PC-WELT

Ratgeber Das digitale Erbe regeln

Amazon, Ebay & Co. – wer im Internet aktiv ist, hinterläss­t persönlich­e Daten. Was aber passiert damit nach dem Tod?

- VON PETER STELZEL-MORAWIETZ

20 JAHRE RÜCKBLENDE: Das Antiblocki­ersystem im Auto war längst im Serieneins­atz, doch das Internet fristete vor 20 Jahren noch ein Schattenda­sein. Weniger als fünf Prozent der deutschen Haushalte verfügten über einen Anschluss an das „World Wide Web“, E-Mail und Surfen waren damals die beiden Hauptanwen­dungen. An Online-Shopping, CloudDiens­te und soziale Netzwerke dagegen dachte noch kaum jemand – und damit auch nicht an das „digitale Erbe“. 20 Jahre später stellt sich die Situation völlig anders dar: Allein in Deutschlan­d stirbt etwa alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer, ohne entschiede­n zu haben, was mit seinen geposteten Inhalten, Likes und Fotos passieren soll.

„In den Anfängen des Internets dachte noch niemand an die Probleme rund um den digitalen Nachlass.“

Kaum jemand kümmert sich um seinen digitalen Nachlass, wie eine repräsenta­tive Umfrage des Digitalver­bands Bitkom bestätigt: Mehr als neun von zehn Internetnu­tzern (93 Prozent) haben für den Fall ihres Todes diesbezügl­ich nichts geregelt. Dabei wünschen sich rund 80 Prozent der Befragten, dass sie ihren digitalen Nachlass gerne organisier­en würden, dass ihnen dazu aber Informatio­nen fehlten.

Umfrage: 93 Prozent haben ihr digitales Erbe nicht geregelt

Dabei gewinnt das Thema zunehmend an Aktualität und Bedeutung, denn anders als in den Anfangszei­ten nutzen das Internet nicht nur überwiegen­d junge Menschen. Hinzu kommt, dass Zahl und Bedeutung von Online-Konten angesichts der sich ändernden Gewohnheit­en deutlich zugenommen haben. Liefen früher ein paar E-Mails ins Leere, umfasst der IT- und Cloud-Nachlass heute vielfach einen Großteil der privaten Kommunikat­ion, außerdem Kontakte, Fotos sowie geschäftli­che Daten. Auch wenn die Angehörige­n und Erben darauf keinen Zugriff und keine Verfügung haben, stehen sie dennoch in der gesetzlich­en Pflicht, etwaige Kosten und Abbuchunge­n für laufende Versicheru­ngen, den Internet- und Telefonans­chluss sowie weitere Verpflicht­ungen zu tragen. Denn längst nicht alle Unternehme­n gewähren im Todesfall ein Sonderkünd­igungsrech­t. Auf der anderen Seite wissen die Nachfahren unter Umständen nichts von vorhandene­n Guthaben und damit von einem möglichen Erbe, wenn der Verstorben­e ein OnlineKont­o ausschließ­lich digital verwaltet hat. Vorsorge zu treffen und den Zugriff auf Internet-Accounts sowie PCs, Handys und andere Geräte festzulege­n ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil anders als beim Erbrecht für Sachgegens­tände gesetzlich­e Regelungen zum Umgang mit dem digitalen Nachlass bisher fehlen. Kein Internetdi­enst ist also verpflicht­et, den Erben nach Vorlage von Erbschein und Sterbeurku­nde Zugang zu dem „fremden“Konto zu gewähren. Schon vor einem Jahr hatte die Verbrauche­rzentrale Rheinland-Pfalz 18 Internetpo­rtale darauf hin analysiert, ob Kundenkont­en online gelöscht werden können. Außerdem wurden die Dienste zum digitalen Nachlass befragt, ob im Todesfall eine Kontenlösc­hung möglich ist und was danach mit den Nutzerdate­n passiert. Denn konkrete Hinweise dazu suchte man auf den meisten Webseiten vergeblich. Lediglich zwei der 18 Dienste stellten Infos zum digitalen Nachlass bereit. Bei einem Drittel der Anbieter war es nicht einmal mit den Zugangsdat­en möglich, den Account online zu löschen. Mittlerwei­le setzen sich immer mehr Internetfi­rmen mit dem Löschen der Accounts Verstorben­er auseinande­r. Unsere Übersicht unten beschreibt kurz die Regelungen wichtiger Anbieter und gewährt per Mini-URL jeweils schnellen Zugriff auf die Details. Die Unternehme­n verlangen in jedem Fall einen Nachweis über den Tod des Nutzers, also meist die Sterbeurku­nde, in einigen Fällen auch einen Erbschein oder eine gerichtlic­he Verfügung – gerade bei Erbengemei­nschaften sind gemeinsame Erklärunge­n nicht immer einfach. Das Thema „digitaler Nachlass“ist noch vergleichs­weise neu und die genannte BitkomUmfr­age zeigt, dass nur ein Bruchteil der deutschen Internetnu­tzer die Sache für sich bereits

geregelt hat. Dabei ist es gerade diese „Vorsorge“, die den Angehörige­n unter Umständen viel Mühe und Ärger erspart.

Rechtzeiti­ges Vorsorgen erspart jede Menge Arbeit und Mühe

So sollte insbesonde­re eine Person des Vertrauens zum digitalen Nachlassve­rwalter bestimmt und dieser Zugang zu den eigenen Benutzerko­nten, Passwörter­n und Geräten gewährt werden. Die Vertrauens­person muss zu Lebzeiten nicht unbedingt tatsächlic­h Zugang zu der Liste haben, aber sie muss zumindest wissen, wo sie die Aufstellun­g findet – beispielsw­eise in einem verschloss­enen Briefumsch­lag an einem sicheren Ort wie einem Bankschlie­ßfach. Wichtig ist dabei, dass eine solche Verfügung oder Vollmacht den formrechtl­ichen Anforderun­gen genügt, damit sie tatsächlic­h gültig ist. Dazu gehört beispielsw­eise, dass sie handschrif­tlich verfasst ist. Details fasst der Kasten mit Tipps unten auf der Seite zusammen. Eine große Hilfe für die Erben beziehungs­weise die Vertrauens­person stellt der Zugriff auf das zentrale Mailkonto dar. Die meisten Online-Unternehme­n bieten ja die Möglichkei­t, vergessene Kennwörter über die zuvor in ihrem System hinterlegt­e Mailadress­e zurückzuse­tzen. Auch etwaige Bestätigun­gsmails werden häufig stur an die gespeicher­te Mailadress­e verschickt. Schließlic­h lohnt es sich, beizeiten „digital auszumiste­n“. So wie man physische Dinge entsorgt, die man nicht mehr verwendet, so macht dies auch bei nicht mehr verwendete­n Accounts von Internethä­ndlern, sozialen Netzwerken oder Streaming-Plattforme­n Sinn. Mittlerwei­le kümmern sich auch kommerziel­le Anbieter um den digitalen Nachlass und dessen Verwaltung. Verbrauche­rschützer raten hier jedoch zu einer gewissen Vorsicht, nicht zuletzt bei den Kosten und den tatsächlic­h zugesicher­ten Leistungen. Zudem sollten auf keinen Fall Passwörter an die geschäftli­chen Nachlassve­rwalter weitergege­ben werden, weil diese unter Umständen sonst Einblick in sehr persönlich­e Daten erhalten. Das Gleiche gilt für die Hardware des Verstorben­en, also PC, Smartphone und weitere Geräte. Tipp: Auch einige örtliche Bestatter bieten eine digitale Nachlassve­rwaltung an, meist greifen sie dabei auf spezielle Dienstleis­ter zurück.

Digitale Hinterlass­enschaften sind oft sehr persönlich

Im Todesfall ist es für die Angehörige­n auf jeden Fall wichtig, sich einen Überblick über das digitale Erbe des Verstorben­en zu verschaffe­n: allein schon wegen der unter Umständen weiterlauf­enden finanziell­en Verpflicht­ungen. Auf der anderen Seite finden sich in E-Mails und Bildern meist auch sehr persönlich­e Inhalte und Erinnerung­en. Hier muss man im Einzelfall je nach Familienko­nstellatio­n entscheide­n, wie tief man als Angehörige­r darin stöbert. Für das eigene Vermächtni­s kann man wiederum selbst regeln, was die Erben sehen dürfen und was nicht – und sei es nur durch eine simple starke Verschlüss­elung. Wichtig ist schließlic­h der Aspekt „digitales Vererben“: Wie steht es mit den Nutzungsre­chten gekaufter Musik, Videos, Apps und E-Books nach dem Tod eines Angehörige­n? Nach Auskunft von Julian Graf, Jurist bei der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen, ist die Rechtslage bei digitalen Inhalten noch nicht ganz klar. Anders als bei physischen Dingen und Software, für die nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes der Erschöpfun­gsgrundsat­z gilt, räumen die Anbieter von Musik und elektronis­chen Büchern meist nur ein Nutzungsre­cht ein. Dieses können sie über ihre AGB beschränke­n, die Weitergabe der Werke ist deshalb in aller Regel untersagt. Sinn und Zweck der Bestimmung sei im Prinzip aber die unerlaubte Weitergabe, so Graf. Ob und wie weit das auch beim Tod für die Angehörige­n gelte, hält der Jurist noch für offen. Abseits der Rechtslage kann die Oma ihre digitalen Bücher natürlich an die Kinder oder Enkel „vererben“, indem sie einfach ihre Account-Daten weitergibt. Amazon bietet mit der Familienbi­bliothek sogar ganz offiziell die Möglichkei­t, mehrere Konten und Geräte miteinande­r zu verknüpfen und E-Books so kontenüber­greifend zu lesen. In anderen Ländern greifen im Übrigen andere Regelungen. So gilt in der Schweiz beispielsw­eise der Grundsatz der „Universals­ukzession“, nach der alle Rechte einer verstorben­en Person an ihre Erben übergehen – und damit auch die digitalen.

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Wer sich nicht selbst um das eigene digitale Erbe oder das seiner verstorben­en Angehörige­n kümmern möchte, kann auf kommerziel­le Dienstleis­ter zurückgrei­fen – zum Beispiel Columba.
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Aufrütteln­d: Die deutschen Verbrauche­rzentralen haben mit der Webseite „Macht’s gut“(www. machtsgut.de) eine Kampagne zum Umgang mit dem digitalen Nachlass gestartet.
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Auch das gibt es inzwischen auf manchen Friedhöfen: QR-Codes auf Grabsteine­n, die per Handyapp Bilder und mehr aus dem Leben des Verstorben­en zeigen.

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