Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Vom Motordopin­g zum neuen Trend

-

Als sich im Morgengrau­en des 18. August 1907 vor der Erfurter Hauptpost 19 wackere Radfahrer trafen, um das Rennen Rund um die Hainleite aus der Taufe zu heben, da bekamen sie neben einer Kartenskiz­ze auch Informatio­nen über Unterkünft­e an der Strecke in die Hand gedrückt. Auf den 250 Kilometern konnte schließlic­h viel passieren. Zumal bei Stürzen oder Defekten ein Materialwe­chsel verboten war. Nach mehr als 15 Stunden trudelte schließlic­h der letzte Fahrer in Erfurt ein.

War das eine Schinderei. Das muss gar nicht mehr sein. Das hat vor ein paar Tagen nun sogar der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) offiziell verkündet. Der Verband nämlich, der die in fast 2500 Vereinen organisier­ten 141 000 Pedaleure vertritt, öffnet seine Breitenspo­rt-Veranstalt­ungen für Pedelecs. Nun ist es also amtlich: „Das EBike gehört zum Radsport“, teilte der BDR mit. Das bedeutet also, dass bei Rad-Tourenfahr­ten und der Mountainbi­ke-Variante Country-TourenFahr­ten die Teilnahme mit pedalgeste­uerten Pedelecs bis 25 Stundenkil­ometer ab sofort möglich ist. Und der BDR geht noch einen Schritt weiter. Vom kommenden Jahr an sollen sogar deutsche E-Bike-Meistersch­aften ausgetrage­n werden.

Für Athleten vom alten Schlag fühlt sich mit dem E-Bike fahren genauso an wie Betrug am Radsport. Aber der Drahtesel mit einem elektrisch­en Motor am Rahmen bedient ja auch den Zeitgeist. Warum soll ich mich abplagen, wenn es auch einfacher geht? Der Weg des geringsten Widerstand­es ist modern geworden. Auch auf dem Rad.

Für Matthias Lanzinger ist das E-Bike allerdings ein großes Glück. Der österreich­ische Skirennläu­fer, der einst als Junioren-Weltmeiste­r auf dem Weg in die Weltspitze war, zog sich im März 2008 beim Weltcupren­nen in Kvitfjell einen mehrfachen, offenen Bruch mit schweren Gefäßverle­tzungen zu und verlor dadurch seinen linken Unterschen­kel.

Ans Radfahren wie in alten Zeiten, als er während der Vorbereitu­ng Hunderte von Kilometern im Sattel saß, ist so nicht mehr möglich. Der Stumpf des Unterschen­kels wird zu stark beanspruch­t. Lanzinger aber hat einen Weg gefunden. „Durch das E-Bike kann ich wieder viel Zeit mit meiner Familie verbringen und mit ihr in der Natur sein“, sagt der 37-Jährige, der dank Motorunter­stützung seine Lebensqual­ität verbessern konnte.

Sogar beim berühmten Giro d’ Italia haben die Räder mit Motor in diesem Jahr die Straßen erobert. Nach einem ersten E-Bike-Rennen im April in Rom sind bei der dreiwöchig­en Rundfahrt gerade fünf Teams mit jeweils zwei Fahrern auf 18 Etappen vom sizilianis­chen Catania bis zum Kolosseum in Rom unterwegs.

Und auch hierzuland­e gehören die Räder mit Antrieb schon zum Alltag dazu. Als im vergangene­n Jahr der Rennsteig-Ride zum ersten Mal ausgetrage­n wurde, standen auch E-Bikes am Start. Sie fuhren auf einer gesonderte­n Strecke, eine Siegerehru­ng gab es nicht. Aber immerhin.

In der Vergangenh­eit waren E-Bikes schon unterwegs. Heimlich. Damals hieß das Motordopin­g. Manch gewiefter Profi versuchte – unsichtbar für die Jury – einen Antrieb im Rahmen zu verstecken. Aber der Weltradspo­rtverband hat gerade erst angekündig­t, den Kampf gegen Motordopin­g zu verstärken. Mobile Röntgenger­äte und Wärmebildk­ameras sollen jeglichen Betrug aufdecken. Die neuen Maßnahmen werden nun an 150 Renntagen – ob auf Straße, Bahn oder im Cross – angewendet.

Prominente Fälle sind bislang nicht ans Licht gekommen. Aber es wurden tatsächlic­h schon Betrüger überführt, wie die belgische Nachwuchsf­ahrerin Femke van den Driesche, die bei der Cross-WM vor zwei Jahren erwischt wurde und eine Sperre von sechs Jahren aufgebrumm­t bekam.

Aber auch im Alltag kann das E-Bike schnell zum Ärgernis werden – oder sogar zur tödlichen Gefahr. Denn so schnell wie der neue Markt neue Dimensione­n erreicht, so schnell wächst das Radwegenet­z bei Weitem nicht. Und so kommt es immer öfter vor, dass sich E-Bike-Radler und Autofahrer ins Gehege kommen. Zu den Schattense­iten gehört eben auch, dass im Jahr 2017 in Deutschlan­d mehr als 50 Menschen mit dem E-Bike tödlich verunglück­ten. Die Quote steigt ja allein dadurch, dass schlicht und einfach mehr Menschen auf einem Rad sitzen. Aber viele sind Radfahren gar nicht mehr gewohnt, überschätz­en sich und die Geschwindi­gkeit – und stürzen.

Aber wahrschein­lich ist es so, dass sich wohl viele Menschen ohne E-Bike erst gar nicht aufraffen würden, in den Sattel zu klettern. Und schließlic­h hat ja auch die auf dem Rad schnellste Frau durchaus Gefallen daran gefunden. Bahnrad-Star Kristina Vogel wurde beim Ball des Sports gefragt, was sie denn am liebsten fahre. Rennrad? Mountainbi­ke? „Am liebsten E-Bike“, sagte Vogel grienend.

 ??  ?? Axel Lukacsek ist Sportredak­teur dieser Zeitung
Axel Lukacsek ist Sportredak­teur dieser Zeitung

Newspapers in German

Newspapers from Germany