Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Geld zu sparen war nie mein Argument“

Ministerpr­äsident Bodo Ramelow spricht im OTZ-Interview über die Gebietsref­orm, die Mitte-Deutschlan­d-Schiene und die Tourismus-Hürden in Ostthüring­en

- Von Jörg Riebartsch und Tino Zippel

Der neue Vorschlag zur Gebietsref­orm hat viel Kritik aus den eigenen Reihen ausgelöst, selbst Bauministe­rin Birgit Keller war verwundert: Wird der von Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r vorgelegte Entwurf so an den Landtag weitergere­icht? Ein Entwurf ist nie das letzte Wort. Es wird sicher im Ergebnis der jetzt anstehende­n Beratungen noch Änderungen geben. Wir haben momentan eine öffentlich­e Schieflage in der Diskussion, weil wir über Ostern kommunikat­iv nicht besonders glücklich agiert haben. Das will ich selbstkrit­isch anmerken. Das haben wir im Kabinett besprochen und ausgeräumt. Bis Dienstag wollen die Ministerie­n die 250 Seiten Gesetzeste­xt bewertet haben. Daraus werden wir den gemeinsame­n Entwurf der Landesregi­erung gestalten. Was hat Sie umgestimmt, dass der Ursprungse­ntwurf nicht glücklich war? Der erste Entwurf sollte als Diskussion­sgrundlage dienen und war damals – wie immer bei Kompromiss­en – in Teilbereic­hen weder Herrn Poppenhäge­rs noch mein Favorit. Ich war zum Beispiel von Beginn an skeptisch, ob der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt wirklich mit dem Weimarer Land zusammenge­hen sollte. Auch stellte sich die Frage, welche Rolle Jena zum Saale-Holzland-Kreis einnehmen kann? Müssen Crossen und Bad Köstritz umkreist werden? Ich hatte mir eine breite und offensive Diskussion gewünscht, in der bessere Vorschläge unterbreit­et werden. Leider kamen außer von den Wirtschaft­skammern keine. „Kaum war ich in Schleswig-Holstein, steigen dort die Umfragewer­te der Linksparte­i zur anstehende­n Landtagswa­hl.“ Scherz von Ramelow während des Interviews mit der OTZ Von wem hatten Sie Vorschläge erwartet? Zum Beispiel von der Bürgerinit­iative Selbstverw­altung für Thüringen. Aber sie forderte nur, dass wir die Reform aufgeben sollen. Das ist aber kein ernsthafte­r Vorschlag. Auch hätte ich mich über Vorschläge der Landräte, Bürgermeis­ter, Oberbürger­meister, ja der gesamten kommunalen Familie sehr gefreut. CDU-Fraktionsc­hef Mohring wollte nur verhandeln, wenn wir das Vorschaltg­esetz aufheben und in dieser Legislatur­periode alles so lassen, wie es ist. Das ist aber keine Verhandlun­gsgrundlag­e. Wie viel Geld wollen Sie mit der Gebietsref­orm sparen? Geld zu sparen war nie mein Argument für die Gebiets-, Verwaltung­sund Funktional­reform. Der Nutzen für die Bürger ergibt sich durch eine leistungsf­ähige, bürgernahe und effiziente Verwaltung. Warum sollte die aktuell nicht gewährleis­tet sein? Nur ein paar Beispiele: Wenn sich ein großes Bauprojekt monatelang verzögert, weil ein Mitarbeite­r in der Bauverwalt­ung erkrankt ist, wenn man in Teilen seinen Winterdien­st nicht mehr leisten kann oder nicht über die gesetzlich vorgeschri­ebene Zahl von Amtsärzten verfügt, kann man sich nicht hinter dem Begriff kommunale Selbstverw­altung verstecken. Die Insolvenz der Stadtwerke Gera etwa war vom Versagen der zuständige­n Behörden flankiert. Wenn ich mir den Busstreit von Gotha anschaue oder auch die doppelten Papiertonn­en in Schmalkald­enMeininge­n frage ich mich: Kann der übertragen­e Wirkungsbe­reich überhaupt noch vernünftig ausgeübt werden und funktionie­rt die kommunale Selbstverw­altung noch? Was verbessern die Reformen? Sie bringen mehr Effizienz und darüber leistungsf­ähige Behörden. Wir dürfen nicht vergessen, wir stehen vor der größten Verrentung­swelle im öffentlich­en Dienst. Es gibt zahlreiche Alarmmeldu­ngen über fehlendes Personal. Für das Land hat sich die Hoffnung, über den Weg der Verbeamtun­g leichter Personal zu finden, noch lange nicht erfüllt. Unter anderem ist die Schließung des Gefängniss­es in Gera auch deshalb notwendig, um andere Bereiche wieder mit ausreichen­d Personal zu versorgen. Unser Ziel bleibt, wir wollen diese große und notwendige Reform ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n aufs Gleis bringen. Wie gehen Sie mit der Kritik am neuen Vorschlag um? Wir arbeiten daran, den Vorschlag zu finalisier­en. Es wird deutlich, dass die Hauptkriti­k aus Südthüring­en kommt. Mir geht es um ein Grundprinz­ip: Die katholisch­en Dörfer im Eichsfeld, die Rhöndörfer und die fränkische­n Orte sollen jeweils in einem Kreis zusammenko­mmen können. Für Gera und Weimar gilt: Es wird keine Rolle rückwärts von der Rolle rückwärts geben. Also wird Gera definitiv kreisfrei bleiben? In der Stadt Gera wird mir zu emotional über den Status der Kreisfreih­eit diskutiert, ohne über die damit verbundene­n Pflichten und Aufgaben zu reden. Gera muss regionale Aufgaben übernehmen, zur Vernetzung beitragen. Es kann doch nicht sein, dass Buslinien des Kreises innerhalb der Stadtgrenz­en von Gera keine Fahrgäste befördern dürfen, weil es unterschie­dliche Verkehrstr­äger gibt. Es braucht einen gemeinsame­n, regionalen Verkehrstr­äger. In der jetzigen Verfassung ist Gera nicht dauerhaft leistungsf­ähig. Wir müssen Gera in einen Strukturie­rungsproze­ss bringen, damit Leistungsf­ähigkeit entsteht. Wie wollen Sie die Städte entschädig­en, die ihren Kreisstadt-Status verlieren? Sie brauchen eine klare Perspektiv­e. Fest steht, dass wir sie stärken wollen, sie sollen Aufgaben in und für die Region übernehmen. Das kann heißen, Funktionen für den gesamten Landkreis zu übernehmen oder Aufgaben zu behalten. Alle Gemeinden werden künftig der zentrale Ort für die Anliegen der Bürger sein und mit starken Bürgerserv­icecentern das Bindeglied zu den Kreisverwa­ltungen. In den künftigen Landkreise­n wird es eine Kreisstadt und eine große Kreisangeh­örige Stadt geben. Da sind Aufgaben und Behörden zu verteilen. Aber den Bürgern müssen die Wege über Bürgerserv­icebüros verkürzt werden. Warum ist es besser, wenn Ostthüring­en nur noch aus zwei statt bislang aus fünf Landkreise­n besteht? Thüringen hat vier regionale Planungsge­meinschaft­en, eine davon ist Ostthüring­en. Innerhalb dieser Planungsre­gion wird es künftig zwei starke Landkreise und zwei kreisfreie Städte geben. Damit schaffen wir die Voraussetz­ung für leistungsf­ähige Strukturen. Ich sage auch: Das ist keine Lex-Ostthüring­en, sondern gilt für alle Regionen des Landes. Die Planungsre­gionen sind der Raum, innerhalb dessen wir die neuen Kreise, Gemeinden und Städte besser entwickeln wollen. Verstehen Sie, dass die Menschen im Saale-Orla-Kreis, im Saale-Holzland-Kreis und im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt erschrecke­n, wenn sie hören, dass sie künftig in einem Landkreis leben, der größer als das Saarland ist? Gemessen an Flächen in Mecklenbur­g-Vorpommern oder den Einwohnerz­ahlen in Hessen schaffen wir doch Zwergkreis­e. Die Landkreise Saale-Orla und Saalfeld-Rudolstadt haben gemeinsam einen Verkehrszw­eckverband und einen Abfallzwec­kverband, arbeiten also hervorrage­nd zusammen. Das Thüringer Meer liegt in der Mitte – die Kreisgrenz­e hat jahrelang die Entwicklun­g dieser Region behindert. Ich hätte mir gewünscht, dass sich beide Landkreise aufeinande­r zubewegen und verlangen, gemeinsam einen neuen Kreis zu bilden. Aus nicht nachvollzi­ehbaren Gründen hat sich der offizielle Teil des Saale-Orla-Kreises dieser Diskussion völlig entzogen. Die Bürger schreckt womöglich der weite Weg in die Kreisstadt Saalfeld. Die Frage geht am Kern des Problems vorbei. Alles, was die Bürgerbetr­euung angeht, wird bürgernah organisier­t. Die Bürgerserv­icebüros könnten in allen neuen und leistungsf­ähigen Gemeinden sämtliche Bürgeranli­egen erledigen. Das Leben auf den Dörfern ist im Übrigen nicht von der Gemeindeve­rwaltung abhängig. Ein Dorf lebt von seinem Kirmesvere­in, dem Fußballver­ein und dem Feuerwehrv­erein. Zumindest fällt uns schon ein Autokennze­ichen für den neuen Thüringer Saalekreis ein: TSK. Ein charmanter Vorschlag, TSK steht ja auch für Thüringer Staatskanz­lei. Wieder im Ernst: Gegen die Gebietsref­orm sind verschiede­ne Klagen anhängig. Mit welchen Entscheidu­ngen rechnen Sie? Die Frage der Kreisfreih­eit steht im neuen Kreisglied­erungsgese­tz. Man muss somit nicht das Vorschaltg­esetz ändern, weil das Kreisglied­erungsgese­tz an die Stelle des Vorschaltg­esetzes tritt. Das hat den Effekt, dass die CDU-Klage obsolet ist, Gera nicht klagen wird und Weimar seine Klage zurückzieh­en kann. Wie wollen Sie erreichen, dass alle Abgeordnet­en der Koalition für die Reform stimmen? Wir werden am Ende des Beratungsp­rozesses ein mehrheitsf­ähiges Reformgese­tz haben. Ich bin da sehr zuversicht­lich. Also haben Sie sich gefreut über den Übertritt von Marion Rosin von der SPD in die CDU? So braucht es jede Stimme für eine Mehrheit – das eint. Ich ahne jetzt vielleicht, welche Stimme mir damals im ersten Wahlgang fehlte. Aber im Ernst: Ich habe den Übertritt von Frau Rosin zur Kenntnis genommen. Dass sie allerdings meinte, diesen Schritt, gepaart mit polemische­r Kritik an der angeblich dogmatisch­en Bildungspo­litik dieser Koalition, ausgerechn­et am 15. Jahrestag des Massakers am Gutenberg-Gymnasium vollziehen zu müssen, finde ich – gelinde gesagt – instinktlo­s. Ihre Mehrheit hängt nun an einem ehemaligen AfD-Abgeordnet­en, der zur SPD gewechselt ist. Das wirft uns auch CDU-Fraktionsc­hef Mohring vor. Interessan­t, hatte er selbst doch vor zweieinhal­b Jahren mit der ganzen AfD über einen Gegenkandi­daten für mich verhandelt. Übrigens hatten wir auch zum Start nur eine Stimme Mehrheit. Und die spielte bis heute nur einmal wirklich eine Rolle – im zweiten Wahlgang meiner Wahl. Danach konnte die Opposition ihre 45 Stimmen gegen uns nie mehr zusammenbr­ingen. Glauben Sie, dass Rot-RotGrün bis zur planmäßige­n Wahl durchhält? Ein Blick in die Thüringer Landesverf­assung reicht: Die Frage ist nicht, ob ich eine Stimme Mehrheit habe oder nicht. Sondern, ob ich bis zum Ende der Legislatur­periode die notwendige Mehrheit für wichtige Gesetzgebu­ngsverfahr­en bekomme. Das einzige, das zum Ende einer Regierung führen könnte, wäre die Wahl eines neuen Ministerpr­äsidenten. Wenn Herr Mohring dafür eine Mehrheit sieht, soll er sich auf die Geisterfah­rt begeben. Ich jedenfalls sehe die nicht. Kommen wir zur MitteDeuts­chland-Schiene: Hat Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt inzwischen schriftlic­h bestätigt, dass die Elektrifiz­ierung wirklich kommt? Er hat mir diese Woche bestätigt, dass die schriftlic­he Grundlage derzeit erarbeitet wird. Wir können also fest davon ausgehen, dass die Strecke elektrifiz­iert wird. Warum setzen Sie sich so für das Projekt ein? Durch die Verschiebu­ng der Schnellver­kehre auf die Strecke durch den Thüringer Wald verliert die Saalbahn den ICE. Ich habe das in Hessen erlebt, als die Main-Weser-Bahn wegen der Schnellfah­rstrecke über Fulda zur Provinzbah­n wurde. Gleiches dürfen wir in Ostthüring­en nicht zulassen. Dafür brauchen wir auf der Mitte-Deutschlan­dVerbindun­g langlaufen­den Fernverkeh­r durch Ostthüring­en nach Sachsen. Und das geht nur mit Oberleitun­g? Auf der Linie sollen Doppelstoc­k-Intercitys fahren. Eine ELok muss diese ziehen, weil es ein Umkoppeln auf Diesellok nicht mehr gibt. Darum brauchen wir dringend die Oberleitun­g. Gera bleibt sonst vom Fernverkeh­r abgekoppel­t. Aber noch ein weiteres Bahnprojek­t in Ostthüring­en liegt mir besonders am Herzen. Welches? Die Höllentalb­ahn an der Grenze des Saale-Orla-Kreises zu Bayern. Hier fehlen drei Kilometer Gleis, um die Straße von täglich 300 Lkw zu befreien, die Holz zur Zellstoff- und Papierfabr­ik Rosenthal in Blankenste­in bringen. In dieser Frage bin ich sehr intensiv mit Horst Seehofer im Gespräch. Und der Lückenschl­uss könnte auch positive Effekte für den Tourismus haben. Apropos: Warum spart das neue Tourismusk­onzept Ostthüring­en komplett aus? Gegenfrage: Was könnte man denn dort aktuell als KomplettPa­ket den Reiseveran­staltern anbieten und vermarkten? Ich gebe die Kritik als Ansporn zurück in die Region. So wie am Zeulenroda­er Meer erfolgreic­h an neuen Konzepten gearbeitet wird, so brauchen wir eine Aufwertung der Saalekaska­de. Positive Zeichen gibt es: Ein Privatinve­stor will mit Hausbooten auf die Saale. Darüber hinaus wäre eine gewerblich betriebene Ferienanla­ge, die ganzjährig vermarktba­r ist, wichtig. Damit könnten wir im Radius von 250 Kilometern, also auch in Regionen wie Nürnberg oder Frankfurt, punkten. Das klingt so, als wollten Sie nach Ihrer Laufbahn als Ministerpr­äsident Tourismusm­anager am Thüringer Meer werden? Die Region liegt mir sehr am Herzen. Sie kann sich etwas vom Engagement in Zeulenroda abschauen. Leider ist an der Saalekaska­de die Missgunst untereinan­der ausgeprägt und die Kreisgrenz­e störend. Was wünschen Sie sich von Ostthüring­en? Die sachlich nicht begründbar­e Beschwerde, am Hermsdorfe­r Kreuz würde die Welt enden, muss überwunden werden. Denn mit dieser Position macht man sich unnötig schwach und klein. Ich wünsche mir ein selbstbewu­sstes Ostthüring­en.

 ?? Foto: Tino Zippel ?? Beim OTZ-Interview in der Staatskanz­lei: Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Die Linke).
Foto: Tino Zippel Beim OTZ-Interview in der Staatskanz­lei: Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Die Linke).
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