Die neuen Mini-PCs
Ein Windows-PC in Form eines Sticks – kann das funktionieren?
DIE FRAGE IST BERECHTIGT: Wenn die kompakte Hardware eines Smartphones oder Tablets für viele Alltagsaufgaben ausreicht, weshalb muss dann ein PC immer aussehen und so groß sein wie ein PC? Ja, böte abgespeckte Hardware nicht sogar Vorteile für bestimmte Einsatzszenarien? Im Wohnzimmer beispielsweise möchten nur die wenigsten eine graue Kiste neben dem Fernseher stehen ha- ben, ein Computer als Stick dagegen könnte hinter dem TV-Gerät verschwinden. Diesen Platz im Wohnzimmer haben längst andere Geräte besetzt, nämlich speziell dafür konzipierte Hardware wie das Apple TV oder das Amazon Fire TV, der Chromecast-Stick von Google sowie diverse Smart-TV-Boxen. Allen diesen Geräten ist gemeinsam, dass sie anders als der klassische Computer für einen eng eingegrenzten Einsatzzweck konzipiert sind, nämlich als Mediacenter im Wohnzimmer.
Windows bietet alle Optionen, doch die Hardware ist beschränkt
Neu ist die Idee eines universell nutzbaren Mini-PCs natürlich nicht: Apple hat seinen Mac Mini schon vor zehn Jahren auf den Markt gebracht, seitdem gibt es zahlreiche Nachahmer auf der Windows-Plattform. Dazu gehören auch die neuen „Next Unit of Computing” (NUC) genannte Kompaktrechner von Intel, deren Gehäuse gerade einmal etwa so groß sind wie eine Packung Margarine. Nun hat der Chip-Hersteller bei der Miniaturisierung nochmals nachgelegt und mit seinem Compute Stick einen Rechner in Form eines Sticks mit gewöhnlichem Windows 8.1 auf den Markt gebracht. Der lässt sich per HDMI-Stecker an praktisch jeden Monitor und Fernseher anschließen. Streamen, arbeiten und spielen verspricht der Hersteller für seinen „überraschend leistungsstarken“Kleinst-PC, den diverse Online-Händler für rund 150 Euro verkaufen. Zum gleichen Preis bietet der taiwanesische Hersteller Hannspree seinen Micro PC an, ebenfalls ein PC in Form eines rund zehn Zentimeter großen Sticks mit Atom-Prozessor und dem aktuellen Betriebssystem von Microsoft. Inzwischen haben weitere Hardware-Hersteller ähnliche Modelle angekündigt.
„Überraschend leistungsstark, wirbt Intel. Doch in der Praxis erfüllen Micro PC und Compute Stick die Erwartungen nicht ganz.“
Die Vorteile solcher Rechner auf WindowsBasis liegen auf der Hand: Sie sind nicht nur ultraportabel und hinsichtlich Bedienung und Benutzung vielen Menschen vertraut. Sie erlauben auch die Installation und Nutzung jeder Windows-Software – zumindest im Prinzip. Tatsächlich aber setzt die Hardware-Ausstattung beider Windows-Rechner doch enge Grenzen. Denn die Sticks arbeiten mit der Atom-CPU Z3735F, die zwar vier Kerne besitzt, aber nur maximal 1,33 GHz getaktet ist.
Alle Bauteile sind fest verlötet, austauschen lässt sich nichts
Zudem statten die Hersteller ihre Geräte bloß mit zwei GByte Hauptspeicher und 32 GByte Flash-Speicher aus, von denen das Betriebssystem und die Recovery-Partition nur etwa 19 GByte (Hannspree) beziehungsweise 16 GByte (Intel) frei lassen – die platzfressende Systemwiederherstellung ist da schon deaktiviert. Erweitern lässt sich der Speicher allerdings über den integrierten Slot für Micro-SD-Karten, der Datenträger bis zu 128 GByte Größe aufnimmt. Spätere Firmware-Updates könnten diese Grenze anheben, allerdings ist der Schreib- und Lesezugriff auf die eingesteckten Karten sehr viel langsamer als die Verbindung zum internen Flash-Speicher. Sämtliche Komponenten sind für die extrem kleine Bauform fest integriert und verlötet, austauschen oder erweitern kann man hier im Gegensatz zu gewöhnlichen Rechnern nichts. Schließlich muss man bei den Sticks mit weiteren nicht unerheblichen Einschränkungen leben: Der Netzzugang ist nur per 2,4 GHzWLAN und hier auch nur bis zum Standard 802.11n möglich, das schnellere 802.11ac wird nicht unterstützt. Ebenso fehlt USB 3.0, und beide Sticks verfügen nur über eine einzige USB-Buchse mit 2.0-Speed. Schließlich arbeiten sowohl der Intel Compute Stick als auch der Micro PC von Hannspree systembedingt mit Windows auf 32-Bit-Basis, obwohl sich die schnellere 64-Bit-Architektur ansonsten längst durchgesetzt hat. Leistungsmäßig laufen die Sticks „normalen“, stärkeren Computern also hinterher. Die Frage ist jedoch: Wie stark macht sich das bei den üblichen Büro-, Surf- und Mediacenter-Aufgaben bemerkbar? Darüber hinaus gehen wir der Frage nach, ob und wie weit sich die neuen Windows-Sticks als Ersatz für einen Home Theater PC (HTPC) oder eine Streaming-Box im Wohnzimmer eignen. Und ob gerade für diesen Zweck nicht sogar bessere und sogar vielleicht günstigere Alternativen ohne das Microsoft-Betriebssystem existieren.
Praxistest: Auspacken, Stick-PC anschließen und los geht‘s
Auspacken und sofort loslegen, so versprechen es die Hersteller und so funktioniert es auch – mit leichten Einschränkungen. Der Lieferumfang beider Geräte ist mit Netzteil und USBKabel für die Stromversorgung sowie einer rund 20 Zentimeter langen HDMI-Verlängerung gleich dürftig. Die meisten Käufer eines solchen Sticks werden nach dem Auspacken nämlich nicht gleich starten können, weil ihnen nur ein USB-Anschluss zur Verfügung steht und sie vermutlich kein kombiniertes Maus-/Tastatur-Funkset zur Hand haben. Das ist zwar ebenso wie ein USB-Hub zum gleichzeitigen Anschließen von Maus und Tastatur nicht teuer, man muss es sich aber erst einmal besorgen. Als Alternative für die Anbindung von Eingabegeräten und anderer Peripherie steht daneben Bluetooth 4.0 zur Verfügung. Die bereits erwähnte HDMI-Verlängerung löst übrigens gleich zwei Probleme: Zum einen sind die HDMI-Buchsen an manchen Monitoren
und Fernsehern so platziert, dass sich die im Vergleich zu normalen HDMI-Steckern klobigen Sticks nicht einstecken ließen. Zum zweiten umgeht man mit der passenden Platzierung über die Verlängerung das Problem, dass man das System über den am Stick angebrachten Taster einschalten muss – das wäre direkt hinter dem Monitor oder Fernseher nur mit Fingerakrobatik möglich. Die Ersteinrichtung danach ist tatsächlich in wenigen Minuten erledigt: WLAN auswählen, Windows-Konto einrichten und ein paar Einstellungen vornehmen, fertig. Trotzdem dauert es dann noch rund vier Stunden, bis beide Sticks wirklich betriebsbereit sind. So viel Zeit brauchen die Atom-Prozessoren nämlich, um die annähernd 100 Windows- und MicrosoftUpdates der zurückliegenden Patchdays zu installieren – das gibt bereits einen Vorgeschmack auf das Leistungsniveau. Ohne große Einschränkungen lässt sich der Büroalltag bewältigen, das aktuelle MicrosoftOffice, diverse PDF-Tools und ähnlich anspruchslose Software reagieren schnell auf Mausklicks und Tastaturanschläge. Auch mit dem lokalen Videostreaming in Full-HD-Auflösung (1080p) hatte weder der Intel- noch der Hannspree-Stick Probleme. Das Surfen im Netz läuft insgesamt zufriedenstellend, wenngleich der Aufbau der Webseiten mitunter schon deutlich länger dauert als gewohnt. De facto ungeeignet sind die Micro-PCs dagegen für rechenintensive Anwendungen wie Videoschnitt und ähnliches.
Leistungsmessung: Schwache Werte bei Leistungs-Benchmarks
Die Praxiserfahrungen bestätigen sich bei den Benchmark-Messungen. Beim aktuellen PCMark 8 (Home-Test, Accelerated-Einstellung) musste sich der Hannspree-Stick mit 978 Punkten begnügen, der Konkurrent von Intel ist mit 1041 Punkten nur wenig besser (siehe Tabelle auf Seite 57). Die Werte liegen am untersten Ende der Vergleichsskala, selbst ein aktueller Low-Budget PC mit der Intel-CPU J2900 schafft es bei PC-Mark auf fast 1400 Punkte. Solche Rechner gibt es inklusive 500-GByte-Festplatte, doppelt so viel Hauptspeicher, DVD-Brenner, Gigabit-Netzwerk inklusive Tastatur, Maus und Windows 8.1 für weniger als 250 Euro. Der Lenovo H30-00 Mini PC ist ein Beispiel, andere Hardware-Hersteller bieten ähnliche Modelle zu günstigen Preisen. Praxisnäher als das Abspielen lokaler Videos dürfte bei den Sticks das Streamen sein – und hier wird die WLAN-Verbindung schnell zum Problem. Denn die maximale Übertragungsrate lag im Test jeweils nur bei gut 40 MBit/s; bei einer durchaus noch wohnungstypischen Entfernung von 15 Metern und Störung durch andere Funknetze sank der Datendurchsatz
dagegen auf Werte zwischen ein und zwei MBit/s. Da ist an Videostreaming natürlich nicht mehr zu denken. In der Praxis wird mancher Stick-Besitzer deshalb in zusätzliche Netzinfrastruktur investieren müssen, zum Beispiel in einen WLAN-Repeater oder eine WLAN-Powerline-Kombination. Der mit Crystaldiskmark gemessene Lese-Datentransfer des internen Flash-Speichers geht mit 146 bzw. 167 MByte/s in Ordnung, beim Schreiben ist der Intel Compute Stick deutlich schneller (78 MByte/s) als der von Hannspree (46 MByte/s). Die Kartenslots beider Rechner schaffen maximal 22 bis 24 MByte/s. Damit bleibt die Performance schneller Micro-SDKarten ungenutzt, möglich ist inzwischen viermal mehr Speed. Erfreulich ist der niedrige Stromverbrauch von rund drei Watt im Leerlauf und maximal zehn Watt unter Volllast.
Fazit: Ein neuer Formfaktor mit sehr vielen Beschränkungen
Die beiden Micro-PCs mit Windows 8.1 stellen einen völlig neuen Formfaktor dar, allein das macht sie schon interessant. Zwischenzeitlich haben mit Archos, Ionik und Lenovo weitere Hersteller ähnliche Geräte angekündigt, weitere werden vermutlich in den nächsten Monaten folgen. Wer einen ultraportablen Rechner mit Microsoft-Betriebssystem zum Einstecken in die Hosentasche und zum Betrieb an einem x-beliebigen Monitor oder Fernseher sucht, hat dann sogar die Qual der Wahl. Große Unterschiede zwischen dem Intel- und dem Hannspree-Modell bestehen indes nicht: weder beim Preis noch bei der Hardware-Ausstattung oder der Performance. Apropos Performance: Mit „überraschend leistungsstark“bewirbt Intel seinen Compute Stick – das lässt sich so oder so interpretieren. Fakt ist, dass die Hardware-Kombination aus leistungsschwachem Atom-Prozessor, äußerst knappem Hauptspeicher, kleiner Festplatte, 32-Bit-Beschränkung, USB 2.0 und fehlendem Netzwerkanschluss für viele Alltagsaufgaben einfach nicht ausreicht. Was nützt ein Mini-PC im Wohnzimmer, von dem man mangels WLAN-Durchsatz nicht richtig streamen kann, nur weil der Router zwei Zimmer weiter steht? Aufrüsten in ein kabelgebundenes Netzwerk ist ebenso wenig möglich wie der Austausch anderer Komponenten. Selbst ein Notebook bietet da mehr Möglichkeiten. Rechnet man zum Straßenpreis von 150 Euro noch Tastatur, Maus, USB-Hub und einen WLAN-Repeater hinzu, sind günstige gewöhnliche PCs nur noch unwesentlich teurer. Schon für 250 Euro bekommt man nicht nur eine stärkere CPU, sondern zusätzlich ein DVD- Laufwerk, mehr RAM, Festplattenplatz und Anschlüsse, USB 3.0, GBit-LAN und und und… So bleiben als Argument für die Sticks im Wesentlichen Größe und Portabilität. Wer einen Micro-PC vor allem im Wohnzimmer als Mediacenter einsetzen möchte, kann gleich auf völlig andere Systeme setzen: beispielsweise den neuen Raspberry Pi 2, den ChromecastStick von Google oder den Fire TV Stick von Amazon – jeweils zum Preis von rund 35 Euro. Alle drei erfüllen ihre speziellen Aufgaben übrigens gut. Smarte Wohnzimmergeräte in der Preisklasse von knapp 100 Euro (Apple TV, Fire TV Box und der neue Nexus Player) bieten sogar so viel Performance, dass sie auch zum Spielen reicht. Apple wird vermutlich bald die vierte Generation seiner TV-Box vorstellen, die dann die hochauflösende 4K-Wiedergabe unterstützt. Zurück zu den PC-Sticks: Äußerlich baugleich zu seinem Windows-Stick will Intel ein Modell mit Ubuntu 14 auf den Markt bringen. Die Linux-Hardare mit einem GByte RAM und acht GByte Flash-Speicher kostet ca. 100 Euro.