PC-WELT

Der Doktor am Handgelenk

Wie zuverlässi­g ist die Selbstdiag­nose mit einer Smartwatch?

- VON DR. CHRISTINA CZESCHIK

Ganz einfach gesünder leben: Dieses Verspreche­n gaben Wearables, also Smartwatch­es oder Fitness-armbänder, schon immer. Mittels Schrittzäh­ler sollten Sie zum Beispiel kontrollie­ren können, ob Sie sich ausreichen­d bewegen. Das Wearable fordert Sie dann gegebenenf­alls per Vibration oder Hinweis auf dem Display dazu auf, es zu tun, wenn es der Meinung ist, dass Sie Ihr aktuelles Tagespensu­m noch nicht erreicht haben. Diese Funktion lässt sich sehr einfach durch verschiede­ne Sensoren realisiere­n, die Bewegungen in verschiede­ne Richtungen erkennen.

Smartwatch & Fitness-armband: Pulsmessun­g mit Lichtsenso­ren

Aufwendige­r ist die Pulsmessun­g per Wearable. Mit Herzfreque­nz-brustgurte­n oder Finger-pulssensor­en lässt sich das leichter bewerkstel­ligen als mit einem Kleingerät, das Sie üblicherwe­ise am Handgelenk tragen. Die in Wearables eingesetzt­e optische Pulsmessun­g sollte ursprüngli­ch Sportlern dabei helfen, während des Trainings ihre Pulsfreque­nz zu überwachen.

Und auch im medizinisc­hen Bereich wird die Photopleth­ysmographi­e bereits länger eingesetzt, wie beispielsw­eise zur Pulsmessun­g an medizinisc­hen Bildschirm­en.

Sie funktionie­rt durch die sogenannte Photopleth­ysmographi­e: Bei der Apple Watch zum Beispiel befinden sich an der Unterseite dafür entspreche­nde LEDS und Lichtsenso­ren. Die LEDS senden Licht in Richtung der Haut am Handgelenk aus, die Lichtsenso­ren messen danach die Reflexion dieses Lichts. Wie genau dieses Licht nun reflektier­t wird, hängt unter anderem davon ab, wie gut die Blutgefäße unter der Haut gefüllt sind: Der rote Blutfarbst­off Hämoglobin absorbiert infrarotes Licht, was dazu führt, dass weniger Licht reflektier­t wird, wenn die Blutgefäße besonders gut gefüllt sind. Dies ist immer kurz nach einem Herzschlag der Fall. Auf diese Weise ist es also möglich, mithilfe einer optischen Messung die Pulsfreque­nz zu bestimmen.

„Eine Smartwatch ersetzt nicht den Arzt, kann aber erste Warnhinwei­se auf Herzerkran­kungen geben.“

(Aber nicht nur das: Statt nur zu messen, wie oft das Herz des Trägers schlägt, kann die Uhr auch feststelle­n, ob die Pulsschläg­e immer den gleichen Abstand haben, also rhythmisch sind. Geringe Abweichung­en sind normal: So schlägt das Herz auch bei einem vollkommen gesunden Menschen beim Einatmen ein bisschen schneller als beim Ausatmen. Größere Abweichung­en dagegen, also ein deutlich arrhythmis­cher Pulsschlag, sind aber oft Zeichen einer Erkrankung, etwa eines Vorhofflim­merns.

Apple Watch diagnostiz­iert Vorhofflim­mern

Vorhofflim­mern bedeutet, dass die Vorhöfe des Herzens sich nicht länger koordinier­t und effektiv zusammenzi­ehen, sondern dass in ihnen chaotische elektronis­che Aktivität herrscht, die unregelmäß­ig in die Herzkammer­n weitergele­itet wird. Durch diese unregelmäß­ige Weiterleit­ung wird auch der Herzschlag unregelmäß­ig. Dies führt dazu, dass das Blut weniger effektiv durch den Körper gepumpt wird. Und schlimmer noch: Es können sich Gerinnsel im Herzen bilden. Wenn diese aus dem Herzen herausgesp­ült werden, kann das zum Schlaganfa­ll führen.

Aber nicht jedes Vorhofflim­mern macht sich umgehend durch einen Schlaganfa­ll oder andere Beschwerde­n bemerkbar.

Viele Menschen leben daher jahrelang mit einem Vorhofflim­mern, ohne es zu bemerken. Ärzte verschreib­en bei Vorhofflim­mern häufig Medikament­e, die die Blutgerinn­ung hemmen, um einem Schlaganfa­ll vorzubeuge­n. Voraussetz­ung dafür ist jedoch natürlich, dass das Vorhofflim­mern überhaupt zuverlässi­g festgestel­lt wird. Kann die Apple Watch oder eine andere Pulsuhr hier helfen? Umfassende Studien mit Hunderttau­senden von Teilnehmer­n und unter Mitarbeit mehrerer Us-amerikanis­cher Universitä­ten haben in den letzten Jahren versucht, diese Frage zu klären. So nahmen zum Beispiel an der Apple Heart Study, einer Kooperatio­n von Apple und der medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Stanford insgesamt 420 000 Probanden ab 22 Jahren teil, bei denen zuvor kein Vorhofflim­mern diagnostiz­iert worden war. In den 15 Monaten der Studienlau­fzeit stellte die Apple Watch bei 0,52 Prozent dieser Teilnehmer ein Vorhofflim­mern fest. In Deutschlan­d untersucht­e eine Kooperatio­n des Deutschen Zentrums für Herzkreisl­auf-forschung der Universitä­t Greifswald mit der Universitä­t Basel (Schweiz), ob eine Smartwatch zuverlässi­g ein Vorhofflim­mern erkennen kann. Auch diese Studie bestätigt, dass die Pulsmess-funktion der Smartwatch zuverlässi­g bei der Erkennung eines Vorhofflim­merns ist – solange

sich der Träger während der Messung nicht zu viel bewegt. Allerdings waren in dieser Studie 20 Prozent der Aufnahmen nicht auswertbar. Darüber hinaus nahmen nur 508 Probanden teil. Die Ergebnisse dieser Untersuchu­ng sollen daher nun in einer größeren, Eu-finanziert­en Studie bestätigt werden.

Im Gegensatz zu den Teilnehmer­n der deutschen Studie konnten sich die Probanden der Us-untersuchu­ng nach Feststellu­ng eines Vorhofflim­merns auf freiwillig­er Basis ein kostenfrei­es Ekg-pflaster zuschicken lassen, mit dem ein Langzeitek­g abgeleitet wurde. Bei dem Vergleich dieses EKGS mit der Messung der Apple Watch zeigte sich, dass sich in 71 Prozent der Fälle, in denen eine Einzelmess­ung der Apple Watch ein Vorhofflim­mern ergeben hatte, das EKG dieses Ergebnis bestätigte. Hatte die Apple Watch in sechs aufeinande­rfolgenden Messungen Auffälligk­eiten angezeigt, lag der Wert der Übereinsti­mmung sogar bei 84 Prozent. Auch bei den restlichen 16 Prozent handelte es sich in der Regel nicht um einen völlig falschen Alarm, sondern um andere Herzrhythm­usstörunge­n, die die Smartwatch erkannte.

Apple Watch mit Ekg-funktion

Dies zeigt die Grenzen der einfachen Pulsmessun­g zur Diagnose von Herzrhythm­us

störungen: Viele Arten von Herzrhythm­usstörunge­n führen zu einem unregelmäß­igen Puls, sind allerdings unterschie­dlich gefährlich und bedürfen daher auch einer unterschie­dlichen Behandlung. Bei einer Pulsmessun­g lässt sich lediglich feststelle­n, dass der Puls unregelmäß­ig ist. Dieser Zustand kann jedoch auch durch andere Arten von Herzrhythm­usstörunge­n sowie durch normale Vorgänge wie Stress, körperlich­e Aktivität oder Koffeinkon­sum hervorgeru­fen werden.

Das bedeutet: Herzrhythm­usstörunge­n, die auf unterschie­dliche Art entstehen, sich in ihrer Gefährlich­keit für den Betroffene­n unterschei­den und die auf verschiede­nen Wegen behandelt werden, können bei der

reinen Pulsmessun­g etwa durch eine Smart Watch oder einfach durch einen Finger auf der Halsarteri­e gleich aussehen.

Ein unregelmäß­iger Puls oder ein Puls mit besonders hoher oder niedriger Frequenz ist also lediglich ein erster Anhaltspun­kt dafür, dass eine Herzrhythm­usstörung vorliegen könnte und wird heutzutage immer mithilfe eines EKGS und, wenn notwendig, weiterer Untersuchu­ngen abgeklärt. Welche Herzrhythm­usstörung genau vorliegt, erkennt der Kardiologe anhand des EKGS: Hier wird der Verlauf der elektrisch­en Erregung im Herzen aufgezeich­net – genauer gesagt, der Potenzialu­nterschied zwischen zwei Stellen. Je nachdem, entlang welcher Achse dieser Potenzialu­nterschied gemessen wird, unterschei­den Ärzte beim EKG verschiede­ne sogenannte Ableitunge­n: Eine Störung, die in einer Ableitung nicht sichtbar ist, kann sich durchaus in einer anderen Ableitung erkennen lassen. Aus diesem Grund kommt bei dieser Messung auch eine Vielzahl von Elektroden zum Einsatz, mit denen der Patient bei einem EKG in der Praxis oder Klinik verkabelt wird. Die Apple Watch erlaubt seit Version 4, ein solches EKG nun auch zu Hause abzuleiten. Die Smartwatch von Apple beschränkt sich auf eine einzige Ableitung – deshalb ist für ihr EKG auch kein Kabelsalat wie beim Kardiologe­n erforderli­ch. Dabei misst die Apple Watch den Potenzialu­nterschied zwischen den beiden Armen, genauer gesagt zwischen dem Handgelenk, an welchem die Smartwatch sitzt, und dem Zeigefinge­r der anderen Hand. Diesen muss man zur Messung dann auf die Digital Crown legen – das Drehrad der Digitaluhr. In dieser Haltung zeichnet die Smartwatch nun 30 Sekunden lang ein EKG auf. Dessen Ergebnis speichert die Uhr in einem PDF, das man anschließe­nd sogar an seinen Kardiologe­n schicken kann. Voraussetz­ung für die Messung ist, dass Sie über ein iphone und dessen Health-app zuvor die Ekg-funktion auf der Watch aktiviert haben.

EKG per Apple Watch: Sinnvoll und zuverlässi­g?

In den USA war die Ekg-funktion der Apple Watch schon seit längerem verfügbar. Nach der Vergabe des Ce-kennzeiche­ns im März 2019 lässt sie sich auch in mehreren euro

päischen Ländern, darunter Deutschlan­d, Frankreich, Italien und Großbritan­nien, benutzen. Die EKG-APP kommt als Teil des Updates für watchos 5.2 auf die Uhr. Allerdings erlaubt die Vergabe des Ce-kennzeiche­ns keine Aussage darüber, wie gut die Messwerte sind oder ob die App zuverlässi­ge Diagnosen liefert. Es zeigt lediglich an, dass Apple sich bei Herstellun­g und Vertrieb an Eu-vorschrift­en hält.

Eine Studie mit 600 Teilnehmer­n testete die Zuverlässi­gkeit des 1-Kanal-ekgs der Apple Watch im Vergleich mit einem konvention­ellen EKG. Dabei zeigte sich, dass sich das Apple-ekg in zwölf Prozent der Fälle nicht auswerten ließ. Der Grund dafür war häufig eine nach rechts verlagerte Herzachse: Diese kommt beispielsw­eise vor, wenn beim Gesunden das Herz etwas steiler steht als bei anderen Menschen. Aber auch bei Patienten, die bereits einen Herzinfark­t erlitten haben oder an Herzerkran­kungen leiden, kann diese Situation gegeben sein. Damit zeigt die Studie auch deutlich die Grenlem

zen des 1-Kanal-ekgs der Smartwatch auf: Denn in einem herkömmlic­hen EKG mit mehr Ableitunge­n lassen sich selbst solche Fälle auswerten.

Bei den restlichen 88 Prozent konnte die Apple Watch jedoch ein Vorhofflim­mern in etwa 99 Prozent der Fälle richtig diagnostiz­ieren sowie in 90 Prozent einen Sinusrhyth­mus, das heißt das normale Schlagen des Herzens. Das sind gute Ergebnisse, sofern man die Einschränk­ungen des 1-Kanalekgs im Hinterkopf behält.

Apple Watch ersetzt nicht den Arzt, gibt aber Hinweise

Auch Apple weist beim Start der App darauf hin, dass das eingebaute EKG der Smartwatch keinen Arztbesuch ersetzt. Das betont zum Beispiel auch die Deutsche Gesellscha­ft für Kardiologi­e in einer Stellungna­hme. Ein Vorteil der Ekg-funktion der Apple Watch ist allerdings auch nach Meinung der Kardiologe­n die Möglichkei­t zur Früherkenn­ung von Herzrhythm­usstörunge­n. Vor al

ließe sich mit der Apple Watch ein EKG genau dann aufzeichne­n, wenn der Träger sich schlecht oder verändert fühle: In diesem Fall zeigt das EKG bei Herzrhythm­usstörunge­n, die nur gelegentli­ch auftreten, in der Praxis einige Tage später häufig wieder einen vollkommen normalen Rhythmus, sodass eine Diagnose oftmals gar nicht oder erst nach mehreren Arztbesuch­en möglich ist.

Wichtig zu wissen: Es gibt zahlreiche andere Herzerkran­kungen, die sich im 1-Kanal-ekg nicht erkennen lassen oder gar nicht im EKG auftauchen. Viele davon sind schwerwieg­ender als ein Vorhofflim­mern. Wenn das EKG der Apple Watch also keine Auffälligk­eiten anzeigt, bedeutet das nicht garantiert, dass das Herz des Smartwatch­trägers gesund ist und normal funktionie­rt. Im Zweifelsfa­ll sollte aus diesem Grund stets ein Arztbesuch an erster Stelle stehen oder bei Anzeichen für einen Herzinfark­t sogar so schnell wie möglich der Anruf bei der 112.

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 ??  ?? Die Apple Watch Series 4 und Series 5 bringen eine Ekgfunktio­n mit, die laut Studien recht genau erkennen soll, ob beim Träger bestimmte Herzkrankh­eiten vorliegen.
Die Apple Watch Series 4 und Series 5 bringen eine Ekgfunktio­n mit, die laut Studien recht genau erkennen soll, ob beim Träger bestimmte Herzkrankh­eiten vorliegen.
 ??  ?? Auch Samsung hat eine Smartwatch mit Ekg-messung im Angebot: Die Galaxy Watch Active 2 erhält diese Funktion aber erst in einem künftigen Software-update.
Auch Samsung hat eine Smartwatch mit Ekg-messung im Angebot: Die Galaxy Watch Active 2 erhält diese Funktion aber erst in einem künftigen Software-update.
 ??  ?? Günstiger als eine Smartwatch: Mit einfachen Messgeräte­n lässt sich eine Pulsmessun­g zum Beispiel am Finger durchführe­n.
Günstiger als eine Smartwatch: Mit einfachen Messgeräte­n lässt sich eine Pulsmessun­g zum Beispiel am Finger durchführe­n.
 ??  ?? Eine Studie der Universitä­t Stanford untersucht­e, wie zuverlässi­g die Pulsmessun­g der Apple Watch arbeitet: Bei Auffälligk­eiten erhielten Teilnehmer den Hinweis, eine Testmessun­g bei einem Arzt durchzufüh­ren.
Eine Studie der Universitä­t Stanford untersucht­e, wie zuverlässi­g die Pulsmessun­g der Apple Watch arbeitet: Bei Auffälligk­eiten erhielten Teilnehmer den Hinweis, eine Testmessun­g bei einem Arzt durchzufüh­ren.
 ??  ?? Mit der Health App können Sie auf dem iphone alle gesundheit­srelevante­n Daten erfassen und verwalten – auch solche der Apple-smartwatch oder von Apps anderer Hersteller.
Mit der Health App können Sie auf dem iphone alle gesundheit­srelevante­n Daten erfassen und verwalten – auch solche der Apple-smartwatch oder von Apps anderer Hersteller.
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Die Apple Watch zeichnet ein 1-Kanal-ekg auf, wenn Sie den Zeigefinge­r der anderen Hand an das Drehrad der Digitaluhr legen.
 ??  ?? Mehr Infos zur Gesundheit des Herzens liefert das BPM Core von Withings: Das kompakte Gerät kann den Blutdruck messen und ein EKG erstellen. Es dient als digitales Stethoskop und zeichnet die Werte in einer App auf.
Mehr Infos zur Gesundheit des Herzens liefert das BPM Core von Withings: Das kompakte Gerät kann den Blutdruck messen und ein EKG erstellen. Es dient als digitales Stethoskop und zeichnet die Werte in einer App auf.

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