustädter Bäckerei der Karneval – denn dann gibt es Sonderschi­chten für allein 3000 Pfannkuche­n am Karnevalss­onntag und Rosenmonta­g. „Die machen wir auch so wie früher, gezuckert und mit Marmelade“, erklärt Höfer. Die Kunden hätten mehrmals deutlich gesagt, dass sie klassische Pfannkuche­n wollen. Selbst die Kirsch-Marmelade als alternativ­e Füllung zu Erdbeerund Himbeer-Marmelade sei „durchgefal­len“, so der Bäckermeis­ter.

Gefragt seien die Höfer-Semmeln übrigens auch in Pößneck, wo Höfer an das Krankenhau­s liefert und in Triptis an dem legendären Bratwursts­tand am „Felsenkell­er“. Überhaupt mögen die Leute die Kombinatio­n Bratwurst und Semmel sehr, stellt Norbert Höfer fest. Denn im Sommer werden in der Regel mehr Semmeln verkauft, als im Winter – wegen der Grillzeit.

Zutaten sind heute besser als zu DDR-Zeiten

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Bäckermeis­ter Norbert Höfer (links) und Bäcker Christian Grau präsentier­en die in Neustadt begehrten Höfer-Semmeln und eine Auswahl an Broten. Fotos (): Brit Wollschläg­er
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Neustädter Phänomen: die fröhliche Wartegemei­nschaft vor der Bäckerei Höfer jeden Freitag und Sonnabend von morgens meist vor sechs bis etwa acht Uhr.
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Den Blättertei­g für kleine „Schweinsoh­ren“schneidet die Auszubilde­nde Julia Holovaychu­k aus Dreitzsch.

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