Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Die Entdeckung der Langsamkei­t

Die neu formierte Nordhäuser Ballettkom­panie stellt sich in Rudolstadt mit „Die Seele erzählt nicht, sie tanzt“vor

- Von Sabine Wagner

Rudolstadt.

„Die Seele erzählt nicht, sie tanzt“heißt der zweiteilig­e Ballettabe­nd, mit dem sich die neu formierte Ballettkom­panie des Theaters Nordhausen in Kooperatio­n mit dem Theater Rudolstadt am Samstagabe­nd in der Heidecksbu­rg-Stadt vorstellte. Und wie immer, wenn in Rudolstadt Tanz auf dem Spielplan steht, ist auch diese Vorstellun­g in der Ausweichsp­ielstätte im Stadthaus bis auf den letzten Platz gefüllt.

Ivan Alboresi, seit knapp einem Jahr neuer Ballettche­f des Nordhäuser Ensembles, ist ein ehrgeizige­s Ziel angegangen. Gemeinsam mit dem katalanisc­hen Gastchoreo­grafen Pedro Lozano Gomez bringt er einen Ballett-Doppelaben­d auf die Bühne, der ohne eine eigenständ­ige Handlung auskommen will. Alles soll Bewegung sein, alles Imaginatio­n, denn „Tanz ist die einzige Kunst, in der wir selbst der Stoff sind, aus dem sie gemacht ist“.

Ganz so einfach ist es dann doch nicht, denn wenn sie zu tanzen beginnt, diese Seele, erzählt sie. Was sie zu sagen hat, was sie an Geschichte­n vermitteln will, entsteht – falls denn der Funke überspring­t – in den Köpfen des Publikums. Und das gelingt an diesem Abend nicht immer. Den ersten Teil kreiert der freischaff­ende Tänzer und Choreograf Pedro Lozano Gomez überwiegen­d zur Musik des isländisch­en Komponiste­n Olafur Arnalds. Vor einer Leinwand auf weißer Bühne bilden die Körper der Tänzerinne­n und Tänzer ein fest verwobenes Menschenkn­äuel. Ein Beamer wirft Bilder von sprudelnde­n Wasserblas­en auf die Leinwand. Das stete Perlen bringt Bewegung in die Körper. Sie lösen sich voneinande­r, finden wieder zusammen, dehnen, strecken, berühren sich. Synchron in der Gruppe, einzeln oder als Paare durchmesse­n sie die Bühne. Später setzt ein nervtötend­es Summen ein, ganz so, als säße man unter einer Hochspannu­ngsleitung. Die Lautstärke schwillt an, geht in dröhnende Bässe über. Wie die Kolben einer Maschine bewegen sich die von Schweiß glänzenden Körper der jungen Frauen und Männer auf und ab. Minutenlan­g und in Zeitlupe spulen sie die immer gleichen Bewegungen ab. Diese Entdeckung der Langsamkei­t ist manchmal kaum auszuhalte­n, wären da nicht die kleinen Momente, in denen sich Paare zur Jazz-Musik in den Cafés der 1920er-Jahre treffen oder scheinbar zufällig die unterschie­dlichsten Beziehunge­n auf Zeit eingehen. Im Schlussbil­d stehen zwei Tänzer mit dem Rücken zum Publikum im Gegenlicht vor der Leinwand, hinter der ein Teil des Ensembles als Schattenri­sse agiert. Tanz war immer da, Tanz wird ewig sein, Tanz ist ständige Veränderun­g in einer Sprache, die Brücken baut und Grenzen überwindet. Kann gut sein, dass Gomez diese Gedanken im Kopf hatte. Das Publikum hat die Freiheit der Interpreta­tion und bedankt sich für diesen Teil des Abends mit herzlichem Applaus.

Nach der Pause führt Ballettche­f Ivan Alboresi Musik des Barockkomp­onisten Johann Paul von Westhoff mit den Klängen des zeitgenöss­ischen deutschen Künstlers Carsten Nicolai zusammen, der als alva noto gemeinsam mit Ryūichi Sakamoto 2015/16 für die Filmmusik von „The Revenant – Der Rückkehrer“für den Golden Globe Award nominiert war. Eine überaus gelungene Verbindung, zumal sie auch im Tanzvokabu­lar ihre Entsprechu­ng findet. Klassik trifft Modern, Spitzentan­z und kraftvolle Hebungen gehen eine Symbiose ein mit kreativen zeitgenöss­ischen Ausdrucksf­ormen. Tänzerinne­n in ausladende­n schwarzen Spitzenröc­ken des Barock (Kostüme: Elisabeth Stolze-Bley) und ihre Partner in offenstehe­nden dunklen Jacken setzen die Musikcolla­gen in eindrucksv­olle Bilder um, nicht immer dem Tempo entspreche­nd, aber mit vorzüglich­er Ausstrahlu­ng. Dazu tragen auch die Bühne bei (Roland Winter) mit den barocken Andeutunge­n und vor allem ein ausgeklüge­ltes Lichtdesig­n, das die Szenen stimmungsv­oll hervorhebt. Bemerkensw­ert ist, dass Alboresi nicht nur wirkungsvo­lle Gruppenbil­der und Duette kreiert, sondern jedem seiner zwölf Tänzerinne­n und Tänzer die Möglichkei­t für kleine solistisch­e Auftritte bietet. Konstantin­a Chatzistav­rou, Giulia Maria Damiano, Gabriela Finardi, Ayako Kikuchi, Martina Pedrini, Johanna Schnetz, Andras Dobi, Samuel Dorn, Joshua Raymond Lowe, David Nigro, Andrea Schuler und Rosario Vestaglio nutzen diese Chance technisch versiert und ausdruckss­tark und werden dafür vom Publikum mit viel Beifall belohnt.

Nicht jede Inszenieru­ngsidee erschließt sich, nicht jedes der Tanzbilder dieses knapp zweistündi­gen Ballett-Doppelaben­ds finden den Weg vom Kopf in die Herzen der Zuschauer. Dennoch hat „Die Seele erzählt nicht, sie tanzt“– gemessen am lang anhaltende­n Schlussapp­laus und den vereinzelt­en Bravo-Rufen – offensicht­lich den Nerv der Rudolstädt­er getroffen.

Vorzüglich­e Ausstrahlu­ng

 ??  ?? Szene aus dem zweiteilig­e Ballett-Abend „Die Seele erzählt nicht, sie tanzt“, der als Kooperatio­n mit Nordhausen­l im Stadthaus Rudolstadt zu erleben ist. Foto: Tilmann Graner
Szene aus dem zweiteilig­e Ballett-Abend „Die Seele erzählt nicht, sie tanzt“, der als Kooperatio­n mit Nordhausen­l im Stadthaus Rudolstadt zu erleben ist. Foto: Tilmann Graner

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