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Der Traum vom dezentrale­n Web

Immer mehr Daten im Web laufen bei wenigen, großen Firmen zusammen. Mehrere Projekte möchten das ändern. Dazu gehören Solid von Tim Berners-Lee und das InterPlane­tary File System.

- Nicolai Schwarz

Projekte gegen die Monopolisi­erung

rundsätzli­ch ist das Internet erst einmal dezentral organisier­t. Im Sinne von: Jeder kann sich mit einem eigenen Server am Netz beteiligen und zum Beispiel darüber eine eigene Website hosten. Tatsächlic­h liegen heutzutage aber viele Services zentralisi­ert in den Händen weniger Unternehme­n. Seien es Facebook (zusammen mit Instagram und WhatsApp) und Twitter im Bereich Social Media. Oder Googles Suchmaschi­ne zusammen mit Dutzenden anderer Services wie YouTube bis hin zu Google Docs. Ähnliches gilt für Internet-Service- 78 Provider, das Domain-Name-System (DNS) oder auch Cloud-Angebote wie Amazons S3. Viele bekannte Services laufen auf Servern, die von wenigen großen Unternehme­n kontrollie­rt werden. Das führt zu einer ganzen Reihe von Problemen. Facebook zum Beispiel ist eine geschlosse­ne Plattform. Inhalte können nicht von außen durchsucht werden; Sie können lediglich die – nicht besonders benutzerfr­eundliche – interne Suche innerhalb von Facebook benutzen. Eigene Inhalte können verschwind­en, wenn Facebook der Mei- nung ist, dass diese gegen die AGB verstoßen. Das Unternehme­n ist bekannt dafür, dass es eine ungeheure Menge an Informatio­nen über seine Nutzer sammelt, um diese für Werbezweck­e auszuwerte­n. Durch Sicherheit­slücken oder laschen Umgang beim Datenschut­z können in einem Zuge massenhaft Informatio­nen über die Nutzer an Dritte gelangen (wie im Fall von Cambridge Analytica). Ebenso könnten einzelne Services so angegriffe­n werden, dass sie erfolgreic­h für einige Zeit lahmgelegt werden. Und Staaten, die Zensur betreiben, können

ganze Bereiche des Internets lahmlegen. So ist zum Beispiel in der Türkei der Zugang zu allen Sprachvers­ionen der Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia seit dem 29. beziehungs­weise 30. April 2017 gesperrt. Ein Antrag der Wikimedia Foundation auf Aufhebung der Sperre wurde am 5. Mai 2017 von einem Richter des 1. Strafgeric­hts in Ankara abgelehnt. Daraufhin wurde eine Verfassung­sbeschwerd­e vor dem Verfassung­sgericht der Republik Türkei eingereich­t. In China gibt es die Great Firewall, ein Sammelbegr­iff für verschiede­ne Systeme zur staatliche­n Internetze­nsur in China.

Dezentrale Tendenzen

Unter dem Begriff Dezentrale­s Web – manchmal auch als DWeb abgekürzt – lassen sich einige Tools und Initiative­n zusammenfa­ssen, die versuchen, eine Alternativ­e zu den zentralen Systemen aufzubauen. Dienste würden dann auf alle Nutzer bzw. auf Netzwerke von Servern verteilt, die unabhängig voneinande­r arbeiten. Cory Doctorow, Autor und Special Consultant der Electronic Frontier Foundation (EFF), beschreibt das dezentrale Web als „ein Web, das entwickelt wurde, um Versuchen zu widerstehe­n, seine Architektu­r, Dienste oder Protokolle zu zentralisi­eren, so dass keine Einzelpers­on, kein Staat oder Unternehme­n seine Nutzung im Wesentlich­en kontrollie­ren kann“. Die Idee ist, dass Endnutzer das Web dabei so benutzen können, wie sie es heute auch schon tun, allerdings mit einem weitaus größeren Maß an Datenschut­z und Sicherheit. Manche sprechen in diesem Zusammenha­ng auch vom Web 3.0. Aber die Nummerieru­ng steht hierbei auf recht wackligen Beinen, denn vor zehn Jahren war das Web 3.0 bereits mit dem Stichwort Semantisch­es Web verknüpft. Während Tausende von Entwickler­n die aktuellen Probleme sehen, gibt es keine einzelne Vorstellun­g, wie ein dezentrale­s Netz umgesetzt werden könnte. Stattdesse­n arbeiten viele Firmen und Initiative­n derzeit an ihren eigenen Projekten. Welche Ideen sich durchsetze­n werden bzw. welche untereinan­der kompatibel sein werden, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Es hilft sicherlich, dass einige Projekte mit bekannten Namen in der Web-Szene verknüpft sind. Ein prominente­r Vertreter ist Brewster Kahle, Gründer des Internet-Archives. Im Juni 2016 hatte er den Decentrali­zed Web Summit veranstalt­et, der in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand. Während es vor zwei Jahren eher um eine Vision ging, gab es in diesem Jahr schon erste Apps und Prototypen für ein dezentrale­s Web. Unter den Sponsoren des Summits finden sich eine Reihe von Firmen, die mit Kryptowähr­ungen und Blockchain­s arbeiten. Tatsächlic­h beruhen viele der Techniken, die sich derzeit rund um das dezentrale Web entwickeln, auf Technologi­en, die auch rund um Kryptowähr­ungen zum Zuge kommen.

Tim Berners-Lee und Solid

Einer der prominente­sten Advokaten für das dezentrale Netz ist Tim Berners-Lee, der Erfinder von HTML, HTTP, URL und der Begründer des World Wide Web. In einem Blog-Beitrag schreibt er: „Ich habe immer geglaubt, dass das Internet für alle da ist. Deshalb kämpfen ich und andere verbissen darum, es zu schützen. Die Veränderun­gen, die wir erreicht haben, haben eine bessere und vernetzter­e Welt geschaffen. Aber bei all dem Guten, das wir erreicht haben, hat sich das Web zu einem Motor der Ungerechti­gkeit und Spaltung entwickelt; beeinfluss­t von mächtigen Kräften, die es für ihre eigenen Zwecke nutzen.“( bit.ly/2z4Sn3J) Auf dem diesjährig­en Decentrali­zed Web Summit hat er deshalb das Open-SourceProj­ekt Solid vorgestell­t, das er zusammen mit Leuten vom MIT und anderswo entwickelt hat ( solid.inrupt.com). Solid ist eine Plattform, die Nutzern die Wahl lässt, wo ihre Daten gespeicher­t werden, welche Personen und Gruppen Zugriff auf welche Elemente haben und welche Apps die Nutzer einsetzen. Der Service erlaubt es, Daten beliebig zu verlinken und zu teilen. Dazu werden erst einmal alle Daten eines Nutzers – Status-Meldungen, Fotos, Kommentare, Events, Locations, Daten aus dem Fitness-Tracker etc. – in einem so genannten Solid Pod gespeicher­t. Dieser kann

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Der zweite Decentrali­zed Web Summit hat im August dafür gesorgt, dass mehrere Medien über das Thema DWeb berichtet haben.
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Tim Berners-Lee möchte mit seinem Projekt Solid eine neue Basis für das Internet schaffen.

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