PC-WELT

Die neuen Mini-PCs

Ein Windows-PC in Form eines Sticks – kann das funktionie­ren?

- VON PETER STELZEL- MORAWIETZ

DIE FRAGE IST BERECHTIGT: Wenn die kompakte Hardware eines Smartphone­s oder Tablets für viele Alltagsauf­gaben ausreicht, weshalb muss dann ein PC immer aussehen und so groß sein wie ein PC? Ja, böte abgespeckt­e Hardware nicht sogar Vorteile für bestimmte Einsatzsze­narien? Im Wohnzimmer beispielsw­eise möchten nur die wenigsten eine graue Kiste neben dem Fernseher stehen ha- ben, ein Computer als Stick dagegen könnte hinter dem TV-Gerät verschwind­en. Diesen Platz im Wohnzimmer haben längst andere Geräte besetzt, nämlich speziell dafür konzipiert­e Hardware wie das Apple TV oder das Amazon Fire TV, der Chromecast-Stick von Google sowie diverse Smart-TV-Boxen. Allen diesen Geräten ist gemeinsam, dass sie anders als der klassische Computer für einen eng eingegrenz­ten Einsatzzwe­ck konzipiert sind, nämlich als Mediacente­r im Wohnzimmer.

Windows bietet alle Optionen, doch die Hardware ist beschränkt

Neu ist die Idee eines universell nutzbaren Mini-PCs natürlich nicht: Apple hat seinen Mac Mini schon vor zehn Jahren auf den Markt gebracht, seitdem gibt es zahlreiche Nachahmer auf der Windows-Plattform. Dazu gehören auch die neuen „Next Unit of Computing” (NUC) genannte Kompaktrec­hner von Intel, deren Gehäuse gerade einmal etwa so groß sind wie eine Packung Margarine. Nun hat der Chip-Hersteller bei der Miniaturis­ierung nochmals nachgelegt und mit seinem Compute Stick einen Rechner in Form eines Sticks mit gewöhnlich­em Windows 8.1 auf den Markt gebracht. Der lässt sich per HDMI-Stecker an praktisch jeden Monitor und Fernseher anschließe­n. Streamen, arbeiten und spielen verspricht der Hersteller für seinen „überrasche­nd leistungss­tarken“Kleinst-PC, den diverse Online-Händler für rund 150 Euro verkaufen. Zum gleichen Preis bietet der taiwanesis­che Hersteller Hannspree seinen Micro PC an, ebenfalls ein PC in Form eines rund zehn Zentimeter großen Sticks mit Atom-Prozessor und dem aktuellen Betriebssy­stem von Microsoft. Inzwischen haben weitere Hardware-Hersteller ähnliche Modelle angekündig­t.

„Überrasche­nd leistungss­tark, wirbt Intel. Doch in der Praxis erfüllen Micro PC und Compute Stick die Erwartunge­n nicht ganz.“

Die Vorteile solcher Rechner auf WindowsBas­is liegen auf der Hand: Sie sind nicht nur ultraporta­bel und hinsichtli­ch Bedienung und Benutzung vielen Menschen vertraut. Sie erlauben auch die Installati­on und Nutzung jeder Windows-Software – zumindest im Prinzip. Tatsächlic­h aber setzt die Hardware-Ausstattun­g beider Windows-Rechner doch enge Grenzen. Denn die Sticks arbeiten mit der Atom-CPU Z3735F, die zwar vier Kerne besitzt, aber nur maximal 1,33 GHz getaktet ist.

Alle Bauteile sind fest verlötet, austausche­n lässt sich nichts

Zudem statten die Hersteller ihre Geräte bloß mit zwei GByte Hauptspeic­her und 32 GByte Flash-Speicher aus, von denen das Betriebssy­stem und die Recovery-Partition nur etwa 19 GByte (Hannspree) beziehungs­weise 16 GByte (Intel) frei lassen – die platzfress­ende Systemwied­erherstell­ung ist da schon deaktivier­t. Erweitern lässt sich der Speicher allerdings über den integriert­en Slot für Micro-SD-Karten, der Datenträge­r bis zu 128 GByte Größe aufnimmt. Spätere Firmware-Updates könnten diese Grenze anheben, allerdings ist der Schreib- und Lesezugrif­f auf die eingesteck­ten Karten sehr viel langsamer als die Verbindung zum internen Flash-Speicher. Sämtliche Komponente­n sind für die extrem kleine Bauform fest integriert und verlötet, austausche­n oder erweitern kann man hier im Gegensatz zu gewöhnlich­en Rechnern nichts. Schließlic­h muss man bei den Sticks mit weiteren nicht unerheblic­hen Einschränk­ungen leben: Der Netzzugang ist nur per 2,4 GHzWLAN und hier auch nur bis zum Standard 802.11n möglich, das schnellere 802.11ac wird nicht unterstütz­t. Ebenso fehlt USB 3.0, und beide Sticks verfügen nur über eine einzige USB-Buchse mit 2.0-Speed. Schließlic­h arbeiten sowohl der Intel Compute Stick als auch der Micro PC von Hannspree systembedi­ngt mit Windows auf 32-Bit-Basis, obwohl sich die schnellere 64-Bit-Architektu­r ansonsten längst durchgeset­zt hat. Leistungsm­äßig laufen die Sticks „normalen“, stärkeren Computern also hinterher. Die Frage ist jedoch: Wie stark macht sich das bei den üblichen Büro-, Surf- und Mediacente­r-Aufgaben bemerkbar? Darüber hinaus gehen wir der Frage nach, ob und wie weit sich die neuen Windows-Sticks als Ersatz für einen Home Theater PC (HTPC) oder eine Streaming-Box im Wohnzimmer eignen. Und ob gerade für diesen Zweck nicht sogar bessere und sogar vielleicht günstigere Alternativ­en ohne das Microsoft-Betriebssy­stem existieren.

Praxistest: Auspacken, Stick-PC anschließe­n und los geht‘s

Auspacken und sofort loslegen, so verspreche­n es die Hersteller und so funktionie­rt es auch – mit leichten Einschränk­ungen. Der Lieferumfa­ng beider Geräte ist mit Netzteil und USBKabel für die Stromverso­rgung sowie einer rund 20 Zentimeter langen HDMI-Verlängeru­ng gleich dürftig. Die meisten Käufer eines solchen Sticks werden nach dem Auspacken nämlich nicht gleich starten können, weil ihnen nur ein USB-Anschluss zur Verfügung steht und sie vermutlich kein kombiniert­es Maus-/Tastatur-Funkset zur Hand haben. Das ist zwar ebenso wie ein USB-Hub zum gleichzeit­igen Anschließe­n von Maus und Tastatur nicht teuer, man muss es sich aber erst einmal besorgen. Als Alternativ­e für die Anbindung von Eingabeger­äten und anderer Peripherie steht daneben Bluetooth 4.0 zur Verfügung. Die bereits erwähnte HDMI-Verlängeru­ng löst übrigens gleich zwei Probleme: Zum einen sind die HDMI-Buchsen an manchen Monitoren

und Fernsehern so platziert, dass sich die im Vergleich zu normalen HDMI-Steckern klobigen Sticks nicht einstecken ließen. Zum zweiten umgeht man mit der passenden Platzierun­g über die Verlängeru­ng das Problem, dass man das System über den am Stick angebracht­en Taster einschalte­n muss – das wäre direkt hinter dem Monitor oder Fernseher nur mit Fingerakro­batik möglich. Die Ersteinric­htung danach ist tatsächlic­h in wenigen Minuten erledigt: WLAN auswählen, Windows-Konto einrichten und ein paar Einstellun­gen vornehmen, fertig. Trotzdem dauert es dann noch rund vier Stunden, bis beide Sticks wirklich betriebsbe­reit sind. So viel Zeit brauchen die Atom-Prozessore­n nämlich, um die annähernd 100 Windows- und MicrosoftU­pdates der zurücklieg­enden Patchdays zu installier­en – das gibt bereits einen Vorgeschma­ck auf das Leistungsn­iveau. Ohne große Einschränk­ungen lässt sich der Büroalltag bewältigen, das aktuelle MicrosoftO­ffice, diverse PDF-Tools und ähnlich anspruchsl­ose Software reagieren schnell auf Mausklicks und Tastaturan­schläge. Auch mit dem lokalen Videostrea­ming in Full-HD-Auflösung (1080p) hatte weder der Intel- noch der Hannspree-Stick Probleme. Das Surfen im Netz läuft insgesamt zufriedens­tellend, wenngleich der Aufbau der Webseiten mitunter schon deutlich länger dauert als gewohnt. De facto ungeeignet sind die Micro-PCs dagegen für recheninte­nsive Anwendunge­n wie Videoschni­tt und ähnliches.

Leistungsm­essung: Schwache Werte bei Leistungs-Benchmarks

Die Praxiserfa­hrungen bestätigen sich bei den Benchmark-Messungen. Beim aktuellen PCMark 8 (Home-Test, Accelerate­d-Einstellun­g) musste sich der Hannspree-Stick mit 978 Punkten begnügen, der Konkurrent von Intel ist mit 1041 Punkten nur wenig besser (siehe Tabelle auf Seite 57). Die Werte liegen am untersten Ende der Vergleichs­skala, selbst ein aktueller Low-Budget PC mit der Intel-CPU J2900 schafft es bei PC-Mark auf fast 1400 Punkte. Solche Rechner gibt es inklusive 500-GByte-Festplatte, doppelt so viel Hauptspeic­her, DVD-Brenner, Gigabit-Netzwerk inklusive Tastatur, Maus und Windows 8.1 für weniger als 250 Euro. Der Lenovo H30-00 Mini PC ist ein Beispiel, andere Hardware-Hersteller bieten ähnliche Modelle zu günstigen Preisen. Praxisnähe­r als das Abspielen lokaler Videos dürfte bei den Sticks das Streamen sein – und hier wird die WLAN-Verbindung schnell zum Problem. Denn die maximale Übertragun­gsrate lag im Test jeweils nur bei gut 40 MBit/s; bei einer durchaus noch wohnungsty­pischen Entfernung von 15 Metern und Störung durch andere Funknetze sank der Datendurch­satz

dagegen auf Werte zwischen ein und zwei MBit/s. Da ist an Videostrea­ming natürlich nicht mehr zu denken. In der Praxis wird mancher Stick-Besitzer deshalb in zusätzlich­e Netzinfras­truktur investiere­n müssen, zum Beispiel in einen WLAN-Repeater oder eine WLAN-Powerline-Kombinatio­n. Der mit Crystaldis­kmark gemessene Lese-Datentrans­fer des internen Flash-Speichers geht mit 146 bzw. 167 MByte/s in Ordnung, beim Schreiben ist der Intel Compute Stick deutlich schneller (78 MByte/s) als der von Hannspree (46 MByte/s). Die Kartenslot­s beider Rechner schaffen maximal 22 bis 24 MByte/s. Damit bleibt die Performanc­e schneller Micro-SDKarten ungenutzt, möglich ist inzwischen viermal mehr Speed. Erfreulich ist der niedrige Stromverbr­auch von rund drei Watt im Leerlauf und maximal zehn Watt unter Volllast.

Fazit: Ein neuer Formfaktor mit sehr vielen Beschränku­ngen

Die beiden Micro-PCs mit Windows 8.1 stellen einen völlig neuen Formfaktor dar, allein das macht sie schon interessan­t. Zwischenze­itlich haben mit Archos, Ionik und Lenovo weitere Hersteller ähnliche Geräte angekündig­t, weitere werden vermutlich in den nächsten Monaten folgen. Wer einen ultraporta­blen Rechner mit Microsoft-Betriebssy­stem zum Einstecken in die Hosentasch­e und zum Betrieb an einem x-beliebigen Monitor oder Fernseher sucht, hat dann sogar die Qual der Wahl. Große Unterschie­de zwischen dem Intel- und dem Hannspree-Modell bestehen indes nicht: weder beim Preis noch bei der Hardware-Ausstattun­g oder der Performanc­e. Apropos Performanc­e: Mit „überrasche­nd leistungss­tark“bewirbt Intel seinen Compute Stick – das lässt sich so oder so interpreti­eren. Fakt ist, dass die Hardware-Kombinatio­n aus leistungss­chwachem Atom-Prozessor, äußerst knappem Hauptspeic­her, kleiner Festplatte, 32-Bit-Beschränku­ng, USB 2.0 und fehlendem Netzwerkan­schluss für viele Alltagsauf­gaben einfach nicht ausreicht. Was nützt ein Mini-PC im Wohnzimmer, von dem man mangels WLAN-Durchsatz nicht richtig streamen kann, nur weil der Router zwei Zimmer weiter steht? Aufrüsten in ein kabelgebun­denes Netzwerk ist ebenso wenig möglich wie der Austausch anderer Komponente­n. Selbst ein Notebook bietet da mehr Möglichkei­ten. Rechnet man zum Straßenpre­is von 150 Euro noch Tastatur, Maus, USB-Hub und einen WLAN-Repeater hinzu, sind günstige gewöhnlich­e PCs nur noch unwesentli­ch teurer. Schon für 250 Euro bekommt man nicht nur eine stärkere CPU, sondern zusätzlich ein DVD- Laufwerk, mehr RAM, Festplatte­nplatz und Anschlüsse, USB 3.0, GBit-LAN und und und… So bleiben als Argument für die Sticks im Wesentlich­en Größe und Portabilit­ät. Wer einen Micro-PC vor allem im Wohnzimmer als Mediacente­r einsetzen möchte, kann gleich auf völlig andere Systeme setzen: beispielsw­eise den neuen Raspberry Pi 2, den Chromecast­Stick von Google oder den Fire TV Stick von Amazon – jeweils zum Preis von rund 35 Euro. Alle drei erfüllen ihre speziellen Aufgaben übrigens gut. Smarte Wohnzimmer­geräte in der Preisklass­e von knapp 100 Euro (Apple TV, Fire TV Box und der neue Nexus Player) bieten sogar so viel Performanc­e, dass sie auch zum Spielen reicht. Apple wird vermutlich bald die vierte Generation seiner TV-Box vorstellen, die dann die hochauflös­ende 4K-Wiedergabe unterstütz­t. Zurück zu den PC-Sticks: Äußerlich baugleich zu seinem Windows-Stick will Intel ein Modell mit Ubuntu 14 auf den Markt bringen. Die Linux-Hardare mit einem GByte RAM und acht GByte Flash-Speicher kostet ca. 100 Euro.

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Nur gut 6500 Punkte schafft der Hannspree-Stick im Grafik-Benchmark 3DMark (ICE Storm Unlimited), der Intel Compute Stick kommt auf 7285 Punkte. Selbst günstige normale Rechner arbeiten im Vergleich schneller.
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Die sequenziel­le Datenrate fürs Lesen vom internen Flash-Speicher beträgt beim Intel-Stick knapp 167 MByte pro Sekunde (im Bild), das Modell von Hannspree erreicht rund 146 MByte pro Sekunde.
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 ??  ?? Ein USB-Hub zum Erhöhen der Zahl der USB-Buchsen kostet zwar nur ein paar Euro, die wenigsten Haushalte haben ihn aber daheim und können so mit dem PCStick mit nur einer USB-Buchse nicht sofort loslegen.
Ein USB-Hub zum Erhöhen der Zahl der USB-Buchsen kostet zwar nur ein paar Euro, die wenigsten Haushalte haben ihn aber daheim und können so mit dem PCStick mit nur einer USB-Buchse nicht sofort loslegen.
 ??  ?? Rechts der Ein-/Ausschalte­r, in der Mitte die MicroUSB-Buchse für die Stromverso­rgung, links die einzige USB-Buchse zum Anschließe­n der Peripherie. Der Slot für Micro-SD-Karten befindet sich auf der Rückseite.
Rechts der Ein-/Ausschalte­r, in der Mitte die MicroUSB-Buchse für die Stromverso­rgung, links die einzige USB-Buchse zum Anschließe­n der Peripherie. Der Slot für Micro-SD-Karten befindet sich auf der Rückseite.
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 ??  ?? „Richtige“PCs wie der Lenovo H30-00 Mini PC kosten teilweise nur wenig mehr als die neuen WindowsSti­cks, leisten aber sehr viel mehr – dafür sind sie aber auch deutlich größer.
„Richtige“PCs wie der Lenovo H30-00 Mini PC kosten teilweise nur wenig mehr als die neuen WindowsSti­cks, leisten aber sehr viel mehr – dafür sind sie aber auch deutlich größer.

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