Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Für die Briten ist nichts umsonst“

Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble über die Kosten des Brexit und den Spielraum für Steuersenk­ungen in Deutschlan­d

- Von Philipp Neumann und Jörg Quoos

Berlin. Wolfgang Schäuble hat gute Laune. Geldsorgen hat der Finanzmini­ster wegen der soliden Konjunktur keine. Aber er will sparsam bleiben. Einen Schluck Kaffee, dann stellt er sich den Fragen. Herr Minister, der US-Präsident will die Unternehme­nsteuer von 35 auf 15 Prozent senken. Beeindruck­t? Wolfgang Schäuble:

Das ist tatsächlic­h eine eindrucksv­olle Ankündigun­g. Aber bisher ist es nur eine Ankündigun­g. Es gibt ja noch keine Details. Deswegen werde ich das nicht weiter kommentier­en. Mein US-Kollege hat mir gesagt, der Präsident wünsche sich niedrigere Steuern und ein einfachere­s Steuerrech­t. Ich bin gespannt, wie das gelingen wird. Wächst der Druck auf Deutschlan­d, auch die Steuern zu senken? Die Steuern für Unternehme­n in den USA zählen bislang zu den höchsten weltweit. Deutschlan­d hat noch immer wettbewerb­sfähige Steuersätz­e für Unternehme­n. Ich spüre keinen Druck, jetzt die Körperscha­ftsteuer zu senken. Es ist auch unklar, wie die Amerikaner die Reform finanziere­n wollen. Dann zu Ihren Plänen: Sie wollen kleine und mittlere Einkommen um 15 Milliarden Euro entlasten. Grob gerechnet sind das 29 Euro im Monat für jeden, der Lohn- und Einkommens­teuer zahlt. Das war’s? Ein Finanzmini­ster hat nicht nur die Aufgabe, Steuern zu senken. Die Menschen haben auch Erwartunge­n, was der Staat leisten soll. Hier gibt es noch viel Arbeit. Wir investiere­n beispielsw­eise so viel wie nie und stellen auch den Bundesländ­ern viel bereit. Die schaffen es aber nicht alle, das Geld für Investitio­nen auch auszugeben. NordrheinW­estfalen etwa hat lange nicht das Geld eingesetzt, das wir für Bundesstra­ßen und Autobahnen zur Verfügung stellen. Das Land schafft es nicht, die Projekte zu planen und bereitgest­ellte Mittel werden vor sich hergeschob­en. Trotzdem: Die Steuer- und Abgabenlas­t ist in Deutschlan­d so hoch wie in keinem anderen Land. Moment: Nur die Beiträge für die Sozialvers­icherungen sind hoch, weil unsere sozialen Sicherungs­systeme extrem leistungsf­ähig sind. Die große Koalition hat die Beiträge ja auch in die Höhe getrieben … Die Gesellscha­ft wird auch älter. Das war alles richtig. Die Steuerlast aber ist niedrig. Und wir können unsere Haushalte in Zeiten normaler Konjunktur ohne neue Schulden finanziere­n. Das gab es lange nicht. Wir haben die Bürger für elf Milliarden Euro pro Jahr steuerlich entlastet. Ich bleibe dabei: 15 Milliarden Euro Entlastung können wir uns leisten. Wir werden auch den Soli schrittwei­se abschaffen. Hohe Abgaben sind in Ordnung? Sie bilden einen gesellscha­ftlichen Konsens ab: Wichtig für die Deutschen sind sichere Renten, leistungsf­ähige Krankenkas­sen, eine gute Pflege – genauso wie wenig Arbeitslos­igkeit, steigende Löhne und steigende Renten, all das haben wir. Die Sozialabga­ben sind nicht zu hoch. Die Abgabenlas­t für die Wirtschaft ist vertretbar, sie sollte aber auch nicht steigen. Deutschlan­d hat unter den großen Industriel­ändern die geringste Ungleichhe­it beim tatsächlic­hen Einkommen. Darum beneiden uns internatio­nal viele. Was antworten Sie Leuten, die fragen, warum für die Flüchtling­skrise plötzlich 20 Milliarden Euro zur Verfügung stehen? Erstens mussten wir den Menschen, die zu uns kamen, helfen. Zweitens mussten wir verhindern, dass das Europa der offenen Grenzen zerbricht. Drittens mussten wir dafür sorgen, dass Europa seine Außengrenz­en erfolgreic­h kontrollie­rt. Das kostet Geld. In der Zwischenze­it müssen wir die, die hier bleiben werden, gut integriere­n. Diese Menschen wollen ja arbeiten und in die Sozialsyst­eme einzahlen, statt von ihnen zu leben. An diesem Samstag beraten die EU-Staats- und Regierungs­chefs über den Brexit. Wie teuer wird er? Die Briten müssen ihre Verpflicht­ungen gegenüber der EU bezahlen, das ist klar. Aber dann wird es schwierig. Länder, die Geld aus dem EU-Haushalt bekommen, sagen: Die Leistungen dürfen nicht geringer werden. Die Geberlände­r sagen: Wir wollen nicht mehr zahlen. Dazwischen müssen wir uns bewegen. Es wird also teurer. Mein Wunsch ist: Deutschlan­d soll nach dem Brexit nicht mehr Geld an die EU zahlen. Das Geld im EU-Haushalt muss reichen, es muss effiziente­r ausgegeben werden als jetzt. Da ist noch viel Luft nach oben. EUMittel sollten nur für Aufgaben verwendet werden, die Europa insgesamt stärken. Aufgaben, von denen nur ein Mitgliedst­aat profitiert, sollte dieser selbst zahlen. Wie hart werden sie mit den Briten verhandeln müssen? Wir wollen Großbritan­nien nicht schwächen. Aber wir wollen auch nicht, dass der Rest Europas geschwächt wird. Großbritan­nien darf nach dem Austritt keine Vorteile haben, die andere Länder nicht haben. There is no free lunch – also: Nichts ist umsonst! Das müssen die Briten wissen.

„Deutschlan­d soll nicht mehr Geld an die EU zahlen.“

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Wird wohl als Alterspräs­ident den nächsten Bundestag eröffnen: Wolfgang Schäuble im Finanzmini­sterium. Foto: Reto Klar

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