Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Das pure Leben
Prächtige Flora, reiche Fauna: Nationalparks nehmen mehr als ein Viertel der Fläche Costa Ricas ein. Die Gesetze der Natur prägen das Leben in dem kleinen Land zwischen Karibik und Pazifik
Der Tapir liegt gemütlich auf dem Bauch, Vorderhufe nach vorn gestreckt, den Rüssel abgelegt. Ein paar Meter weiter: das gefühlte Weltende. Wo die Steilküste fast senkrecht in den tosenden Pazifik fällt. Auf der anderen Seite sind es drei Meter bis zum Dschungelpfad Camino de Paraiso. „Tapire sind sehr entspannt, freundlich und posieren gern für Fotos. Es sind ‚Pura Vida‘-Tiere“, sagt unser Guide Milton Muñoz. „Pura Vida“lautet das Lebensmotto der Ticos, wie sich die Costa Ricaner selbst nennen. Und an kaum einem anderen Fleck der Erde ist das Leben purer als im Nationalpark Corcovado an der Westküste Costa Ricas, auf der Peninsula de Osa, der Halbinsel der Bärin.
Wie schon 2009 und 2012 waren die Costa Ricaner 2016 im „Happy Planet“-Index wieder die glücklichsten Menschen der Welt. Dieses Ranking misst, „wo auf der Welt Menschen ökologische Ressourcen am effektivsten nutzen, um ein glückliches Leben zu leben“. Das kleine Land deckt 99 Prozent seines Strombedarfs aus regenerativen Quellen, schaffte bereits 1949 seine Armee ab und investierte stattdessen in Bildung und Gesundheitssystem. Als die Rodung des Regenwalds in Lateinamerika bedrohlich voranschritt, erklärte Costa
Rica im Eilverfahren mehr als ein Viertel des Landes zu Nationalparks. Stolze 26 sind es heute.
„Wer im tropischen Regenwald nicht nass wird, erlebt nur das halbe Abenteuer“, sagt Milton Muñoz, als es zu regnen anfängt. Die Luft ist warm, das leuchtende Hellgrün der Blätter und Lianen, das Rauschen des Pazifik entschädigen für alles.
Für die weniger Sportlichen in der Gruppe wird bei einer Flussdurchquerung eine Menschenkette gebildet. Wenig später baut in den Baumwipfeln eine Klammeraffen-Mutter eine „Monkey Bridge“: Mit ausgebreiteten Armen hängt sie sich zwischen zwei Äste, damit sich ihr Junges an ihr entlanghangeln kann. Coatis, Nasenbären, reißen frech Bananen von den Stauden. Aras und Pelikane fliegen vorbei, Tukane sitzen in den Baumwipfeln. „Für Vogelkundler ist Corcovado das reinste Paradies“, sagt unser Guide Milton Muñoz und führt uns vorbei an Bäumen, deren riesige Wurzeln oberirdisch wie Wände wachsen.
Der gewohnt scheue Puma hingegen zeigt sich auch an diesem Tag nicht. Der Guide zeigt auf einen Baum, an dem er ihn vor drei Wochen gesehen hat. „Ihr hellbrauner Körper hat eine gute Tarnfarbe, weil sie gern neben Baumwurzeln liegen. Sie sind dann kaum zu erkennen.“Was tun bei der Begegnung mit einem Puma? „Beweg dich nicht schnell! Wirst du nervös, wird er es auch.“
Raubtier-Wanderungen bietet auch Jürgen W. Stein an – in seiner Selva Bananito Lodge, einem Vorzeigeprojekt des Nachhaltigkeitstourismus an der Karibik-Seite Costa Ricas, 18 Kilometer südlich vom Hafenort Limón im Landesinneren. „Wildkatzen zeigen, wie balanciert der Wald ist“, sagt Stein.
Gemeinsam mit seiner Schwester Sofia hat er sich der Bio-Landwirtschaft und der Wiederaufforstung des Regenwaldes durch sanften Tourismusverschrieben. Seit dem Jahr 1995 führt er die Eco-Lodge, sie die Límon Wasserschutzstiftung der Familie. Inzwischen sind es 15 Holzbungalows. Alle handgefertigt, nur mit Solarstrom betrieben und unbeschreiblich schön.
Auf der Osa-Halbinsel steht auch die Luxus-Eco-Lodge Lapa Rios mit einer Aussichtsplattform, die Urwald und Bucht überblickt. Ein Leguan mit zackiger Halskrause in Tarnfarben klettert einen Trompetenbaum am Infinity-Pool hinauf. Die High-End-Cabinas sind nicht mit echten Palmenblättern gedeckt, sondern mit recyceltem Plastik aus Kanada.
In der preiswerteren Leona Lodge am Nationalpark Corcovado auf der Osa-Peninsula arbeitet Milton Muñoz als Guide. Eigentümer Walter Molares warf einst als Pilot Pestizide über Bananen-Plantagen ab. Von oben verliebte er sich in dieses pure Paradies. Der Verdienst aus seiner Arbeit ermöglichte ihm ironischerweise den Kauf der Ländereien. Hierhin gelangt man nur durch einen halbstündigen Fußmarsch. Das Gepäck transportiert ein furcht- und zahnloser Cowboy mit einem Pferdewagen den dunklen Strand entlang. Die Zelthäuser stehen direkt an der Steilküste. Später zum Einschlafen hört man das stete Toben des Meeres und die Schreie des Urwalds.