Der Traum vom dezentralen Web
Immer mehr Daten im Web laufen bei wenigen, großen Firmen zusammen. Mehrere Projekte möchten das ändern. Dazu gehören Solid von Tim Berners-Lee und das InterPlanetary File System.
Projekte gegen die Monopolisierung
rundsätzlich ist das Internet erst einmal dezentral organisiert. Im Sinne von: Jeder kann sich mit einem eigenen Server am Netz beteiligen und zum Beispiel darüber eine eigene Website hosten. Tatsächlich liegen heutzutage aber viele Services zentralisiert in den Händen weniger Unternehmen. Seien es Facebook (zusammen mit Instagram und WhatsApp) und Twitter im Bereich Social Media. Oder Googles Suchmaschine zusammen mit Dutzenden anderer Services wie YouTube bis hin zu Google Docs. Ähnliches gilt für Internet-Service- 78 Provider, das Domain-Name-System (DNS) oder auch Cloud-Angebote wie Amazons S3. Viele bekannte Services laufen auf Servern, die von wenigen großen Unternehmen kontrolliert werden. Das führt zu einer ganzen Reihe von Problemen. Facebook zum Beispiel ist eine geschlossene Plattform. Inhalte können nicht von außen durchsucht werden; Sie können lediglich die – nicht besonders benutzerfreundliche – interne Suche innerhalb von Facebook benutzen. Eigene Inhalte können verschwinden, wenn Facebook der Mei- nung ist, dass diese gegen die AGB verstoßen. Das Unternehmen ist bekannt dafür, dass es eine ungeheure Menge an Informationen über seine Nutzer sammelt, um diese für Werbezwecke auszuwerten. Durch Sicherheitslücken oder laschen Umgang beim Datenschutz können in einem Zuge massenhaft Informationen über die Nutzer an Dritte gelangen (wie im Fall von Cambridge Analytica). Ebenso könnten einzelne Services so angegriffen werden, dass sie erfolgreich für einige Zeit lahmgelegt werden. Und Staaten, die Zensur betreiben, können
ganze Bereiche des Internets lahmlegen. So ist zum Beispiel in der Türkei der Zugang zu allen Sprachversionen der Online-Enzyklopädie Wikipedia seit dem 29. beziehungsweise 30. April 2017 gesperrt. Ein Antrag der Wikimedia Foundation auf Aufhebung der Sperre wurde am 5. Mai 2017 von einem Richter des 1. Strafgerichts in Ankara abgelehnt. Daraufhin wurde eine Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht der Republik Türkei eingereicht. In China gibt es die Great Firewall, ein Sammelbegriff für verschiedene Systeme zur staatlichen Internetzensur in China.
Dezentrale Tendenzen
Unter dem Begriff Dezentrales Web – manchmal auch als DWeb abgekürzt – lassen sich einige Tools und Initiativen zusammenfassen, die versuchen, eine Alternative zu den zentralen Systemen aufzubauen. Dienste würden dann auf alle Nutzer bzw. auf Netzwerke von Servern verteilt, die unabhängig voneinander arbeiten. Cory Doctorow, Autor und Special Consultant der Electronic Frontier Foundation (EFF), beschreibt das dezentrale Web als „ein Web, das entwickelt wurde, um Versuchen zu widerstehen, seine Architektur, Dienste oder Protokolle zu zentralisieren, so dass keine Einzelperson, kein Staat oder Unternehmen seine Nutzung im Wesentlichen kontrollieren kann“. Die Idee ist, dass Endnutzer das Web dabei so benutzen können, wie sie es heute auch schon tun, allerdings mit einem weitaus größeren Maß an Datenschutz und Sicherheit. Manche sprechen in diesem Zusammenhang auch vom Web 3.0. Aber die Nummerierung steht hierbei auf recht wackligen Beinen, denn vor zehn Jahren war das Web 3.0 bereits mit dem Stichwort Semantisches Web verknüpft. Während Tausende von Entwicklern die aktuellen Probleme sehen, gibt es keine einzelne Vorstellung, wie ein dezentrales Netz umgesetzt werden könnte. Stattdessen arbeiten viele Firmen und Initiativen derzeit an ihren eigenen Projekten. Welche Ideen sich durchsetzen werden bzw. welche untereinander kompatibel sein werden, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Es hilft sicherlich, dass einige Projekte mit bekannten Namen in der Web-Szene verknüpft sind. Ein prominenter Vertreter ist Brewster Kahle, Gründer des Internet-Archives. Im Juni 2016 hatte er den Decentralized Web Summit veranstaltet, der in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand. Während es vor zwei Jahren eher um eine Vision ging, gab es in diesem Jahr schon erste Apps und Prototypen für ein dezentrales Web. Unter den Sponsoren des Summits finden sich eine Reihe von Firmen, die mit Kryptowährungen und Blockchains arbeiten. Tatsächlich beruhen viele der Techniken, die sich derzeit rund um das dezentrale Web entwickeln, auf Technologien, die auch rund um Kryptowährungen zum Zuge kommen.
Tim Berners-Lee und Solid
Einer der prominentesten Advokaten für das dezentrale Netz ist Tim Berners-Lee, der Erfinder von HTML, HTTP, URL und der Begründer des World Wide Web. In einem Blog-Beitrag schreibt er: „Ich habe immer geglaubt, dass das Internet für alle da ist. Deshalb kämpfen ich und andere verbissen darum, es zu schützen. Die Veränderungen, die wir erreicht haben, haben eine bessere und vernetztere Welt geschaffen. Aber bei all dem Guten, das wir erreicht haben, hat sich das Web zu einem Motor der Ungerechtigkeit und Spaltung entwickelt; beeinflusst von mächtigen Kräften, die es für ihre eigenen Zwecke nutzen.“( bit.ly/2z4Sn3J) Auf dem diesjährigen Decentralized Web Summit hat er deshalb das Open-SourceProjekt Solid vorgestellt, das er zusammen mit Leuten vom MIT und anderswo entwickelt hat ( solid.inrupt.com). Solid ist eine Plattform, die Nutzern die Wahl lässt, wo ihre Daten gespeichert werden, welche Personen und Gruppen Zugriff auf welche Elemente haben und welche Apps die Nutzer einsetzen. Der Service erlaubt es, Daten beliebig zu verlinken und zu teilen. Dazu werden erst einmal alle Daten eines Nutzers – Status-Meldungen, Fotos, Kommentare, Events, Locations, Daten aus dem Fitness-Tracker etc. – in einem so genannten Solid Pod gespeichert. Dieser kann