Ratgeber Das digitale Erbe regeln
Amazon, Ebay & Co. – wer im Internet aktiv ist, hinterlässt persönliche Daten. Was aber passiert damit nach dem Tod?
20 JAHRE RÜCKBLENDE: Das Antiblockiersystem im Auto war längst im Serieneinsatz, doch das Internet fristete vor 20 Jahren noch ein Schattendasein. Weniger als fünf Prozent der deutschen Haushalte verfügten über einen Anschluss an das „World Wide Web“, E-Mail und Surfen waren damals die beiden Hauptanwendungen. An Online-Shopping, CloudDienste und soziale Netzwerke dagegen dachte noch kaum jemand – und damit auch nicht an das „digitale Erbe“. 20 Jahre später stellt sich die Situation völlig anders dar: Allein in Deutschland stirbt etwa alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer, ohne entschieden zu haben, was mit seinen geposteten Inhalten, Likes und Fotos passieren soll.
„In den Anfängen des Internets dachte noch niemand an die Probleme rund um den digitalen Nachlass.“
Kaum jemand kümmert sich um seinen digitalen Nachlass, wie eine repräsentative Umfrage des Digitalverbands Bitkom bestätigt: Mehr als neun von zehn Internetnutzern (93 Prozent) haben für den Fall ihres Todes diesbezüglich nichts geregelt. Dabei wünschen sich rund 80 Prozent der Befragten, dass sie ihren digitalen Nachlass gerne organisieren würden, dass ihnen dazu aber Informationen fehlten.
Umfrage: 93 Prozent haben ihr digitales Erbe nicht geregelt
Dabei gewinnt das Thema zunehmend an Aktualität und Bedeutung, denn anders als in den Anfangszeiten nutzen das Internet nicht nur überwiegend junge Menschen. Hinzu kommt, dass Zahl und Bedeutung von Online-Konten angesichts der sich ändernden Gewohnheiten deutlich zugenommen haben. Liefen früher ein paar E-Mails ins Leere, umfasst der IT- und Cloud-Nachlass heute vielfach einen Großteil der privaten Kommunikation, außerdem Kontakte, Fotos sowie geschäftliche Daten. Auch wenn die Angehörigen und Erben darauf keinen Zugriff und keine Verfügung haben, stehen sie dennoch in der gesetzlichen Pflicht, etwaige Kosten und Abbuchungen für laufende Versicherungen, den Internet- und Telefonanschluss sowie weitere Verpflichtungen zu tragen. Denn längst nicht alle Unternehmen gewähren im Todesfall ein Sonderkündigungsrecht. Auf der anderen Seite wissen die Nachfahren unter Umständen nichts von vorhandenen Guthaben und damit von einem möglichen Erbe, wenn der Verstorbene ein OnlineKonto ausschließlich digital verwaltet hat. Vorsorge zu treffen und den Zugriff auf Internet-Accounts sowie PCs, Handys und andere Geräte festzulegen ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil anders als beim Erbrecht für Sachgegenstände gesetzliche Regelungen zum Umgang mit dem digitalen Nachlass bisher fehlen. Kein Internetdienst ist also verpflichtet, den Erben nach Vorlage von Erbschein und Sterbeurkunde Zugang zu dem „fremden“Konto zu gewähren. Schon vor einem Jahr hatte die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz 18 Internetportale darauf hin analysiert, ob Kundenkonten online gelöscht werden können. Außerdem wurden die Dienste zum digitalen Nachlass befragt, ob im Todesfall eine Kontenlöschung möglich ist und was danach mit den Nutzerdaten passiert. Denn konkrete Hinweise dazu suchte man auf den meisten Webseiten vergeblich. Lediglich zwei der 18 Dienste stellten Infos zum digitalen Nachlass bereit. Bei einem Drittel der Anbieter war es nicht einmal mit den Zugangsdaten möglich, den Account online zu löschen. Mittlerweile setzen sich immer mehr Internetfirmen mit dem Löschen der Accounts Verstorbener auseinander. Unsere Übersicht unten beschreibt kurz die Regelungen wichtiger Anbieter und gewährt per Mini-URL jeweils schnellen Zugriff auf die Details. Die Unternehmen verlangen in jedem Fall einen Nachweis über den Tod des Nutzers, also meist die Sterbeurkunde, in einigen Fällen auch einen Erbschein oder eine gerichtliche Verfügung – gerade bei Erbengemeinschaften sind gemeinsame Erklärungen nicht immer einfach. Das Thema „digitaler Nachlass“ist noch vergleichsweise neu und die genannte BitkomUmfrage zeigt, dass nur ein Bruchteil der deutschen Internetnutzer die Sache für sich bereits
geregelt hat. Dabei ist es gerade diese „Vorsorge“, die den Angehörigen unter Umständen viel Mühe und Ärger erspart.
Rechtzeitiges Vorsorgen erspart jede Menge Arbeit und Mühe
So sollte insbesondere eine Person des Vertrauens zum digitalen Nachlassverwalter bestimmt und dieser Zugang zu den eigenen Benutzerkonten, Passwörtern und Geräten gewährt werden. Die Vertrauensperson muss zu Lebzeiten nicht unbedingt tatsächlich Zugang zu der Liste haben, aber sie muss zumindest wissen, wo sie die Aufstellung findet – beispielsweise in einem verschlossenen Briefumschlag an einem sicheren Ort wie einem Bankschließfach. Wichtig ist dabei, dass eine solche Verfügung oder Vollmacht den formrechtlichen Anforderungen genügt, damit sie tatsächlich gültig ist. Dazu gehört beispielsweise, dass sie handschriftlich verfasst ist. Details fasst der Kasten mit Tipps unten auf der Seite zusammen. Eine große Hilfe für die Erben beziehungsweise die Vertrauensperson stellt der Zugriff auf das zentrale Mailkonto dar. Die meisten Online-Unternehmen bieten ja die Möglichkeit, vergessene Kennwörter über die zuvor in ihrem System hinterlegte Mailadresse zurückzusetzen. Auch etwaige Bestätigungsmails werden häufig stur an die gespeicherte Mailadresse verschickt. Schließlich lohnt es sich, beizeiten „digital auszumisten“. So wie man physische Dinge entsorgt, die man nicht mehr verwendet, so macht dies auch bei nicht mehr verwendeten Accounts von Internethändlern, sozialen Netzwerken oder Streaming-Plattformen Sinn. Mittlerweile kümmern sich auch kommerzielle Anbieter um den digitalen Nachlass und dessen Verwaltung. Verbraucherschützer raten hier jedoch zu einer gewissen Vorsicht, nicht zuletzt bei den Kosten und den tatsächlich zugesicherten Leistungen. Zudem sollten auf keinen Fall Passwörter an die geschäftlichen Nachlassverwalter weitergegeben werden, weil diese unter Umständen sonst Einblick in sehr persönliche Daten erhalten. Das Gleiche gilt für die Hardware des Verstorbenen, also PC, Smartphone und weitere Geräte. Tipp: Auch einige örtliche Bestatter bieten eine digitale Nachlassverwaltung an, meist greifen sie dabei auf spezielle Dienstleister zurück.
Digitale Hinterlassenschaften sind oft sehr persönlich
Im Todesfall ist es für die Angehörigen auf jeden Fall wichtig, sich einen Überblick über das digitale Erbe des Verstorbenen zu verschaffen: allein schon wegen der unter Umständen weiterlaufenden finanziellen Verpflichtungen. Auf der anderen Seite finden sich in E-Mails und Bildern meist auch sehr persönliche Inhalte und Erinnerungen. Hier muss man im Einzelfall je nach Familienkonstellation entscheiden, wie tief man als Angehöriger darin stöbert. Für das eigene Vermächtnis kann man wiederum selbst regeln, was die Erben sehen dürfen und was nicht – und sei es nur durch eine simple starke Verschlüsselung. Wichtig ist schließlich der Aspekt „digitales Vererben“: Wie steht es mit den Nutzungsrechten gekaufter Musik, Videos, Apps und E-Books nach dem Tod eines Angehörigen? Nach Auskunft von Julian Graf, Jurist bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, ist die Rechtslage bei digitalen Inhalten noch nicht ganz klar. Anders als bei physischen Dingen und Software, für die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes der Erschöpfungsgrundsatz gilt, räumen die Anbieter von Musik und elektronischen Büchern meist nur ein Nutzungsrecht ein. Dieses können sie über ihre AGB beschränken, die Weitergabe der Werke ist deshalb in aller Regel untersagt. Sinn und Zweck der Bestimmung sei im Prinzip aber die unerlaubte Weitergabe, so Graf. Ob und wie weit das auch beim Tod für die Angehörigen gelte, hält der Jurist noch für offen. Abseits der Rechtslage kann die Oma ihre digitalen Bücher natürlich an die Kinder oder Enkel „vererben“, indem sie einfach ihre Account-Daten weitergibt. Amazon bietet mit der Familienbibliothek sogar ganz offiziell die Möglichkeit, mehrere Konten und Geräte miteinander zu verknüpfen und E-Books so kontenübergreifend zu lesen. In anderen Ländern greifen im Übrigen andere Regelungen. So gilt in der Schweiz beispielsweise der Grundsatz der „Universalsukzession“, nach der alle Rechte einer verstorbenen Person an ihre Erben übergehen – und damit auch die digitalen.