Warum sind Menschen am Handy so stark abgelenkt?
Neurologe und Psychotherapeut Wolfgang Lalouschek warnt vor den Langzeitfolgen durch das Multitasking am Smartphone.
Wieso lenken Smartphones uns so stark ab?
Wolfgang Lalouschek: Unser Unterbewusstsein kann reale und virtuelle Kommunikation nicht voneinander unterscheiden. Das führt dazu, dass jede ankommende Nachricht zu einem unmittelbaren Impuls zu antworten führt; so, als ob die betreffende Person leibhaftig neben uns stünde. Dabei vermischen sich sowohl Stress als auch freudige Erwartung. Denn wenn das Smartphone klingelt, kann es entweder ein Problem oder eine erfreuliche Nachricht sein. So wird einerseits ein Teil unserer geistigen Ressourcen stets dazu verwendet, das Smartphone zu beachten, also zu multitasken. Doch selbst wenn wir uns bewusst vornehmen, das Smartphone zu ignorieren, wird paradoxerweise ein Teil unserer Ressourcen dafür verwendet, nicht daran zu denken.
Was genau passiert beim Multitasking im Gehirn?
Lalouschek: Angenommen, Ihr Gehirn ist gerade bei einer bestimmten Aufgabe, zum Beispiel schreiben Sie einen Text. Dann kommt eine E-Mail. Sie klicken sie an, und das Gehirn schaltet auf die Meldung. In dem ganz kurzen Zeitraum des Umschaltens von der Aufgabe A auf die Aufgabe B ist der Arbeitsspeicher des Gehirns für ganz kurze
Zeit leer, ähnlich wie beim Umräumen des Kofferraums: Wir räumen zuerst das eine heraus, dann ist der Kofferraum kurz leer, bevor wir das andere einräumen. Unser Unterbewusstsein nützt dies, um uns alle unangenehmen Erinnerungen, unerledigten Dinge in den Arbeitsspeicher zu schicken, da diese Priorität vor den angenehmen Erinnerungen haben. So fällt uns alles ein, was wir noch zu tun oder noch nicht gelöst haben. Bei diesem ständigen schnellen Herumschalten zwischen den Aufgaben neigen wir außerdem dazu, vieles anzufangen, aber nur weniges wirklich fertigzumachen oder Gedanken wirklich einmal zu Ende zu denken. Das heißt, wir rauben uns unsere eigenen Erfolgserlebnisse und damit unser Dopamin.
Studien legen nahe, dass die ständige Ablenkung durch das Smartphone dümmer macht. Welche anderen Langzeitfolgen kann dieses Multitasking haben?
Lalouschek: Die typischen Folgen von Multitasking – fehlende Erfolgserlebnisse, höhere emotionale Dauerbelastung, ständiges Bewusstwerden negativer Gedächtnisinhalte – haben natürlich auf Dauer gravierende Folgen. Sie können zumindest maßgeblich zum Entstehen von depressiven Zuständen und Burnout beitragen; wohl meist nicht als alleinige Ursache, aber wie ein Brandbeschleuniger. Noch viel häufiger sind aber die subtileren Folgen, mit denen Menschen meist gar nicht zum Arzt gehen – sich irgendwie ausgelaugt zu fühlen, keine rechte Lust und Freude mehr zu empfinden, schlechtere Schlafqualität. Die große Gefahr ist ja, dass viele Menschen diesen Zustand mittlerweile als normal empfinden.